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FRIEDEN/1038: "Peace for our time" ... Weltordnung zwischen Krieg und Frieden (SB)



US-Präsident Barack Obama konnte nicht anders. Da die Verleihung des Friedensnobelpreises an ihn seit vielen Wochen bekannt war, wurden seine Entscheidungen zur Kriegführung in Afghanistan immer wieder mit dem ethischen Anspruch dieser Ehrung konterkariert. Die erst wenige Tage vor der Zeremonie in Oslo erfolgte Ankündigung der Entsendung von 30.000 weiteren US-Soldaten nach Zentralasien ließ das Crescendo der Mißbilligung dieser Preisvergabe auch in Mehrheitsmedien anschwellen, die üblicherweise großes Verständnis für die militärische Friedenssicherung haben. Allzu offenkundig ist der Widerspruch zwischen einem gewaltsam durchgesetzten Besatzungsregime und einem Bild des Friedens, das sich mit der Bombardierung von Zivilisten nicht so fugenlos in Einklang bringen läßt, als daß die Befriedungslogik der offiziellen Doktrin des sogenannten Afghanistaneinsatzes ihn ohne pseudokritische Verstärkungen brücken könnte.

Obamas Erklärung in seiner Rede zur Preisverleihung, daß Krieg "manchmal notwendig" sei, weil eine gewaltlose Bewegung weder Adolf Hitler bezwungen noch Al Qaida zur Aufgabe bewegt hätte, vollzieht die Logik dieser Befriedungspolitik. Daß das "Instrument des Krieges eine Rolle dabei spielt, den Frieden zu erhalten", kann das Nobelpreiskomitee denn auch ohne weiteres unterschreiben. Es hätte dem Präsidenten eines Staates, der permanent irgendwo auf der Welt Krieg führt, nicht geehrt, wenn die militärische Friedenssicherung nicht allgemein akzeptierter Bestandteil modernen Krisenmanagements wäre. Frieden bedeutet in diesem Sinne die Sicherung globaler Geschäftsgrundlagen auch unter Einsatz physischer Gewalt.

Der erweiterte Sicherheitsbegriff westlicher Administrationen zivilisiert den Krieg, indem ihm der Anstrich eines verrechtlichten Regulativs irregulärer Gewalt gegeben wird, und militarisiert das Zivile, indem soziale Repression mit militärischen Mitteln betrieben wird. Nation Building mit Bomben und Raketen, das Abhalten von Wahlen unter den Gewehrmündungen einer Besatzungsmacht, der Wiederaufbau kriegszerstörter Regionen als Projekt ökonomischer Expansion und militärischer Logistik, zivil-militärische Zusammenarbeit bei humanitärer Hilfe und Aufstandsbekämpfung - der moderne Imperialismus kleidet sich in die Farben der Zivilgesellschaft, wird nach Maßgabe wissenschaftlicher Managementtheorien organisiert und mit betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien optimiert. So gleicht sich der Einsatz von Soldaten als ausführende Organe einer Weltordnung, die die Bedingungen kapitalistischer Verwertung nicht nur im Bereich der NATO, sondern überall dort, wo deren Mitglieder Interessen verfolgen, sichern soll, den Praktiken der Gesellschaften an, die sie entsenden, et vice versa.

Das sich hier eröffnende Spektrum angeblicher Handlungsnotstände ist breit, denn es umfaßt jeden Faktor, der den ökonomisch determinierten Austausch von Waren, Kapital, Personen und Dienstleistungen beeinträchtigen könnte. Um die Ressourcen-, Handels- und Finanzinteressen führender Staaten durchsetzen zu können, werden diese zu einem System der Global Governance und universalen Werte abstrahiert, mit Hilfe dessen sich auch völkerrechtswidrige Eingriffsvorwände erwirtschaften lassen. Man bedient sich mit Begriffen wie "Polizeioperation", "humanitärer Intervention" und "Friedensmission" einer unterschwelligen Terminologie, mit der die Low Level Warfare nicht erklärter Kriege als Notstandsmaßnahme einer von asymmetrischen Bedrohungen heimgesuchten Welt legitimiert wird. In die supranationale Sphäre entuferte Legitimationskonstrukte korrespondieren mit staatsrechtlichen Ausnahmeregelungen, um Vollmachten exekutiver Gewaltanwendung zu generieren, die sich ohne weiteres mit der erklärten Absicht, Frieden zu schaffen und zu sichern, in Deckung bringen lassen.

