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REDE/007: Schäuble - Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus, 29.9. (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, zum Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus vor dem Deutschen Bundestag am 29. September 2011 in Berlin


Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Wir führen diese Debatte in einer Zeit, in der die Menschen in unserem Lande mit großen Sorgen auf das, was wir hier zu behandeln und zu entscheiden haben, schauen. Nicht nur die Menschen in unserem Lande, sondern auch die Menschen in vielen anderen Ländern in Europa und auf anderen Kontinenten dieser Welt machen sich Sorgen, dass sich die unruhige Lage auf den Finanzmärkten - anders als 2008, aber in einer vergleichbaren Weise - zu einer großen Krise ausweiten könnte. Das hat auch die Tagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in der vergangenen Woche sehr geprägt. Wir müssen uns dieser Verantwortung bewusst sein.

Wir müssen uns im Übrigen auch bewusst sein - ich glaube, das gilt auch für die Art und Weise, wie wir diese Debatte führen, nämlich mit Respekt vor den Argumenten des einen und den Bedenken des anderen; denn keinem fällt diese Entscheidung leicht -, dass sich die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande fragt: Ist die Politik in der Lage, diese Entwicklungen zu steuern? Sind die Entscheidungen, die wir treffen, zu verantworten? Haben wir die Chance, das, was wir in Jahrzehnten erreicht haben, für die Zukunft zu sichern?

Es ist wichtig, dass man klarmacht: Wir haben im vergangenen Jahr, in der Nacht vom 9. auf den 10. Mai 2010, beschlossen, übergangsweise eine Finanzstabilisierungsfazilität in Europa zu schaffen, die ermöglichen soll, Ansteckungsgefahren zu bekämpfen, bis wir, um den Zeitraum zu überbrücken, eine dauerhafte Regelung in Europa zustande bringen. Das braucht in Europa manchmal mehr Zeit, als wir für wünschenswert halten; aber es ist so.

Diese ist auf ein Volumen von 440 Milliarden Euro festgelegt worden. Diese 440 Milliarden Euro werden durch die Entscheidungen, die wir jetzt in nationale Gesetzgebung umsetzen, bereitgestellt. Die Mechanik dieser Finanzstabilisierungsfazilität ist so ausgestaltet, dass wir unter der Bedingung der Bewertung mit der höchsten Bonitätsstufe nur dann 440 Milliarden Euro - dieser Betrag ist die Obergrenze - auf den Anleihemärkten aufnehmen können, wenn die Garantien der Länder, die über diese Bonität verfügen, entsprechend aufgestockt werden. Deswegen beträgt der deutsche Garantierahmen 211 Milliarden Euro; er wird nicht erhöht und steht nicht zur Debatte. Das ist die Entscheidung, die getroffen wurde.

Im Übrigen treffen wir heute auch die Entscheidung - der Vorsitzende der Unionsfraktion, Volker Kauder, hat das ausgeführt -, dass in Zukunft alle Entscheidungen in diesem Zusammenhang - niemand weiß, was die Zukunft bringt; das ist immer so gewesen - der Zustimmung des Deutschen Bundestags bedürfen. Insofern sollten wir uns nicht gegenseitig fragen: Was kommt als Nächstes? Wer hat dies oder jenes vor? Entweder führt dies zu Verunsicherung oder es ist unseriös. In Wahrheit ist es auch unanständig.

Herr Kollege Schneider, da gestern Vormittag unter den Sprechern im Haushaltsausschuss verabredet worden ist, dass die persönliche Anwesenheit des Bundesfinanzministers im Haushaltsausschuss nicht erwartet wird, sollte man abends nach der Sitzung nicht das Gegenteil sagen. Das ist eine Form der Diffamierung, die ich persönlich für nicht in Ordnung halte. Es wird auch nichts vergeheimnist und verschwiegen. Natürlich darf man aber nicht zu jedem Zeitpunkt jede Spekulation auf dem Markt austragen.

Herr Kollege Oppermann, von der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, die ein Gesamtvolumen von 440 Milliarden Euro hat - auch dazu braucht es keine Aufforderung; die entsprechenden Zahlen sind oft genug im Deutschen Bundestag genannt worden -, sind bisher durch das Programm für Portugal insgesamt 26 Milliarden Euro und durch das Programm für Irland insgesamt 17,7 Milliarden Euro zulasten der EFSF belegt worden. Davon wurden jeweils die bisherigen Raten ausbezahlt, nicht mehr und nicht weniger. Das ist im Haushaltsausschuss zu jeder Zeit dargelegt worden. Hier wird also nichts verschwiegen. Ich habe Ihre Aufforderung aber gerne zum Anlass genommen, dies noch einmal klarzustellen.

