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FRIEDEN/1109: Mit deutscher Staatsräson Feuer an die Lunte in Nahost legen ... (SB)




Der Spiegel enthüllt, was seit Jahren so bekannt ist wie die Existenz israelischer Atomwaffen. Dabei verfolgen die Regierungen des Landes eine Politik der "atomaren Ambiguität", die sie zum einen davor in Schutz nimmt, zu sehr mit Antiproliferationsforderungen belegt zu werden, während das davon ausgehende Bedrohungspotential von dieser programmatischen Mehrdeutigkeit nicht nur nicht tangiert wird, sondern sie durch die von Rüstungskontrollmaßnahmen befreite Handlungsfähigkeit Israels noch vergrößert. Nicht die Bestätigung der atomaren Tauglichkeit der von der Bundesrepublik gelieferten U-Boote ist interessant an der von dem Hamburger Nachrichtenmagazin ausgelösten Aufregung, sondern daß es erst eines publizistischen Organs dieser Größe bedarf, um die deutsche Waffenexportpolitik einer Überprüfung zu unterziehen.

So bekommt das Publikum einen geradezu aberwitzigen Rollentausch vorgeführt, wenn Politiker der SPD und Grünen nun Rechenschaft von der Bundesregierung über die Atomwaffentauglichkeit dieser U-Boote verlangen, obwohl sie deren Export nach Israel in ihrer Regierungszeit gutgeheißen haben. Praktisch in letzter Minute rot-grüner Amtsführung im November 2005 hatte der geheim tagende Bundessicherheitsrat beschlossen, zwei weitere U-Boote der Dolphin-Klasse in das Spannungsgebiet Nahost zu liefern, obwohl die israelische Marine zu diesem Zeitpunkt bereits über drei U-Boote dieses Typs verfügte. Im Oktober 2003 berichtete die LA Times über die Umrüstung dieser U-Boote für das Abfeuern atomarer Trägersysteme. Die US-amerikanische Tageszeitung berief sich auf zwei Beamte der Bush-Regierung, deren Angaben durch einen ebenfalls ungenannt bleibenden israelischen Regierungsbeamten bestätigt worden wären. Dieser Beitrag wurde vom Spiegel [1] aufgegriffen und durch die Information ergänzt, daß eine parlamentarische Anfrage zum Einbau "übergroßer 650-Millimeter-Torpedorohre statt der üblichen 533 Millimeter" und ihres möglichen Zwecks der Atomwaffentauglichkeit vom rot-grünen Verteidigungsministerium mit den Worten "Die Bundesregierung kann letztlich keine Bestückung ausschließen" beantwortet wurde.

Tatsächlich hatte das Fachmagazin Jane's Defence Weekly bereits 1993 festgestellt, daß die U-Boote der Dolphin-Klasse nach Umbauten in der Lage wären, Atomraketen abzufeuern. Die damit möglich gewordene nukleare Zweitschlagkapazität, von der nun offen die Rede ist, hat die strategische Disparität in der Region weiter verschärft, so daß es nicht einfach eine läßliche Sünde war, wie bei vielen anderen Rüstungsgeschäften auch in diesem Fall beide Augen zuzudrücken. So sah die israelische Militärdoktrin des Jahres 2002 den Ausbau militärischer Reichweite gegen "Bedrohungen des jüdischen Staates durch weit entfernte islamische Staaten wie Iran, Pakistan oder Kasachstan sowie globalen islamischen Terrorismus" vor. Die Israel Defence Force (IDF) wollte nicht mehr ausschließlich Landesverteidigung betreiben, sondern sich die strategische Projektionsfähigkeit einer Großmacht verschaffen.

In einer solchen Konzeption bildet die atomare Zweitschlagkapazität die zentrale Rückversicherung, einen vernichtenden gegnerischen Angriff auf die eigenen Atomwaffen stets mit einer entsprechend vernichtenden Vergeltung quittieren zu können. In Anbetracht der konkreten Bedrohung Israels durch Atomwaffen, über die auch der Iran nicht verfügt, wenn er sie überhaupt produzieren will, und des Mangels an Trägersystemen von großer Reichweite, die etwa einen Staat wie Pakistan zu einem solchen Angriff befähigten, besteht die wesentliche Stoßrichtung eines solchen Zerstörungspotentials darin, sich strategische Hebelwirkung gegenüber anderen Staaten zu verschaffen. Die Dynamik der atomaren Eskalation geht also desto mehr von Israel aus, als seine Streitkräfte mit deutscher Hilfe in die Lage weitreichender Unangreifbarkeit versetzt werden.

Die besondere waffentechnische Überlegenheit der zwei von der rot-grünen Bundesregierung freigegebenen und Ende 2012 respektive 2013 in Dienst zu stellenden Dolphin-U-Boote resultiert daraus, daß sie aufgrund ihres Brennstoffzellenantriebs leiser sind als von Dampfturbinen angetriebene Atom-U-Boote und eine geringere thermische Abstrahlung als deren Reaktoren erzeugen. Dieser neben dem Dieselantrieb für Überwasserfahrten eingebaute Antrieb macht das bei U-Booten mit Dieselantrieb erforderliche Schnorcheln überflüssig und ermöglicht ununterbrochene Tauchfahrten von bis zu vier Wochen. So können mehrere tausend Kilometer weite Orte unentdeckt erreicht werden. Letztlich wird die israelische Regierung mit diesen U-Booten über die Möglichkeit verfügen, prinzipiell jeden Ort der Erde, der weniger als 1500 Kilometer von einer Küste entfernt liegt, innerhalb von vier Wochen mit Lenkwaffen anzugreifen.

