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FRIEDEN/1057: Zivilklage zum Tod Rachel Corries in Israel (SB)



Sieben Jahre nach dem Tod der 23 Jahre alten Aktivistin Rachel Corrie, die im Gazastreifen von einem Bulldozer der israelischen Streitkräfte überrollt wurde, wird die von ihren Eltern Cindy und Craig eingereichte Zivilklage vor einem Gericht in Israel verhandelt. Die Eltern verfolgen das Ziel, neues Licht in den damaligen Vorfall zu bringen und den Nachweis zu führen, daß das Militär für den gewaltsamen Tod ihrer Tochter verantwortlich war.

Wie kaum ein anderer Prozeß könnte dieser Versuch, eine rechtsrelevante Aufklärung des auf Grund seiner besonderen Umstände mit ungewöhnlich großer internationaler Aufmerksamkeit bedachten Brennpunkts der Auseinandersetzungen zwischen der israelischen Besatzungsmacht und den ihr unterworfenen Palästinensern herbeizuführen, Konsequenzen zeitigen. Die Unnachgiebigkeit der Eltern, zu ihrer Tochter und deren Anliegen zu stehen, das sie längst zu ihrem eigenen gemacht haben, sollte geeignet sein, Menschen zu berühren, die sich ansonsten für den Nahostkonflikt wenig oder gar nicht interessieren. Ist das Beharren von Cindy und Craig Corrie, sich in ihrem persönlichen Anliegen nicht einschüchtern und abweisen zu lassen, schon für sich genommen beispielhaft und bewundernswert, so gilt das um so mehr für ihr Engagement zugunsten der Palästinenser, für die sich auch ihre Tochter eingesetzt hat.

Derzeit verfolgt die israelische Regierung die Strategie, sowohl Menschenrechtsgruppen im eigenen Land mundtot zu machen, als auch ausländische Unterstützer der Palästinenser durch Einreiseverbote fernzuhalten. Der Goldstone-Bericht hat insofern eine Bresche in die Mauer des Schweigens geschlagen, als er die von der israelischen Führung beanspruchte alleinige Deutungshoheit bestreitet und deren monolithischer Sichtweise den Standard weithin anerkannter Rechtsauffassung entgegenhält. Mit einer an die McCarthy-Ära erinnernden Kampagne der Verdächtigung, Denunziation und Verfolgung von Kritikern israelischer Regierungspolitik versucht die Administration Netanjahus, alle Quellen auszutrocknen, die sich ihrem Zugriff entziehen und ein anderes Bild der Verhältnisse in Israel und den besetzten Gebieten an die internationale Öffentlichkeit tragen könnten.

Dieses Klima forcierter Abschottung und Bunkermentalität steigert womöglich noch die Brisanz des Prozesses um den Tod Rachel Corries, deren Schicksal das vor wenigen Tagen eröffnete Verfahren dem Vergessen entreißt. Ihre Mutter verlieh der Hoffnung Ausdruck, daß dieser Prozeß die Verantwortung der israelischen Okkupation für Tausende Todesopfer und Verletzte dokumentieren und die Angriffe auf gewaltlose Verteidiger der Menschenrechte aufzeigen werde. Die Familie suche nach wie vor Gerechtigkeit. Der brutale Tod ihrer Tochter hätte nie geschehen dürfen: "Wir sind der Auffassung, daß die israelische Armee für diese widerrechtliche Tötung zur Verantwortung gezogen werden muß." (World Socialist Web Site 19.03.10)

Die Familie fordert in diesem Verfahren 324.000 Dollar Entschädigung für besondere Aufwände im Zusammenhang mit dem Tod ihrer Tochter wie insbesondere die Beerdigung und Anwaltskosten. Zudem verlangt sie Kompensation für das Leid der Angehörigen wie auch die Verhängung von Strafgeldern gegen den Staat Israel. Über den materiellen Aspekt hinaus wird in diesem Verfahren zwangsläufig die Vorgehensweise der israelischen Armee bewertet.

Rachel Corrie wurde am 16. März 2003 von einem Bulldozer zerquetscht, als sie als Mitglied der von palästinensischen Freiwilligen geleiteten International Solidarity Movement an einer gewaltlosen Protestaktion gegen die Zerstörung von Häusern im Gazastreifen teilnahm. Um die berüchtigte "Sicherheitsmauer" zu errichten, walzte die Armee damals zahlreiche Wohnstätten der Palästinenser nieder, was die Aktivisten zu veröffentlichen und zu verhindern versuchten. Nach offizieller Version der Streitkräfte konnte der Fahrer des Bulldozers Rachel Corrie nicht sehen, da sie sich hinter einem Erdwall befunden habe.

Wie hinlänglich dokumentiert, haben Augenzeugen dieser Version widersprochen und dargelegt, daß Rachel Corrie wissentlich und mithin gezielt getötet wurde. Sie habe eine orangefarbene, fluoreszierende Jacke getragen, mit dem Fahrer des Bulldozers Sichtkontakt gehabt und zunächst vor dem Fahrzeug gekniet, worauf sie wieder aufgestanden sei. Trotz der Warnrufe der umstehenden Menschenmenge habe der Bulldozer nicht angehalten, die an einem Erdwall zu Fall kommende Aktivistin zunächst unter die Schaufel gezogen und dann mit seinem vorderen Teil überrollt, ehe er auf demselben Weg rückwärts gefahren sei.

Mehreren wichtigen Zeugen war zunächst die Einreise nach Israel verweigert, schließlich aber doch gestattet worden. Der palästinensische Arzt Ahmed Abu Nakira, der die sterbende Rachel Corrie zu behandeln versuchte und wenig später ihren Tod bestätigen mußte, darf weder am Verfahren in Haifa teilnehmen, noch per Videokonferenz aussagen. Nach Angaben des Anwalts der Familie, Hussein Abu Hussein, ist mit einem Urteil erst im nächsten Jahr zu rechnen. Obgleich die israelischen Behörden in den zurückliegenden sieben Jahren nichts unversucht gelassen haben, um den Tod Rachel Corries als selbstverschuldet zu bezeichnen und jede Verantwortung von sich zu weisen, ist die Aktivistin zu einem Symbol des Widerstands gegen die Willkür des Besatzungsregimes geworden.

22. März 2010