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FRIEDEN/0992: Grenzen der EU-Außenpolitik im Nahen Osten (SB)



Die Frage einer direkten Beteiligung der palästinensischen Hamas an einer Friedenslösung wird von der großen Mehrheit der EU-Regierungen nach wie vor negativ beantwortet. Da die Hamas als 2006 an die Regierung gewählte Partei nicht weniger den demokratischen Willen der Palästinenser repräsentiert als ihr Präsident Mahmud Abbas, dessen Amtszeit am 9. Januar ausgelaufen ist, bestände der naheliegende nächste Schritt in Richtung auf eine dauerhafte Friedenslösung in der Bildung einer Einheitsregierung, die aus Vertretern aller größeren palästinensischen Parteien, also vor allem der Fatah und Hamas, bestände.

An Signalen seitens der Hamas, sich einer solchen Entwicklung nicht zu verweigern, wenn die künftige Regierung Israels das staatliche Existenzrecht der Palästinenser ebenso anerkenne, wie es von ihnen gegenüber Israel verlangt wird, und wenn sie die völkerrechtlich legitimen Forderungen nach Rückzug der israelischen Siedler und Soldaten hinter die Grenzen von 1967 sowie die Anerkennung des Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge respektiere, mangelt es nicht. Bei allen Vorbehalten gegenüber der islamischen Partei verlangt die politische Vernunft, die Entwicklung der PLO von einer gegen Israel kämpfenden Befreiungsbewegung zu einem international anerkannten Verhandlungspartner Israels als Vorlage für die weitere Annäherung der Konfliktparteien zu nehmen.

Ganz offensichtlich ist man in der EU jedoch nicht bereit, pragmatische Schritte zu gehen, anstatt ideologische Unvereinbarkeiten zu postulieren. So wurde die Initiative Frankreichs, die Bereitschaft der EU zu erklären, Gespräche mit einer palästinensischen Einheitsregierung unter Beteiligung der Hamas zu führen, so lange diese die Prinzipien des Friedensprozesses akzeptiere, sowie zu fordern, die israelischen Grenzübergänge in den Gazastreifen ohne Vorbedingungen sofort zu öffnen, durch die Intervention Israels torpediert. Auf dem jüngsten Brüssler Außenministertreffen brachten die tschechische Ratspräsidentschaft mit Unterstützung Deutschlands, Italiens und der Niederlande den französischen Vorstoß zu Fall (Inter Press Service, 07.02.2009).

Daß man in Israel aus politischen Gründen versucht, die Hamas dauerhaft von jeder direkten Beteiligung an Verhandlungen auszuschließen, ist eine Sache. Da man in Tel Aviv nicht - und mit dem allgemeinen Rechtsruck der israelischen Gesellschaft immer weniger - zu besagten Zugeständnissen bereit ist, setzt man darauf, in Präsident Mahmud Abbas und seiner Notstandsregierung Gesprächspartner zu haben, die eher dazu zu bringen wären, territoriale und staatsrechtliche Zugeständnisse an Israel zu machen.

Daß diese Strategie von der EU mitgetragen wird, entbehrt angesichts der Aussichtslosigkeit, in der sich die Palästinenser befinden, und dem daraus resultierenden Fortbestand eines schwärenden Konfliktherds allerdings nämlicher Vernunft. Eine mit Abbas auszuhandelnde Friedenslösung, die den Palästinensern weniger als diejenigen 22 Prozent des britischen Mandatsgebiets Palästina zugestände, auf denen sie bis 1967 lebten, böte keine Grundlage für eine selbsttragende staatliche Entwicklung Palästinas. Dies gilt auch für die von Tel Aviv verlangten Einschränkungen der hoheitlichen Rechte eines solchen Staates wie etwa die fortdauernde Kontrolle der Grenzen und des Luftraums eines künftigen Palästinas durch die israelischen Streitkräfte.