Herr Kollege Schick, die Antwort ist völlig eindeutig: Die Guidelines, die für die erweiterte EFSF angewendet werden, sind noch nicht abschließend verhandelt. Der Bundestag hat die Absicht, zu beschließen - genau das steht in dem Gesetzentwurf, den wir hier in zweiter und dritter Lesung behandeln -, dass diese Guidelines der Zustimmung des Deutschen Bundestags bedürfen. Danach werden wir das in diesem Rahmen behandeln. Deswegen ist jede Verdächtigung und jede Verunsicherung unanständig und unangemessen.

Im Übrigen bleibt es dabei: Wir beschließen einen deutschen Garantierahmen von 211 Milliarden Euro. Der ist hoch genug. Herr Kollege Schneider, die Sache ist zu ernst, als dass Sie die Bevölkerung, die verunsichert genug ist, auf diese Weise weiter durch falsche Behauptungen und Insinuierungen verunsichern sollten, wenn Sie mit uns gemeinsam Verantwortung dafür tragen wollen, dass wir Europas Sicherheit und unsere Währung erhalten.

Ich will eine zweite Bemerkung machen. Herr Kollege Steinbrück, man muss sich entscheiden. Wir sind übereinstimmend der Auffassung, dass die Europäische Zentralbank auch in Extremsituationen - Sie wissen, was alles Extremsituationen sein können; Sie haben das im Amt des Bundesfinanzministers erlitten - nicht die Aufgabe hat oder nicht haben sollte, am Sekundärmarkt zu intervenieren. Gerade deswegen ist es richtig, dass wir der EFSF diese Möglichkeit unter engen Voraussetzungen einräumen. Es bedarf in jedem Fall eines Memorandum of Understanding, und auf jeden Fall ist durch das, was wir heute beschließen, die Beteiligung des Deutschen Bundestages an diesen Entscheidungen sichergestellt. Das eine oder das andere müssen wir machen. In Ihrer Rede haben Sie beides kritisiert. Das war eines zu viel. Darauf wollte ich aufmerksam machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt noch einmal in großer Klarheit: Wir sind in einer außergewöhnlich schwierigen Lage, weil die Nervosität an den Finanzmärkten hoch ist und weil die Gefahr besteht, dass sich die Beunruhigung der Finanzmärkte auch auf die Realwirtschaft auswirken kann. Das haben wir erlebt. Sie haben das vor drei Jahren nicht für möglich gehalten. Es ist dann so gekommen; man kennt die Zukunft nicht genau im Vorhinein. Deswegen ist es klug, dass wir unsere Verantwortung mit großem Ernst wahrnehmen und dass über jeden Schritt offen diskutiert und auch entschieden wird.

Ich will daher die nächsten Schritte beschreiben: Wir gehen jetzt hinsichtlich des Kreditprogramms für Griechenland, das im April des vergangenen Jahres beschlossen wurde, weiter vor. Internationaler Währungsfonds, Europäische Zentralbank und Europäische Kommission, die zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für die Auszahlung der nächsten Tranche gegeben sind, werden ihre Mission heute wieder aufnehmen. Nur wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, wird die nächste Tranche ausgezahlt werden. Darüber wird voraussichtlich in der Sitzung der Euro-Gruppe am 13. Oktober 2011 eine Entscheidung zu treffen sein. Die Entscheidung ist offen, weil wir den Bericht noch nicht haben. Erst wenn wir den Bericht haben, werden und können wir entscheiden.

Dann wird sich zeigen - darüber haben wir im Juni und Juli schon diskutiert -, welche Voraussetzungen erfüllt werden müssen, damit Griechenland auf längere Sicht tragfähig wird. Der griechische Ministerpräsident hat in diesen Tagen auch auf Initiative der deutschen Bundesregierung - Herr Kollege Rösler, wir beide haben uns da sehr engagiert - mit vielen verantwortlichen Vertretern der deutschen Wirtschaft darüber geredet, ob die deutsche Wirtschaft bereit ist, sich stärker am Aufbau einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft in Europa zu beteiligen.

Die Europäische Kommission soll die Fonds noch effizienter und noch schneller nutzen können. Die Bundesregierung drängt darauf; die Staats- und Regierungschefs haben das verlangt. Aber jeder weiß: Die Entscheidungsprozesse in Brüssel sind nicht so schnell und einfach, wie wir uns das gelegentlich wünschen würden.

