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FRIEDEN/1001: Obama gaukelt der Welt atomare Abrüstung vor (SB)



Wer Barack Obama als Friedensbringer feiert, sollte nicht übersehen, daß vor ihm schon Ronald Reagan, George Schultz und Henry Kissinger die Vision einer Welt ohne Atomwaffen im Munde führten, die als Kriegstreiber und Globalstrategen ihresgleichen suchten. Aus Sicht der USA und ihrer Verbündeten sind atomare Verteidigungsmittel in des Gegners Hand angesichts der eigenen haushohen Überlegenheit an konventionellen Waffen die letzte und vorerst unüberwindliche Schranke vor der Durchsetzung einer finalen Weltordnung. Diese Logik der Herrschaftssicherung gebietet eine atomare Entwaffnung unter Kontrolle der USA, die ihre eigenen Risiken minimiert und zugleich ihr Angriffspotential in gleichem Maße stärkt, wie die Erpreßbarkeit ihrer potentiellen Feinde bis zur Wehrlosigkeit wächst.

Ronald Reagan überraschte Freund und Feind, als er auf einem Gipfel mit seinem sowjetischen Amtskollegen Michail Gorbatschow im Jahr 1986 die Abschaffung aller Atomwaffen ins Auge faßte. Wie es heißt, standen damals Pentagon, Kongreß und Verbündete Kopf, weil sie erst aus der Presse davon erfuhren. Bekanntlich war das kühne Vorhaben jedoch bereits gestorben, bevor die beiden Staatschefs auseinandergingen. Gorbatschow hatte den Braten gerochen und auf einer gleichzeitigen Beschränkung des "Star Wars"-Programms bestanden, von dem sich Reagan eine wirksame Verteidigung gegen Angriffe mit Atomwaffen erhoffte. Das war für den US-Präsidenten natürlich nicht verhandelbar.

Nun will es Barack Obama besser machen, der sich als Jongleur der mediengenerierten öffentlichen Meinung jederzeit mit dem "großen Kommunikator" aus den Tagen des Kalten Krieges messen kann. Während man bei Reagan noch wußte, daß er ein gelernter Schauspieler war, dessen Talent erst im Weißen Haus seine wahre Bestimmung fand, hat man es nun mit der Personifizierung einer machtbewußten Anpassungsleistung zu tun, welche die Unterwürfigkeit eines Colin Powell oder die offene Aggressivität einer Condoleezza Rice zu dilettantischen Anläufen auf den Gipfel degradiert.

Auf dem Prager Hradschin-Platz jubelten Obama 30.000 Menschen zu, als er eloquent sein "Global zero" verkündete, obwohl er den Tschechen zugleich die Radaranlagen aufs Auge drücken will, die von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung vehement abgelehnt werden. Den Zorn müssen der scheidende Regierungschef Mirek Topolanek und dessen Nachfolger ausbaden, die ihren Landsleuten schwerlich die Gewißheit ausreden können, daß man sich bei Errichtung einer solchen Anlage zur Zielscheibe gegnerischer Raketenangriffe macht. Daß die Tschechen das Märchen glauben, der geplante Raketenabwehrschild gelte Angriffen des Irans, ist kaum anzunehmen. Ihre Geschichte müßte sie eigentlich lehren, daß es für die Amerikaner nach wie vor gegen die Russen geht, auch wenn der Umweg über Teheran genommen wird.

Mit verbalen Samthandschuhen versicherte Obama, Teheran habe das Recht, Atomenergie friedlich zu nutzen. Die Islamische Republik müsse aber umfangreiche Kontrollen der Internationalen Atomenergiebehörde zulassen. Man werde an den Planungen für einen Raketenschild in Mitteleuropa so lange festhalten, wie das iranische Atomprogramm als Gefahr einzustufen sei. Das erinnert zwangsläufig an Ronald Reagans Versuch, die Erstschlagskapazität zu erringen, wie George W. Bushs Blendwerk von Massenvernichtungswaffen im Mittleren Osten.

Daß Obama dennoch nicht als Plagiator abgewinkt oder als Verkäufer von altem Wein in neuen Schläuchen entlarvt wird, hat zwei gewichtige Gründe. Zum einen ist er ein Meister der Präsentation, der eine bislang unerreichte Kombination von Souveränität und Volksnähe in seinem Amt verkörpert. Zum andern fungiert er als Bannerträger einer neuen Stufe globalstrategischer Zugriffsentwicklung, die sich nicht nur in die Lebensnerven Rußlands und Chinas gräbt, sondern nicht minder tief das Bewußtsein der Menschen infiltriert. Inmitten der kapitalistischen Systemkrise, weltweiter Hungersnöte, dramatischer Klimaveränderungen, um sich greifender Verelendung und unablässiger Kriegszüge mit der Formel, daß wir es schaffen können, zum Heilsbringer zu avancieren, läßt Schlimmstes von diesem Mann befürchten.

Der Zeitpunkt, den Abbau der Arsenale, die Einstellung von Atomwaffentests und ein Verbot der Herstellung kernwaffenfähigen Materials zu fordern, ist nicht zufällig gewählt. Im Dezember will man mit Rußland eine Nachfolgevereinbarung für das auslaufende START-1-Abkommen von 1991 aushandeln, die diesmal auch in den USA ratifiziert werden soll. Im Mai 2010 könnte dann der Atomwaffensperrvertrag von 1970 einen neuen Anschub erhalten. Nach einem Jahrzehnt absoluter Stagnation auf dem Feld atomarer Abrüstungsgespräche und furchterregender Fortschritte der US-Militärs auf dem Gebiet kleiner Atombomben und konventioneller Waffen mit vergleichbarer Wirkung droht unter Obama nun eine Offensive großen Stils, die auf den Schwingen einer angehimmelten Friedenstaube über die Welt kommt.

6. April 2009