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HEGEMONIE/1559: Mit Obama Grenzen kapitalistischer Akkumulation überwinden (SB)



Das Rätselraten über die Außenpolitik der neuen US-Regierung ist, wenn man dem emeritierten Politikwissenschaftler Christian Hacke glauben will, vorüber. In der Diskussionssendung "Kontrovers" des Deutschlandfunks (26.01.2009) klärte Hacke, der als Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und des International Institute for Strategic Studies (IISS) in London zu den führenden Transatlantikern im Wissenschaftsbetrieb der Bundesrepublik gehört, das Publikum darüber auf, daß die Zukunft des Westens in einem Bündnis mit den USA liegt, das auf eindeutige Weise gegen andere Staaten und Bündnissysteme positioniert ist.

Wie der Antrittsrede des neuen US-Präsidenten vor einer Woche zu entnehmen war, will er die USA wieder an die Spitze der Weltpolitik stellen. Obamas Kampfansage an all diejenigen, die damit nicht einverstanden sind, ist unmißverständlich und läßt erkennen, daß er den Einsatz von Gewaltmitteln nicht weniger entschieden als sein Vorgänger befürworten wird: "Unser Wille ist stärker und kann nicht gebrochen werden. Ihr werdet uns nicht überdauern, denn wir werden euch besiegen." So martialisch die Diktion Obamas auch war, Hacke strich vor allem die Bedeutung des legitimatorischen Faktors hervor, mit dem er die Stellung der Vereinigten Staaten in der Weltpolitik untermauert. Beim Einschwören seiner Mitarbeiter habe er die klassischen, ewigwährenden Werte Freiheit und Demokratie betont, so Hacke. Hierzulande sei aufgrund des in den letzten Jahren vorherrschenden Antiamerikanismus in Vergessenheit geraten,

"daß eigentlich nur die Vereinigten Staaten die Macht Nummer eins sind, die Demokratie Nummer eins, die auch wertemäßig unsere Demokratien in Europa schützen können".

Hacke verwarf das Eintreten deutscher Außenpolitiker für eine multipolare Weltordnung und bessere Zusammenarbeit mit Staaten wie Rußland mit dem Argument, daß man sich gerade im Rahmen der Weltwirtschaftskrise inmitten einer Auseinandersetzung befinde, bei der es um mehr als zweckbezogene Bündnisse gehe:

"Obama macht uns klar, daß es auch jetzt, nach der Zeit des Kalten Krieges und im Zuge von Globalisierung und im Zuge von Wirtschaftskrisen, um die Auseinandersetzung um verschiedene Wertesysteme geht, nämlich Demokratie und Freiheit gegen autoritäre Regime. Und da gibt es auch Passagen, wo er sagt und andeutet 'Es macht uns nicht stärker, daß hinzukommt, daß die autoritären Regime auch zum Teil natürlich die neuen Energiereserven haben'."

Der Politologe macht keinen Hehl daraus, daß die Werte, die er meint, durchaus materieller Art sein können, was in der Bundesrepublik noch nicht genügend begriffen werde. Den "neuen Wertegegensatz" illustriert er anhand des Außenministers der Tschechischen Republik und amtierenden EU-Ratsvorsitzenden, Karel Schwarzenberg, der bei einem Auftritt in der Berliner Staatsoper erklärt habe: "Das Biedermeier ist vorbei für Europa, wir müssen die Ärmel aufkrempeln", sprich liebgewordene Traditionen dem neoliberalen Feuer der kreativen Zerstörung überantworten. Dem für seine russophobe Haltung bekannten Schwarzenberg stellt Hacke das Negativbeispiel des deutschen Außenministers Frank Walter Steinmeier gegenüber, der mit seinem Werben für Multipolarität eine antiquierte Haltung an den Tag lege.

Mit seiner Darstellung, daß sich hier zwei unterschiedliche Konzeptionen der Europäischen Union manifestierten, knüpft Hacke an das Bild des alten und neuen Europas an, mit dem der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vor der Eroberung des Iraks das Verhältnis der EU-Staaten zur Kriegführung Washingtons definierte. Man stehe vor der existentiellen Anforderung, die Nähe zu den Vereinigten Staaten zu suchen, "weil nur sie unsere Interessen schützen kann" und weil die Weltwirtschaftskrise nur mit den USA auf eine für die EU-Europäer wünschenswerte Weise zu bewältigen wäre.

"Das ist die entscheidende Frage: Wer wird aus dieser Weltwirtschaftskrise besser hervorgehen? Wir, die westlichen Demokratien, die ja jetzt große Probleme haben in der Weltwirtschaft, oder die autoritären Regime? Und da müssen wir genauer hingucken, ich glaube China, Rußland und den anderen geht es noch sehr viel schlechter. Das ist der neue Wertegegensatz, und da führt Obama."

