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INTERNATIONAL/063: IWF warnt vor Folgen von Steuervermeidungsstrategien großer Konzerne für arme Länder (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Juni 2014

Finanzen: 'Revolutionärer Vorstoß' - IWF warnt vor Folgen von Steuervermeidungsstrategien großer Konzerne für arme Länder

von Carey L. Biron



Washington, 27. Juni (IPS) - Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds (IWF) haben in einem neuen Papier ungewohnt deutlich auf die Gefahren hingewiesen, die die fehlende Harmonisierung der internationalen Steuerpolitik insbesondere für die Entwicklungsländer mit sich bringt.

Der Vorstoß kam bei Armutsbekämpfungsorganisationen gut an, zumal sie sich selbst für weitreichende Steuerreformen auf nationaler und internationaler Ebene starkmachen. Bisher waren ihre Forderungen auf taube Ohren gestoßen.

"Das ist wahrlich ein revolutionäres Papier", sagte Jo Marie Griesgraber, Geschäftsführerin des Netzwerks 'New Rules for Global Finance Coalition' mit Sitz in Washington, gegenüber IPS. "Es setzt sich ausführlich mit vielen Steueraspekten auseinander und verweist auf die äußerst negativen Folgen für die Entwicklungsländer. Unter anderem wird gesagt, dass die traditionelle Steuertheorie und empirische Erkenntnisse nicht zusammengeführt werden."


Unmut bei Staaten und Bürgern

Der Report ist auch Ausdruck für die zunehmende Bereitschaft der G20-Industrieländer, die Schlupflöcher zu schließen, die transnationale Konzerne nutzen, um sich vor der Zahlung von Steuern zu drücken. Die G20 hatte den IWF zu diesbezüglichen Untersuchungen angewiesen. Die Ergebnisse sind auch deshalb bemerkenswert, weil sie sich auf die Folgen der Steuervermeidungstricks auf die Entwicklungsländer konzentrieren.

"Bei unserer technischen Arbeit in den Entwicklungsländern stoßen wir immer wieder auf große Einnahmenverluste, die auf Lücken und Schwächen des internationalen Steuersystems zurückzuführen sind", erklärte Michael Keen, Vizedirektor der IWF-Steuerabteilung, in der neuen Untersuchung. "Die Beträge, um die es dabei geht, können sehr hoch sein und zwar nicht nur in Relation zu der Körperschaftssteuer, sondern zu allen anderen Steuereinnahmen: In einigen Fällen betragen sie zwischen zehn bis 15 Prozent."

Der Anteil der zu zahlenden Körperschaftssteuern sei in allen Ländern in den letzten Jahrzehnten rückläufig, heißt es in dem Papier. In den Ländern mit einem niedrigen Einkommen schrumpfte er von fast 50 Prozent 1980 auf unter 30 Prozent im letzten Jahr. In Ländern mit hohen Einkommen sei der Anteil in den letzten drei Jahrzehnten von 40 Prozent auf knapp über 20 Prozent gesunken.

Solche Entwicklungen werden zwar bereits seit vielen Jahren zur Kenntnis genommen. Doch erst seit der globalen Finanzkrise diskutieren die reichen Länder und die Staaten mit mittleren Einkommen über Möglichkeiten, ihre Steuereinnahmen zu maximieren. Sie legen ihren Fokus vorrangig auf Strategien, die den Steuervermeidungstricks der großen Konzerne einen Riegel vorschieben sollen.

Schätzungen zufolge dürften große Unternehmen und Einzelpersonen insgesamt mehr als 20 Billionen US-Dollar in Übersee bunkern, um sie vor der nationalen Besteuerung zu schützen.

"Industriestaaten sind auf höhere Einnahmen angewiesen. Dass nicht jeder seine Steuern zahlt, bringt sie in Rage", betonte Griesgraber. "Und der Zorn überträgt sich auf die Öffentlichkeit, die ihrerseits Druck macht. Menschen, die auch in schwierigen Zeiten ihre Steuern zahlen, sind noch empörter als die Regierungen."


Spillover-Effekt

Das Papier bietet neue Erkenntnisse über den vom IWF als 'Spillover' bezeichneten Effekt. Darunter werden die Auswirkungen verstanden, die die Steuergesetze eines Landes auf ein anderes haben. In diesem Zusammenhang ist auch häufig von Steuerkonkurrenz die Rede.

