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HEGEMONIE/1575: Paradigmenwechsel im Verhältnis zwischen EU und NATO (SB)



Die voraussichtlich trotz des Widerstand vieler Parlamentarier in der Pariser Nationalversammlung erfolgende Rückkehr Frankreichs in die Kommandostruktur der NATO markiert einen Paradigmenwechsel im Verhältnis der Nordatlantischen Vertragsorganisation zur Europäischen Union, das seit Beginn der Militarisierung der EU im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) von antagonistischen Interessen geprägt war. Frankreich fungierte dabei stets als äußerster Exponent eines genuin europäischen Interesses an imperialistischer Einflußnahme, das mit dem Ende der Blockkonfrontation zusehends gegen die Hegemonialpolitik der Vereinigten Staaten gestellt war. Mit der Aufkündigung der Vollmitgliedschaft in der NATO hatte der französische Präsident Charles de Gaulle 1966 versucht, die Interessen der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich in Afrika und im Mittelmeerraum wirksamer gegen die expansionistische Politik der USA zu verteidigen, die sich antikolonialistisch gerierten, um das Erbe der klassischen europäischen Kolonialmächte antreten zu können.

Mit der Weigerung Frankreichs und der Bundesrepublik, am Irakkrieg 2003 teilzunehmen, erreichte der mit dem Vertrag von Maastricht 1992 und von Amsterdam 1997 eingeschlagene Kurs, eine eigenständige militärische Parallelstruktur der EU zur NATO aufzubauen, ihren Zenith. Der Versuch, sich gegenüber der militärischen Schlagkraft der USA zu behaupten, war bereits in den jugoslawischen Sezessionskriegen gescheitert, führte die NATO dort mit dem Angriff auf die Bundesrepublik Jugoslawien vor zehn Jahren doch den Beweis, daß es auch auf dem europäischen Kontinent keine effiziente Kriegführung unter Ausschluß der USA geben kann.

Die erfolgreiche Desavouierung der Vereinten Nationen als Krisenmanager in innerstaatlichen bewaffneten Konflikten, die insbesondere am Beispiel des bosnischen Bürgerkriegs exemplifiziert wurde, erfolgte zwar unter Beteiligung der ehemaligen europäischen Großmächte, doch vermochten diese nicht, die Neuordnung des westlichen Balkans in ihrem Sinne gegenüber dem Führungsanspruch Washingtons, der maßgeblich über die NATO artikuliert wurde, durchzusetzen. Die anfangs noch unter Regie deutscher Dienste erfolgte Stärkung separatistischer, ethnisch definierter Militanz in Kroatien, Bosnien und im Kosovo wurde bald von US-Diensten übernommen, was unter anderem in Mazedonien die Gestalt regelrechter Konterstrategien annahm, mit denen US-Berater die Bemühungen der EU-Akteure unterliefen, ihre hegemonialen Interessen zu verfolgen.

Der Disput um die Beseitigung von Massenvernichtungswaffen im Irak förderte zwar grundlegende Unterschied im taktischen Vorgehen, nicht jedoch in der strategischen Zielsetzung zutage. Auch den Europäern ging es niemals um etwas anderes, als im Irak einen Regimewechsel herbeizuführen und das Land unter westliche Kontrolle zu bringen, wie ihre ungeteilte Unterstützung der Aushungerung des Landes durch das UN-Embargo belegt. Die im Vorfeld des Irakkriegs von der US-Administration im Rahmen der Lösung, den völkerrechtswidrigen Überfall auf das Land mit einer "coalition of the willing" zu führen, praktizierte Spaltung der EU in ein "altes" Europa, das Frankreich und Deutschland als zaudernde Bedenkenträger eines verhängnisvollen Appeasements karikierte, und ein "neues" Europa, das Britannien, Spanien sowie die mittelosteuropäischen EU-Beitrittskandidaten als tatkräftige Modernisierungsgewinner hofierte, trug erheblich zum Scheitern des Versuchs bei, die Militarisierung der EU parallel zur NATO und gegen die USA zu vollziehen.

Mit der EU-Osterweiterung um insgesamt zwölf mittelosteuropäische Staaten, die zum Großteil bis 1991 der Warschauer Vertragsorganisation angehörten und von einem starken Interesse an Abgrenzung zum Nachfolgestaat der Sowjetunion, der Russischen Föderation, angetrieben wurden, verschoben sich die Gewichte in der EU weiter zuungunsten der westeuropäischen Führungsmächte Frankreich und Deutschland. Deren Versuche, durch die Militarisierung der EU eigenständige militärische Handlungsfreiheit zu erwirtschaften, wurden durch den starken Einfluß Washingtons auf die neuen Mitgliedstaaten zusätzlich behindert. Die Beteiligung Frankreichs und der Bundesrepublik an der angeblichen Terrorismusbekämpfung in Afghanistan tat das ihrige dazu, den Antagonismus zwischen EU und USA in eine Erneuerung des transatlantischen Pakts zu verwandeln, der mit dem Schritt des französischen Präsidenten Nikolas Sarkozy, Frankreich auch gegen starke Widerstände im eigenen Land in die NATO zu reintegrieren, besiegelt werden soll.

Zwar wurde die Stärkung der NATO, die nach dem Ende der Sowjetunion unter starken Legitimationsnöten litt, bereits unter der früheren US-Administration in Angriff genommen, doch standen der vertieften Integration der militärischen Strukturen der EU in die NATO und der Erweiterung ihrer Zuständigkeiten noch das schlechte Ansehen des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush im Weg. Mit dem Amtswechsel im Weißen Haus und dem Angebot des neuen Präsidenten Barack Obama, sich um den Preis einer größeren Übernahme militärischer Aufgaben durch die europäischen NATO-Partner stärker mit diesen abzustimmen, kann dieser Schritt endlich auch politisch verkauft werden.

Beschleunigt wird diese Entwicklung durch die globale Krise des kapitalistischen Systems, die maßgeblich von den gleichen Staaten ausgeht, die sich nun anschicken, ihr Militärbündnis zum mit Abstand wichtigsten machtpolitischen Akteur der Welt zu formieren. Auf dem NATO-Gipfel Anfang April sollen die inneren Differenzen der Militärallianz, symbolisiert durch den deutsch-französischen Charakter der Veranstaltung, vollends zu Grabe getragen werden, um den expansivem Auftrag einer Weltordnungspolitik wahrnehmen zu können, die nach Lage der diversen in weltweiter Synchronizität verlaufenden Krisen zusehends mit Gewaltmitteln befördert und durchgesetzt werden wird.

In Moskau wartet man nicht erst ab, bis sich die NATO zur akuten Bedrohung der eigenen Sicherheit ausgewachsen hat, sondern entspricht dem von dieser Entwicklung negativ beeinflußten Verhältnis zwischen der EU und Rußland prompt. Die aktuelle Ankündigung des russischen Präsidenten Dimitri Medwedew, auf den Vormarsch der NATO nach Osten mit einer umfassenden Modernisierung der Atomstreitkräfte des Landes zu reagieren, wirft einen düsteren Schatten auf die geostrategischen Pläne, die in Washington und Brüssel geschmiedet werden.

17. März 2009