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FRIEDEN/1130: Neoliberales Ärgernis Vereinte Nationen (SB)



Die Vereinten Nationen nicht nur zu kritisieren, sondern rundheraus niederzumachen erfreut sich in neoliberalen Medien besonderer Beliebtheit. Wer den Staat auf die Kernfunktionen der bewaffneten Sicherung der privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung und der Umlastung infrastruktureller wie ökologischer Kostenfaktoren auf die Lohnabhängigenklasse reduzieren will, der mißtraut auch einer internationalen Organisation wie den unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Vereinten Nationen zutiefst. Verschwörungstheorien von einer Art informellen Weltregierung, die sinistre bevölkerungspolitische Strategien verfolgt, ökofaschistische Einschnitte in das Recht auf unbegrenzte Naturzerstörung plant oder den ebenfalls nach den Fleischtöpfen greifenden globalen Südens unlautererweise bevorteilt, schießen insbesondere in ultraliberalen, Freiheit und Kapitalismus in eins setzenden Kreisen ins Kraut.

So kritisiert das Zentralorgan des schweizerischen Bankenkapitals, die Neue Zürcher Zeitung, den UN-Flüchtlingsgipfel in New York als eine bigotte Veranstaltung, auf der "wohlgenährte Staatschefs Leerformeln wie 'gemeinsam für eine bessere Zukunft' von ihren Redemanuskripten ablesen", während in "Syrien die Hoffnung auf ein besseres Leben einmal mehr im Keim erstickt" wird. Ein solcher Scheinwiderspruch läßt sich natürlich an vielerlei Beispielen hochziehen, etwa wenn in Schweizer Konzernzentralen nicht minder wohlgenährte und dazu hochbezahlte Manager Strategien der Nahrungsmittelvermarktung entwickeln, die sich ohne preistreibenden Welthunger und neokolonialen Landraub nicht realisieren ließen. Pauschale Klagen dieser Art könnten billiger nicht sein, wenn schon die geringe Mühe, Roß und Reiter im Syrienkrieg zu nennen, gescheut wird.

Wes Geistes Kind der Autor des NZZ-Kommentars ist, verrät er mit der Behauptung, die Vereinten Nationen "wurden mit der Idealvorstellung gegründet, dass die Organisation dereinst die Funktion einer Weltpolizei erfüllen könnte". Dieser höchst einseitige, vor allem auf die militärische Durchsetzung des Gewaltverbotes der UN-Charta abstellende Blick auf eine Organisation, die auf vielen Feldern gesellschaftlicher und kultureller Entwicklung zumindest den Anspruch erhebt, für mehr soziale Gerechtigkeit und weniger brutale Unterdrückung zu sorgen, repräsentiert bestenfalls die Sichtweise des Weltsicherheitsrates, nicht jedoch die Arbeit der zahlreichen UN-Unterorganisationen. Demgemäß ist dem NZZ-Autoren auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen ein besonders Ärgernis, treffe sich in New York in diesem Gremium doch "ein Kartell der Heuchler und Vertuscher" [1].

Hat man das in der allgemeinen Berichterstattung weit weniger prominent repräsentierte 17. Gipfeltreffen der Bewegung der Blockfreien Staaten, das am letzten Wochenende in Venezuela stattfand, zur Kenntnis genommen, dann läßt sich Eins und Eins leicht zusammenzählen. Rund 100 Mitgliedstaaten dieser im Kalten Krieg gegründeten Organisation, die sich als dritter, weder von den USA oder der Sowjetunion dominierter Weg für die Länder des dekolonisierten Südens zu mehr Selbstbestimmung und globalem Einfluß verstand, forderten dort unter anderem, die UN-Generalversammlung gegen die von den Ländern des Nordens beherrschten Weltsicherheitsrat zu stärken. Daß man zudem beschloß, sich auf die antiimperialistischen Wurzeln der Blockfreienbewegung zu besinnen und "den historischen Kampf der Völker des Südens für die Unabhängigkeit und den Frieden ihrer Nationen" [2] fortzusetzen, dürfte dort, wo sich die aus der kapitalistischen Globalisierung, aus Rohstoffextraktion, neofeudaler Lohnsklaverei und drastischem Produktivitätsgefälle erwirtschafteten Gewinne auftürmen, nicht gerade erfreut vernommen worden sein.

Um so bedeutsamer ist die ebenfalls in der Abschlußerklärung des Treffens festgestellte Notwendigkeit, alternative Medien und Informationsquellen zu entwickeln, die der massenmedialen Propaganda, mit der die Länder des Südens dominiert und destabilisiert werden, entgegentreten. Die Vereinten Nationen schließlich sind so gut und so schlecht wie die Akteure, die ihre Arbeit bestimmen. Da sich die NZZ auf die UN-Generalversammlung und nicht den Weltsicherheitsrat eingeschossen hat, liegt nahe, daß ihre Kritik gerade nicht an jene Staats- und Regierungschefs adressiert ist, die die Vereinten Nationen, wenn sie ihren Interessen etwa bei der Sicherung der Menschenrechte oder dem Kampf gegen den Hunger zuwiderlaufen, schlicht ignorieren und an den Rand des Geschehens manövrieren.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/internationale-presseschau.435.de.html

[2] https://www.jungewelt.de/2016/09-20/030.php

21. September 2016


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