Um auch dieses zu sagen: Ich bin froh, dass die Europäische Kommission endlich - ich habe anderthalb Jahre darauf gedrängt - eine Initiative für eine Finanztransaktionsteuer ergriffen hat; denn sie alleine hat das Recht für solche Initiativen. In den letzten anderthalb Jahren haben wir hier wieder und wieder darüber geredet. Gestern hat sie endlich den Vorschlag gemacht. Sie können sich darauf verlassen, dass die Bundesregierung alles daransetzen wird, dass diese Initiative so schnell wie möglich zu einem Erfolg gebracht wird. Ich glaube, dass das ein weiterer guter Schritt ist.

Wir sind uns doch in diesen Fragen einig. Das ist eine gemeinsame Position der Bundesregierung. Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone haben das am 21. Juli wieder gefordert.

Übrigens, das, was jetzt in den fast sechs Gesetzgebungsvorschlägen zur Verstärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes im Parlament akzeptiert worden ist, geht auf die Arbeiten der Taskforce unter dem Ratspräsidenten Van Rompuy zurück, die auf Initiative der Bundeskanzlerin zur Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes im vergangenen Jahr eingeleitet wurden. Das wird jetzt umgesetzt, und ich bin froh, dass es endlich erreicht worden ist.

Herr Kollege Trittin, mit allem Respekt: Überschüsse und Defizite sind etwas Unterschiedliches. Im Gesetzgebungspaket ist genau festgelegt, dass das nicht das Gleiche ist. Die Euro-Zone als Ganzes hat ein Gleichgewicht nur deswegen, weil Deutschland einen Leistungsbilanzüberschuss hat. Sonst wäre der Euro eine Defizitwährung. Gott sei Dank hat Deutschland einen Leistungsbilanzüberschuss, mit dem wir Europa insgesamt stabilisieren können. Deswegen sollten Sie das nicht kritisieren und nicht sagen, die Überschüsse seien schuld an den Problemen. Nein, die Schulden und die Defizite sind die Ursache der Probleme, und die müssen wir gemeinsam bekämpfen.

Ich will auch sagen: Wir werden jede Möglichkeit nutzen. Was wir national noch an Gesetzgebungsspielraum hatten, haben wir ausgeschöpft. Wir haben in Deutschland im Gegensatz zu anderen ein Restrukturierungsgesetz für die Banken verabschiedet. Wir haben im Gegensatz zu anderen im Alleingang - viel kritisiert - bereits im vergangenen Jahr ungedeckte Leerverkäufe national verboten. Mehr Spielraum hat der nationale Gesetzgeber nicht. Aber wir werden darauf drängen - ich hoffe, alle im Europäischen Parlament, auch Ihre Kollegen und Freunde -, dass wir mehr und schneller regulieren. Ich bin in der Tat der Meinung, dass die Frage, ob die Politik für die Märkte schnell genug ist, so beantwortet werden muss, dass wir als Politik die Märkte so regeln, dass klar ist, dass die demokratisch legitimierte Politik die Regeln macht, Grenzen setzt und dies auch durchsetzt.

Es darf nicht sein, dass wir wegen des Arguments der Standortvorteile am Ende nicht in der Lage sind, zu Entscheidungen zu kommen. Nein, wir wollen besser regulierte Märkte. Wir wollen die strukturierten Produkte transparenter und besser regulieren. Bei jedem Schritt in diese Richtung werden wir im europäischen und weltweiten Rahmen darauf drängen, so schnell wie möglich voranzukommen. Es muss klar sein: Gerade bei der Frage der demokratischen Legitimation geht es einerseits darum, dass die Märkte der Welt nicht sicher sind, ob die westlichen Demokratien noch schnell genug die notwendigen Entscheidungen treffen können -, und andererseits darum, dass unsere Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich der Frage verzweifeln, ob die Märkte die Oberhand haben oder ob die Politik entscheidet. Wenn die freiheitlich und rechtsstaatlich verfasste Demokratie stabil bleiben will, muss sie klarmachen, dass sie die Regeln setzt und diese auch durchsetzt, und dazu ist die Bundesregierung entschlossen.

Deswegen, liebe Freunde: Die Solidarität der Deutschen ist klar. Sie muss sich auch darin zeigen, dass wir weiterhin eine Finanz- und Wirtschaftspolitik betreiben, die dafür sorgt, dass Deutschland ein Anker der Stabilität in Europa und ein Motor des europäischen Wachstums bleibt. Die Bundesregierung wird auf diesem erfolgreichen Weg weiter vorangehen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 99-1 vom 29.09.2011
Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble,
zum Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen
im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus vor dem
Deutschen Bundestag am 29. September 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Oktober 2011