Die ersten drei der für die israelische Marine vorgesehenen U-Boote namens Dolphin, Leviathan und Tekuma, die noch auf einen Brennstoffzellenantrieb umgerüstet werden sollen, wurden unter Beteiligung israelischer Rüstungsfirmen umgebaut. Seither gehören diese Veränderungen zum Bauplan der für den Export nach Israel bestimmten Boote, so daß die Dolphin-Klasse insgesamt als eine Spezialanfertigung betrachtet werden kann, die auf die strategischen Interessen Israels zugeschnitten ist. Die vier nach oben gerichteten Rohre, mit denen sich Lenkwaffen abfeuern lassen, sind für Jagd-U-Boote untypisch und haben sogleich den Verdacht der Experten genährt, daß sie atomwaffentauglich gemacht werden sollten. So gab Robert S. Norris vom Natural Resources Defense Council in Washington 2003 in der LA Times an, daß die israelischen Ingenieure lediglich die Größe eines Atomsprengkopfes auf das Format einer Harpoon-Rakete reduzieren müßten, was ihnen mit 30 Jahren Erfahrung im Bau von Atomwaffen nicht schwer fallen dürfte, um die U-Boote in ein nukleares Trägersystem zu verwandeln. Im Jahr 2000 wurden vor der Küste von Sri Lanka, das Israel mit Rüstungsgütern im Kampf gegen die tamilischen Rebellen unterstützte, von Bord zweier dieser U-Boote Lenkwaffen abgeschossen, die Ziele in 1500 Kilometer Entfernung im Indischen Ozean trafen.

In Anbetracht dieses seit Jahren bekannten Informationsstands und der seit jeher üblichen Praxis, deutsche Rüstungsexporte nach Israel von jeder öffentlichen Debatte auszunehmen und sie mitunter sogar unter konspirativen Bedingungen zu vollziehen, ist die "Enthüllung" des Spiegel als Vorstoß in Richtung der Legitimierung einer Waffenexportpolitik zu verstehen, gegenüber der das Kriegswaffenkontrollgesetz, laut dem die Lieferung von Rüstungsgütern an Staaten, die diese für friedensstörende Handlungen und dabei insbesondere einen Angriffskrieg verwenden könnten, auch ganz offiziell Makulatur wird.

Die Bundesregierung verlangt von der iranischen Regierung, beweiskräftig darzulegen, daß sie keine Atomwaffen baut, und folgt damit dem Muster der US-Regierung unter George W. Bush, dem Irak eine Umkehr der Beweispflicht für das Nichtvorhandensein von Massenvernichtungswaffen aufzuerlegen. Was für dessen Regierung damals unmöglich zu leisten war und der US-Regierung einen universalen Vorwand verschaffte, das Land mit Krieg zu überziehen, dient der Bundesregierung als Begründung dafür, Israel militärisch in die Lage zu versetzen, den Iran selbst bei Verwendung konventionell bestückter Marschflugkörper mit massiven Mitteln anzugreifen. Während der Iran mit einer Vorverurteilung hinsichtlich der Absichten seiner Regierung der Gefahr eines kriegerischen Überfalls ausgesetzt wird, wird die israelische Regierung von jedem Verdacht freigehalten, sie könne ihre bereits vorhandenen, mit deutscher Hilfe in ihrer Reichweite wie strategischen Logik stark optimierten Massenvernichtungswaffen auch aus anderen als defensiven Gründen einsetzen.

Beschwichtigungen der Art, daß die deutschen U-Boote nur zur Selbstverteidigung Israels dienten, werden in der vom Spiegel losgetretenen Debatte diejenigen Stimmen übertönen, die die strikte Einhaltung der Rüstungsexportrichtlinien auch im Falle Israels verlangen. Wenn der Export der Dolphin-U-Boote mit deutscher Staatsräson legitimiert werden kann, wie es Regierungssprecher Steffen Seibert [2] tut, dann kann dies auch für alle anderen gesetzeswidrigen Maßnahmen in Anspruch genommen werden. Im Ergebnis wird die Bundesrepublik um so rückhaltloser kriegerischen Entwicklungen zuarbeiten, und zwar nicht im Interesse der israelischen Bevölkerung, sondern aus eigenen hegemonialen Erwägungen heraus.

Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,269409,00.html

[2] http://www.morgenpost.de/politik/article106413488/Regierung-verteidigt-U-Boot-Deal-Deutsche-Staatsraeson.html

[3] Ausführlich zur Geschichte der U-Boote-Exporte nach Israel siehe http://www.bits.de/public/stichwort/dolphin3.htm

4. Juni 2012