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FRIEDEN/1007: In Berlin will man sich mit Lieberman nicht sehen lassen (SB)



Wenig Aufhebens machte man in Berlin um den Besuch des israelischen Außenministers Avigdor Lieberman. Sein Besuch wurde protokollarisch so niedrig gehängt, wie es nur geht, wenn man einen diplomatischen Eklat gerade noch vermeiden will. Während der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi es sich nicht nehmen ließ, den Gast aus Israel persönlich zu empfangen, ging der französische Präsident Nicolas Sarkozy dem ungeliebten Politiker systematisch aus dem Weg. Nicht anders ergeht es Lieberman in Berlin - Bundeskanzlerin Angela Merkel dachte nicht daran, sich mit dem Außenminister Israels auf eine Weise zu schmücken, die ihr Wort von einer deutschen "Staatsräson", von der die Sicherheit und das Existenzrecht Israels nicht zu trennen seien, in wenig vorteilhaftem Licht hätte erscheinen lassen.

Keine gemeinsame Pressekonferenz, kein Fototermin - mehr als ein Abendessen mit Liebermans Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier soll nicht drin sein, wenn ein Politiker mit offen rassistischen Ansichten zu Gast in Berlin ist. Diesem Verhalten der Bundesregierung ist eine gewisse Schäbigkeit nicht abzusprechen. Zwar vertritt Lieberman mit der Ablehnung der Zweistaatlichkeit von Israelis und Palästinensern eine Position, die nicht der Nahostpolitik der Bundesregierung entspricht. Die Regierung unter Premierminister Benjamin Netanyahu ist jedoch nicht die erste israelische Administration, die Entscheidungen trifft, die sich nicht mit den Grundsätzen bundesrepublikanischer Außenpolitik in Deckung bringen lassen. Es ist auch nicht die erste israelische Administration, in der einzelne Minister mit praktischem wie ideologischem Rassismus negativ in Erscheinung treten.

Die schnöde Behandlung Liebermans entspricht nur bedingt deutschen Vorbehalten gegen seine Ansichten, sie ist in weit höherem Maße der opportunistischen Anpassung an die derzeitige Manöverlage im Weißen Haus in Washington geschuldet. Dort hält man seit dem Amtsantritt Netanyahus auf für US-Verhältnisse ungewöhnliche Distanz zur israelischen Regierung. Während sich US-Präsident Barack Obama letztes Jahr auf dem Treffen des sich selbst als "America's Pro-Israel Lobby" präsentierenden American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) vollmundig zur zionistischen Agenda bekannte, indem er Jerusalem als unteilbare Hauptstadt Israels bezeichnete, sprach dieses Jahr lediglich sein Vize Joe Biden zu den Delegierten und erhielt dafür, daß er sich für die Zweistaatenlösung aussprach, so gut wie keinen Applaus. Die Einladung des allseits beliebten israelischen Präsidenten Shimon Peres ins Weiße Haus erfolgte vor dem geplanten Besuch des israelischen Premierministers in Washington, was als dessen Zurücksetzung gewertet werden kann.

Nachdem die israelische Zeitung Jediot Ahronot gestern gemeldet hat, daß Netanyahu den Palästinensern lediglich "Selbstverwaltung" zugestehen und eine endgültige Friedensregelung nur schrittweise anstreben wolle, sehen sich die Regierungen der USA und EU mit einer Unbotmäßigkeit konfrontiert, die in anderen Fällen schon mal zu Zwangsmaßnahmen führen kann. Davon wird man in diesem Fall auch in Zukunft Abstand nehmen, wird mit dem Eintreten für die palästinensische Eigenstaatlichkeit doch ein eher symbolisches Ziel verfolgt, dessen Realisierung in zunehmendem Maße unwahrscheinlich ist. Wenn die israelische Landnahme im Westjordanland wie geplant voranschreitet, gibt es schon bald schlicht kein Territorium mehr für einen solchen Staat. Erschwerend hinzu kommt die Zerstörung der palästinensischen Gesellschaft durch die Besatzungspolitik, der unter anderem das tiefe Zerwürfnis zwischen Fatah und Hamas geschuldet ist. Ohne eine funktionsfähige politische Führung, die die Interessen aller Palästinenser vertritt, bleibt das Projekt eines eigenen Staates pure Fiktion.

Wenn die Regierungen der USA und EU es dennoch wie eine Monstranz vor sich hertragen, dann wirkt das wie das verschämte Schwenken einer Flagge, die man eigentlich gar nicht mehr vorzeigen kann, weil ihre Symbolkraft durch die einseitige Parteinahme für das zionistische Projekt praktisch dahin ist. Tatsächlich sind Netanyahu und Lieberman mit der Ablehnung jeglicher Zugeständnisse an die Adresse der Palästinenser weit glaubwürdiger als Regierungen, die seit Beginn des Oslo-Prozesses behaupten, etwas für die Verbesserung der Lage der Palästinenser tun zu wollen, es jedoch vollständig an Taten mangeln lassen, die dies bewirkten. Ganz im Gegenteil, durch die Willfährigkeit, mit der man in den USA und der EU vermieden hat, das zionistische Projekt zu unterbinden, hat man die Handlungsfähigkeit der israelischen Regierungen deutlich gestärkt.

Indem man dem von aller Welt gescholtenen Lieberman in Berlin einen frostigen Empfang bereitet, lastet man die nichtvorhandene Bereitschaft der Bundesregierung, selbst minimale Ziele zugunsten der Palästinenser durchzusetzen, auf einen Regierungspolitiker Israels um, dessen Ruf bereits ruiniert ist. Eine solch defensive Politik des geringsten Widerstands wäre in einem Fall sie Afghanistan, wo deutsche Soldaten selbst als Besatzer auftreten, allemal indiziert, doch dort wird angesichts der Schwäche des Gegners Stärke demonstriert. Hinsichtlich einer Lösung für den Nahostkonflikt Stärke zu beweisen könnte zum Beispiel bedeuten, einen Vertreter der gewählten palästinensischen Regierung in Gaza offiziell in Berlin zu empfangen. Da die Berührungsängste im Falle der Hamas jedoch unüberwindbar zu sein scheinen, wäre ein demonstrativer Schulterschluß mit Lieberman zumindest konsequent gewesen.

7. April 2009