Mit den Einstiegsvektoren Freiheit und Demokratie gelangt Hacke schnell zu einem Punkt, der mit idealistischen Werten rein gar nichts mehr zu tun hat. Wo man vermuten könnte, daß ein kooperativer, allen Menschen zugute kommender Ansatz der Krisenbewältigung die Einbeziehung aller Akteure voraussetzt, geht der Politikwissenschaftler von vornherein von einem Kampf um Selbstbehauptung in einem kapitalistischen Weltsystem aus, in dem sich zwei hegemoniale Blöcke gegenüberstehen. Die von ihm eingeforderte Parteinahme zugunsten der USA basiert allerdings nicht auf makroökonomischen Faktoren, wie man anhand seiner Ausführungen vermuten könnte. Die Krise des Kapitalismus ist in seinem westlichen Epizentrum von einem derart tiefgreifenden Risikopotential bestimmt, daß der Verweis auf die Probleme Chinas und Rußlands lediglich von den desaströsen Verlusten ablenken soll, die die noch anstehenden Ausfälle an finanziellen und produktiven Aktiva bergen.

Da die Bewältigung der Weltwirtschaftskrise, wie anhand der staatlichen Refinanzierungspläne der Banken zu erkennen, unter striktem Erhalt der etablierten Herrschaftsstrukturen erfolgen soll, wird gar nicht erst von einer tiefgreifenden Veränderung der kapitalistischen Produktionsweise und einer selbsttragenden ökonomischen Entwicklung ausgegangen. Die Frage, wer am Ende besser dasteht, antizipiert eine kannibalistische Lösung des Problems unter Inanspruchnahme der dafür erforderlichen Gewaltmittel. Betroffen sind im Zweifelsfall Volkswirtschaften, die über erhebliche Ressourcen natürlicher und humaner Art verfügen, diese allerdings nicht in altruistischer Manier in die Sanierung des westlichen Gesellschafts- und Akkumulationsmodells einspeisen wollen.

Wenn China, Rußland und andere sogenannte Schwellenländer die Einhaltung der Geschäftsordnung verlangen oder sich gar so rücksichtslos verhalten, wie es westliche Staaten stets getan haben, dann wird dies dort als inakzeptable Herausforderung verstanden. In den Augen Hackes liefert sich die Bundesregierung mit einem multipolaren Weltordnungskonzept den Interessen dieser Länder aus, anstatt durch die einseitige transatlantische Bindung dafür zu sorgen, das Durchsetzungspotential der USA gegen sie in Stellung zu bringen. Worum es sich dabei handelt, ist bei einer solchen ad hoc eingenommenen Frontstellung nicht schwer zu erraten. Den sogenannten autoritären Regimes wird unverhohlen damit gedroht, gefälligst die globale Führerschaft der USA und ihres Juniorpartners EU zu akzeptieren, wenn sie nicht der militärisch vorgetragenen, derzeit insbesondere in Afghanistan zu besichtigenden Globalstrategie des Westens zum Opfer fallen wollen.

Hacke ist kein politischer Außenseiter, sondern bringt die hegemonialen Ambitionen der US-Eliten und ihrer EU-europäischen Gewährsleute auf unverhohlene Weise auf den Punkt ihrer Ausführung. Um die Ideologie von freedom and democracy als Mittel im Kampf um globalen Einfluß zu rehabilitieren, ist Obama zweifellos gut geeignet. Indem er den Eindruck eines Wechsels im politischen Stil vermittelt, kann er auf um so entschiedenere Weise altvertraute US-amerikanische Interessenpolitik betreiben. Was die US-Gesellschaft als Lokomotive der Weltwirtschaft, zu der sie im Rahmen der finanzkapitalistischen Kompensation der Krise des Industriekapitals wurde, auf Kosten anderer Volkswirtschaften verbraucht hat, soll nicht etwa zurückgezahlt, sondern machtpolitisch kompensiert werden. Über die von Hacke entworfene Weltordnung wird anhand politischer und militärischer Strategien entschieden, in denen Werte lediglich die Rolle von Vorwänden zukommt, die man benötigt, wenn man anderen die eigenen Bedingungen aufoktroyieren will.

Die transatlantische Formation soll auch in Zukunft so aggressiv aufgestellt werden wie im Kalten Krieg, als es noch um die Vorherrschaft von Gesellschaftsentwürfen ging. Heute, da die globale Gleichzeitigkeit der Wirtschafts- und Energiekrise, des Klimawandels und der Nahrungsmittelverknappung dem kapitalistischen Entwicklungsmodell objektive Grenzen aufzeigt, geht es schlicht um das Erlangen der Verfügungsgewalt über materielle Ressourcen und deren Nutzung im Rahmen einer sozialdarwinistischen Gesellschaftsordnung.

26. Januar 2009