Indem die EU-Regierungen die Angriffe Israels auf den Gazastreifen mehrheitlich als Akt der Selbstverteidigung gutgeheißen haben und mit dem bereits zwei Jahre währenden diplomatischen Boykott der palästinensischen Regierungspartei Hamas fortfahren, vergeben sie die Chance darauf, die von ihnen angestrebte größere Einflußnahme auf die Region des Nahen und Mittleren Ostens zu erreichen. Indem sie eine unvoreingenommene und eigenständige Nahostpolitik von vornherein vermeiden und alle Entscheidungen unter die Kuratel Washingtons und Tel Avivs stellen, werden sich ihre Aktivitäten auch in Zukunft auf Handreichungen zugunsten Israels und symbolische Bekundungen nicht zu verwirklichender Friedensabsichten beschränken.

Die große Bedeutung, die die Region für die Außenpolitik der EU besitzt, resultiert daraus, daß dem in unmittelbarer Nähe der eigenen Grenzen ausgetragenen Konflikt eine Achsenstellung innerhalb des islamischen Großraums zwischen dem westlichen Nordafrika und Pakistan zukommt. Gleichzeitig verfügt die EU dort über weniger politische Handhabe als in vielen anderen, weit entfernter gelegenen Weltregionen. Der opportunistische Versuch, sich im Schatten Washingtons zu profilieren, hat bislang ausschließlich Demonstrationen der eigenen Handlungsunfähigkeit produziert. An diesem Sachstand sind die ambitionierten Pläne der EU, zu einem wichtigen, mit den USA in einer Liga spielenden weltpolitischen Akteur zu werden, zu bemessen und zu verwerfen.

Daran wird auch die Anbahnung einer neuen transatlantischen Kooperation nichts ändern. Selbst wenn man in Washington zusehends bereit ist, der EU mehr Mitsprache bei weltpolitisch bedeutsamen Entscheidungen zuzubilligen, so ist damit gerade nicht gemeint, daß die EU im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern die große Benachteiligung letzterer aktiv korrigiert. In den europäischen Hauptstädten sieht man sich viel mehr in der Pflicht, den Wünschen Washingtons und Tel Avivs zu entsprechen, um in Afghanistan und auf anderen Kriegsschauplätzen mehr Einfluß zugestanden zu bekommen.

Dem antagonistischen Verhältnis, das die EU zur Hamas aufrechterhält, kommt also auch in Zukunft die Rolle eines Lackmustests für ihre Eignung zu, überhaupt als weltpolitischer Akteur in Erscheinung zu treten. Es handelt sich um eine Art Eingangsbedingung für die Durchsetzung imperialistischer Ziele, die verstärkt in transatlantischer Handlungsgemeinschaft erreicht werden sollen. Vollzöge die EU plötzlich eine Kehrtwende und setzte sich für die völkerrechtlichen und humanitären Belange der Palästinenser ein, dann fände das in der arabischen Welt zweifellos Beifall, führte aber zum Bruch mit den USA und Israel. Das Resultat bestände in einer grundsätzlich veränderten globalen Landschaft, in der Bündnisse und Allianzen möglich würden, die den Beginn einer eigenständigen, nicht länger imperialistischen Außenpolitik der EU markieren könnten.

Natürlich gibt es für eine solche Entwicklung nicht den geringsten Anhaltspunkt, setzte das doch eine völlig andere, nicht mehr allein kapitalistischer Herrschaftsicherung verpflichtete Europäische Union voraus. Am Umgang mit den Palästinensern im allgemeinen und der Hamas als derzeitige Vertreterin authentischer palästinensischer Interessen im besonderen hängt mehr als das bloße Krisenmanagement in einem eng umgrenzten Konflikt. An ihm entscheidet sich unter anderem, wie sehr die EU überhaupt demokratischen Grundsätzen und internationalem Recht verpflichtet ist.

10. Februar 2009