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FRIEDEN/1105: Machtkampf um Friedenslösung für Afghanistan (SB)



Der permanente Kriegszustand des besetzten Afghanistans ist ein Resultat jahrzehntelanger Interventionen fremder Mächte. Ihn zugunsten einer Friedenslösung zu beenden, mutet wie die unmögliche Entflechtung des gordischen Knotens an, den mit einem Streich zu durchtrennen selbst dem mächtigsten Militärbündnis der Welt nicht gelungen ist. Die kriegführenden NATO-Staaten wollen ihre Kampftruppen abziehen, die für andere Waffengänge benötigt werden. Dessen ungeachtet planen die Vereinigten Staaten, sich mit einem reduzierten Kontingent dauerhaft in ihren Stützpunkten am Hindukusch festzusetzen. Frieden für die Afghanen interessiert sie nur insofern, als sie ihre künftige Präsenz nicht gefährdet sehen wollen. In diesem Zusammenhang läßt die Meldung aufhorchen, daß die Bundeswehr trotz der geplanten Schließung des Feldlagers im afghanischen Kundus im Jahr 2013 noch etliche Millionen Euro in das Camp investieren will. Demnach sind Baumaßnahmen für fast 20 Millionen Euro bereits beschlossen - ein Schelm, wer Böses dabei denkt. [1]

Die Okkupationsstreitkräfte lassen keinen Zweifel daran, daß sie die Herren über Leben und Tod afghanischer Zivilisten bleiben. Inzwischen hat die NATO eingeräumt, bei einem Luftangriff am 8. Februar im Osten des Landes acht junge Afghanen getötet zu haben. Es habe sich um bewaffnete junge Männer gehandelt, die eine Bedrohung für Bodentruppen zu sein schienen. Hingegen gaben Angehörige der Getöteten und die Regierung in Kabul an, die Opfer seien Kinder gewesen, die Schafe und Ziegen gehütet und sich unter einem Felsen an einem Feuer gewärmt hätten. Dort seien sie von den Bomben getroffen worden. Um sich von ihrer Verantwortung freizukaufen, will die NATO angeblich eine Straße für das betroffene Dorf bauen lassen. [2]

Unterdessen verhandelt jeder mit jedem und dementiert nicht selten im selben Atemzug jedwede Gespräche, nur um andere heimlicher Übereinkünfte zu bezichtigen. Spektakulär angekündigte Treffen hausieren mit einem unmittelbar bevorstehenden Durchbruch, während selbst ihre Teilnehmer die Ergebnisse höchst unterschiedlich darstellen. Meldungen über angebliche Geheimverhandlungen werden lanciert, andere wieder vehement bestritten, so daß die Einschätzung, was substantiell und was Propaganda sei, einem Gang über dünnstes Eis gleicht.

Das gilt auch für ein Gipfeltreffen in Islamabad, bei dem die Präsidenten Pakistans, Afghanistans und des Irans übereingekommen sein sollen, Hamid Karsai "volle Unterstützung" bei einem Friedensprozeß mit den Taliban zu gewähren. Mutete Karsais Zusammenkunft mit Asif Ali Zardari und Mahmud Ahmadinedschad unter Ausschluß der USA auf den ersten Blick spektakulär an, so dämpfte Pakistans Außenministerin Hina Rabbani Khar umgehend die Erwartungen: Es sei absurd, wenn Afghanistan die Auslieferung Mullah Omars erwarte. Sollte Kabul "unrealistische, nahezu lächerliche Erwartungen" haben, gebe es keine gemeinsame Basis für Verhandlungen. Die afghanische Regierung hat Pakistan und insbesondere dessen Militärgeheimdienst ISI immer wieder vorgeworfen, Friedensgespräche mit den Taliban nicht zu unterstützen oder sogar zu sabotieren. Seit Wochen schon drängt Karsai die pakistanische Regierung, die Taliban-Führung um Mullah Omar zu Gesprächen mit seiner Regierung zu zwingen. Der Iran wiederum unterstützt mit der Nordallianz den stärksten einheimischen Gegner der Taliban in Afghanistan, so daß ungewiß ist, ob die divergierenden Interessen der Nachbarländer unter einen Hut gebracht werden können. [3]