So trägt die Wahl des diesjährigen Friedensnobelpreisträgers dazu bei, den Frieden des 21. Jahrhunderts auf die Füße eines permanenten Krieges zu stellen, der schon unterhalb der Schwelle manifester militärischer Gewaltanwendung in Form eines sozialen Weltkrieges zwischen arm und reich, zwischen Nord und Süd, zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen Lebensprivileg und Todesurteil tobt. Als umfriedete Bereiche und von Zäunen und Mauern eingefriedete Zonen geraten irreguläre Gewalt einhegende Maßnahmen wie die eingemauerten Stadtviertel Bagdads, die tödlichen Sperranlagen des Freiluftgefängnisses Gaza, die Hochsicherheitszäune der Gefangenenlager des Terrorkriegs, die mit elektronischer HighTech überwachten südlichen Grenzen der EU und USA wie auch die Gated Communities, in denen sich reiche Eliten von den sie umlagernden Hungerleidern separieren, zu wirkmächtigen Symbolen eines Weltfriedens, dem die Ordnung des Oben und Unten Sinn und Struktur gibt.

Wenn Barack Obama heute zur Hoffnung des Friedens im 21. Jahrhundert aufgebaut wird, dann steht er damit in bester Tradition. Als der damalige britische Premierminister Tony Blair 1999 den Internationalen Karlspreis für seine Verdienste um die europäische Einigung erhielt, da erfolgte dies explizit für seine Verdienste um die Eroberung Jugoslawiens durch die NATO. Der Sieg stand zu diesem Zeitpunkt noch aus, und so panzerte die britische Times zu diesem Anlaß ein berühmtes historisches Zitat mit dem Machtanspruch eigener Definitionsgewalt. "It Will Be Peace, on Our Terms", tönte es aus London in Richtung Belgrad, das zu bezwingen mit dem Sieg der westlichen Alliierten über Hitlerdeutschland verglichen wurde.

Vor diesem auch von Obama zur Legitimation seiner Kriegführung ins Feld geführten Sieg hatte Neville Chamberlain am 30. September 1938 die vorläufige Abwendung des drohenden Krieges mit Deutschland mit den Worten gefeiert, "Peace for our time" geschaffen zu haben. Die seitdem mit dem ideologischen Brandsatz "Appeasement" allen nicht kriegsbereiten Politikern entgegengeschleuderte Behauptung, man könne den Frieden nur sichern, wenn man frühzeitig zur Waffe greift, war schon damals irreführend, weil die britische Regierung mit diesem Schritt eine entscheidende Frist zur Vorbereitung des angeblich verhinderten Krieges gewonnen hatte. Mit dem Münchner Abkommen schwächte man zudem den Einfluß der Sowjetunion auf Mitteleuropa zum Preis der Zerschlagung der Tschecheslowakei durch seinen aggressiven Nachbarn Deutschland.

Friedenspolitik war auch damals ganz und gar vom strategischen Kalkül expansiver Staaten geprägt. Die westlichen Schutzmächte opferten die Tschechoslowakei dem Erlangen einer vermeintlich besseren Ausgangslage für einen ohnehin nicht mehr zu vermeidenden Krieg und entsprachen damit der vom NS-Regime vorgehaltenen Separatismuspropaganda. So bezeichnete Rudolf Heß die Tschechoslowakei kurz vor Abschluß des Münchner Abkommens als "Gefahrenherd für den Frieden in Europa", weil dieser Staat offensichtlich nicht in der Lage sei, "Ruhe und Ordnung innerhalb seiner Grenzen zu halten". Als westliche Kommentatoren 1999 die Gegner des Jugoslawienkriegs in grotesker Verkehrung von Täter und Opfer unter Verweis auf München des Appeasements ziehen, weil sie die NATO daran hinderten, den Frieden in Europa zu sichern, indem sie den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic dazu zwang, sich nicht mehr der gewaltsam angestrebten Abspaltung der serbischen Provinz Kosovo in den Weg zu stellen, bedienten sie sich des gleichen Arguments angeblich scheiternder Staatlichkeit, aufgrund derer Afghanistan in ein Protektorat der NATO verwandelt wurde.

Von den Kommandohöhen imperialistischer Großmächte aus betrieben fallen Friedenspolitik und Kriegführung in eins. Obamas Würdigung ist so abwegig nicht, wie es viele Kritiker bei vordergründiger Verwendung des Begriffs "Frieden" unterstellen. Ohne die Überwindung von Ausbeutung und Unterdrückung meint ein solcher Frieden vor allem den der Paläste. Wer dort keinen Zugang hat, wird, wenn er die Eigentumsordnung in Frage stellt, mit roher Gewalt befriedet. Im Schattenspiel scheinbarer Antagonismen bleibt dem Menschen, der dem Frieden nicht traut, aber die Konfrontation mit den Herren des Krieges scheut, nur noch, Chamberlains Anweisung an die britischen Bürger zu befolgen: "Go home and get a nice quiet sleep".

10. Dezember 2009