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HEGEMONIE/1569: US-Menschenrechtsbericht gebührend beantwortet (SB)



Wenn die US-Regierung Menschenrechte im Munde führt, könnte ihr das Wohl und Wehe der dabei aufs Korn genommenen Bürger anderer Länder gleichgültiger nicht sein. Hier geht es ausschließlich darum, mißliebige Regierungen abzumahnen und abzustrafen, wofür tatsächliche oder unterstellte Drangsalierungen von Einzelpersonen oder Gruppen zum Vorwand genommen werden. Es liegt auf der Hand, daß ein solches Willkürregime den eigenen Umgang mit Menschenrechten grundsätzlich ausklammert und für sich in Anspruch nimmt, als höchste Instanz andere zu richten, ohne selbst gerichtet zu werden.

Bevor man sich daher auf eine Bewertung einläßt, in welchem Maße die gegen die jeweiligen Staaten erhobenen Vorwürfe zutreffen, stellt sich zuallererst die Frage, was Washington und seine Verbündeten legitimiert, derartige Einschätzungen vorzunehmen und zur Grundlage politischer, wirtschaftlicher und unter Umständen auch militärischer Intervention zu machen. Die Antwort liegt auf der Hand: Eine Nation wie die USA, die internationale Gerichte für nicht zuständig erklärt, wenn es um die eigenen Staatsbürger geht, und die Vereinten Nationen allenfalls als Vehikel zur Durchsetzung seiner eigenen Interessen akzeptiert und instrumentalisiert, handelt nicht auf Grundlage eines von der sogenannten internationalen Gemeinschaft erteilten Mandats oder Auftrags, sondern selbstherrlich und stets zu Lasten anderer.

Damit nicht genug, hätte die US-Administration allen Grund, in Sachen Menschenrechte vor der eigenen Haustür zu kehren. Rechnet man die Angriffskriege, Blockaden, Sanktionen, begrenzten Interventionen und Foltergefängnisse der USA in aller Welt zusammen, wird man keine andere Nation finden, die in den letzten Jahrzehnten mehr Leid über die Menschheit gebracht hat. Folglich erübrigt sich jeder Dialog mit der US-Regierung über Menschenrechte, solange sich an diesem grundsätzlichen Zustand nichts geändert hat.

Natürlich ist damit das prinzipielle Problem bei der Verfechtung von Menschenrechten allenfalls gestreift. Wenn man sich mit dem größten Kriegstreiber nicht einmal darüber einigen kann, ob Militärschläge, Besatzung, Hungerblockade, Einkerkerung und Folter grundsätzlich abzulehnen sind, weil er deren Anwendung für sein selbstverständliches Recht hält, gilt dies um so mehr, je weiter man die Frage faßt, was unter Menschenrechten und deren Verteidigung zu verstehen sei. Wie verhält es sich beispielsweise mit Ausbeutung, Sanktionierung und Zurichtung, wie sie im Rahmen staatlicher Ordnung und geltender Gesetze weithin legitimiert werden, während die Auflehnung dagegen unter Strafe gestellt ist? Wenn man dem größten Räuber zuruft, rede du mir nicht von Menschenrechten, schließt sich doch die Frage an, ob man letztere überhaupt noch ins Feld führen kann, ohne sich dabei in den Fallstricken struktureller Unterjochung und Indienstnahme zu verheddern.

Ein seltener Lichtblick bleibt in diesem unerfreulichen Zusammenhang jedenfalls, daß sich die Regierungen Lateinamerikas die Bezichtigung seitens der USA nicht mehr gefallenlassen und deren Vorwürfe postwendend an den Absender zurückschicken. Was in der Vergangenheit aus Furcht vor Sanktionen erduldet wurde, ruft heute umgehende Gegenwehr wach, wobei man der neuen Administration in Washington wohlbegründete Argumente um die Ohren haut. Maßregelung und Drohungen ziehen bei uns nicht mehr, lautet die Botschaft an Außenministerin Hillary Clinton, deren in Washington vorgestellter Menschenrechtsbericht dem Faß den Boden ausschlug.

Das Bezichtigungspamphlet wirft Venezuela eine angebliche Einschränkung der Pressefreiheit und Politisierung der Justiz sowie weitere Verletzungen der Menschenrechte vor. Bolivien wird wegen unterstellter Übergriffe der Sicherheitsorgane, willkürlichen Verhaftungen und Angriffe auf die Justiz durch die Regierung gemaßregelt. Und selbst Chile bekommt sein Fett weg, da dort Gewalt gegen Frauen sowie eine Überbelegung der Gefängnisse herrsche. (junge Welt 28.02.2009).

In Bolivien charakterisierte Vizeminister Sacha Llorenti den Bericht als eine "politisch gewollte grobe Vereinfachung der nationalen Realität". Wer über solche Themen sprechen wolle, sollte zudem über "genügend moralische Überzeugung" verfügen. Auch erinnerte Llorenti daran, daß die USA nach wie vor die Auslieferung des bolivianischen Ex-Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada verweigern, dem wegen der blutigen Niederschlagung von Bauernprotesten im Herbst 2003 der Prozeß gemacht werden soll. Für die chilenische Regierung räumte deren Sprecher Francisco Vidal durchaus ein, daß die Zustände in den Gefängnissen des Landes nicht gut sind. "Aber wenigstens gibt es nichts, was Guantánamo ähnelt", fügte er hinzu. "In Chile haben wir kein Guantánamo, denn in einer Demokratie gibt es keine Guantánamos."

Für Caracas antwortete das venezolanische Außenministerium mit einer offiziellen Erklärung und verwahrte sich darin gegen die erneute Einmischung der USA in die inneren Angelegenheiten Venezuelas. Die USA sollten sich nicht anmaßen, die Menschenrechtslage in aller Welt zu bewerten: "Die venezolanische Regierung hält diese übliche Praxis der US-Bürokratie für unzulässig, wonach Funktionäre im Dienste des Staates, der den dunklen Rekord an Verletzungen der menschlichen Würde in jüngster Zeit hält, sich ohne irgendein Mandat oder irgendeine Legitimität zu Richtern über andere Staaten aufschwingen wollen."

Das war eine angemessene Antwort auf die Selbstherrlichkeit und Willkür, in der sich die neue US-Administration offensichtlich nicht von der alten unterscheidet, zumal die venezolanische Regierung kurz und bündig auf den Punkt bringt, daß die US-Führung weder moralisch noch völkerrechtlich legitimiert oder mandatiert ist, anderen zu predigen, was sie selbst am allerwenigsten einhält.

2. März 2009