Unmittelbar vor dem regionalen Gipfeltreffen hatte Karsai bestätigt, daß die USA und Afghanistan Geheimverhandlungen mit den Taliban begonnen hätten. Diese haben bislang Gespräche mit der Führung in Kabul dementiert, die sie als "Marionettenregierung" bezeichnen und ablehnen. Verhandlungen gab es bislang ausschließlich mit den USA und anderen westlichen Gesprächspartnern. In einem Interview des Wall Street Journal erklärte Karsai, es habe erste Gespräche zwischen Unterhändlern der USA, Regierungsvertretern aus Kabul und Abgesandten der Taliban über die Zukunft Afghanistans gegeben. Er schien überzeugt, daß auch die Taliban Interesse an einem friedlichen Übergangsprozeß nach dem Abzug der westlichen Truppen haben: "Alle Menschen in Afghanistan wollen Frieden, auch die Taliban." Eine konstruktive Rolle Pakistans "würde die ganze Sache leichter machen", so Karsai. Mehr als "Hoffnungen" habe er hinsichtlich der Kooperation Pakistans aber nicht. [4]

Was Afghanistan, Pakistan und den Iran in gewissem Ausmaß verbindet, sind ihre wachsenden Probleme mit den USA. Das gilt in erster Linie für Teheran, wo man mit einem Angriffskrieg westlicher Mächte rechnen muß. Auch Pakistan wird von Washington immer massiver unter Druck gesetzt und zugleich hintergangen, so daß die Spannungen zwischen den beiden Ländern gewachsen sind. Hamid Karsai, der sich und sein Regime, nicht jedoch Afghanistan repräsentiert, auch wenn er diese Rolle von Gnaden der Besatzungsmächte spielt, versucht wie eh und je, sich alle Türen offenzuhalten. Ende Oktober 2011 hatte er noch verkündet: "Pakistan ist unser Bruder." Sollte es jemals zu einem Krieg zwischen den USA und Pakistan kommen, werde sein Land dem Nachbarn zur Seite stehen. Vor der Afghanistankonferenz Anfang Dezember in Bonn warf er den Pakistanern hingegen vor, sie spielten ein doppeltes Spiel und verbrüderten sich mit den Taliban. Solange sich das nicht ändere, werde es wohl keine Friedensgespräche geben.

Die USA streben angesichts des geplanten Abzugs der internationalen Kampftruppen beschleunigte Verhandlungen mit den Taliban an und hoffen, beim NATO-Gipfel im Mai die Aufnahme ernsthafter Friedensgespräche verkünden zu können. Bei den Vorgesprächen mit den Taliban in Katar waren jedoch Afghanistan, Pakistan und der Iran nicht vertreten, weshalb das jüngste Treffen in Islamabad als gemeinsames Warnsignal an die Adresse Washington interpretiert werden kann, daß auch eine regionale Lösung denkbar wäre. Wie Karsai unterstrich, liege das Verhandlungsmandat bei Afghanistan. Die USA hätten nicht das Recht, im Namen der Afghanen mit den Taliban zu sprechen. Allerdings braucht der afghanische Staatschef die volle Unterstützung der USA, die alle Faustpfänder in Händen halten, worüber mit den Taliban verhandelt werden könnte. So soll bereits eine mögliche Überstellung von Taliban, die im Folterlager Guantánamo Bay gefangengehalten werden, erörtert worden sein.

"Die Probleme der Region müssen regional gelöst werden", forderte Ahmadinedschad und lehnte damit eine Führungsrolle, wenn nicht gar die Beteiligung Washingtons bei Friedensverhandlungen ab. So sehr die Regierungen in Kabul, Islamabad und Teheran in diesem Kontext auch von ihren jeweiligen innenpolitischen Konflikten getrieben sein mögen, ist doch nicht von der Hand zu weisen, daß eine "Friedenslösung" Washingtons nach dem Muster des Irak das letzte ist, was sich die Afghanen wünschen können.

Fußnoten:

[1] http://www.abendblatt.de/politik/ausland/article2191216/Nachbarn-sagen-Afghanistan-Hilfe-im-Friedensprozess-zu.html

[2] http://www.nytimes.com/2012/02/16/world/asia/nato-acknowledges-bombing-killed-eight-young-afghans.html

[3] http://nachrichten.rp-online.de/politik/afghanistan-gipfel-ohne-usa-brueskiert-obama-1.2718965

[4] http://www.fr-online.de/politik/afghanistan-karsai-auf-expedition,1472596,11650340.html

18. Februar 2012