Dieses Phänomen hat sich verschärft, da multinationale Konzerne gelernt haben, wie sie zum Zweck der Steuervermeidung rechtlich am besten verfahren. So lassen sich die Unternehmen häufig in steuergünstigen Ländern nieder, obwohl sie den Großteil ihrer Operationen in einem anderen Land durchführen. Dies hat für die Konzerne zudem den Vorteil, dass es quasi unmöglich ist, die gesamten Einnahmen zu erfassen und zu besteuern.

Für das derzeitige internationale Steuersystem seien nur zwei Faktoren entscheidend: der Firmensitz und der Ort, an dem die Einnahmen generiert würden, heißt es in dem IWF-Dokument. Diese beiden Faktoren seien in Zeiten der Globalisierung irrelevant geworden. Eine gerechte Aufteilung der Steuereinnahmen zwischen Ort des Sitzes und Ort der Investitionen sei gerade für die Entwicklungsländer entscheidend.

Als besonders problematische Wirtschaftssegmente führen die IWF- Mitarbeiter die Rohstoffindustrie und die Telekommunikationsunternehmen an. Sie verweisen auf zahlreiche Entwicklungsländer, die einen Großteil ihrer Steuereinnahmen aufgrund von Steuertricksereien einbüßen. Der Großteil der 100-Milliarden- Dollar-Investitionen in den Goldsektor in den letzten zehn Jahren sei fast vollständig über Schulden finanziert worden.

Der IWF geht sogar soweit, Staaten vor dem Abschluss bilateraler Steuerabkommen zu warnen. Den Entwicklungsländern wird sogar geraten, ihre Offenheit Investitionen gegenüber auf andere Art zu signalisieren. Durch solche Verträge könnten Länder ihr Recht auf eine Vollbesteuerung verlieren, heißt es.

"Die IWF-Analyse wirft einige beunruhigende Fragen zu den Auswirkungen von Steuerbestimmungen und -praktiken im Zusammenhang mit der Fähigkeit armer Länder auf, ihre eigenen Einnahmen einzutreiben", sagte Diarmid O'Sullivan, Steuerexperte bei 'ActionAid' in Washington. "Wir erkennen eine klare Botschaft an die Adresse der großen Kapitalexportländer, ihre Steuergesetze zu überdenken und sicherzustellen, dass sie nicht die Möglichkeiten armer Länder beeinträchtigen, die Steuern einzuziehen, die sie für ihre Entwicklung brauchen."


Umfassender Reformansatz

Als ein wichtiger Schritt, den Regierungen und zivilgesellschaftliche Organisationen einfordern, um die Steuerhinterziehung großer Konzerne zu beenden, ist ein automatisierter zwischenstaatlicher Austausch von Steuerinformationen. Auf diese Weise ließen sich die Diskrepanzen, die sich die Steuerakrobaten zunutze machen, sofort erkennen.

Im Februar hatte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) der 34 reichen Länder einen solchen Vorschlag unterbreitet. Doch Armutsbekämpfungsorganisationen bemängeln, dass die armen Staaten zu den Gesprächen über die OECD-Pläne nicht hinzugezogen wurden. Einem OECD-Sprecher zufolge soll dies jedoch bald nachgeholt werden.

Somit besteht Anlass zu Hoffnung, dass die neuen Aktivitäten zur Formalisierung einer strikten internationalen Steuerpolitik führen werden, die sich den Erfordernissen einer globalisierten Welt anpasst. Tatsächlich zeichnet sich dem neuen IWF-Papier zufolge ab, dass der Rückhalt zugunsten eines inklusiven und weniger gestückelten Ansatzes bei der steuerpolitischen Zusammenarbeit zunimmt.

Vor etwa 15 Jahren hatte ein IWF-Mitarbeiter die Einrichtung einer Weltsteuerbehörde vorgeschlagen. Diese Idee würden zivilgesellschaftliche Organisationen gern wiederbeleben. "Da Steuerhinterziehung keine Grenzen kennt, ist es sinnvoll, sich auf internationaler Ebene zusammenzufinden, um eine solche Weltinstitution zu gründen", meinte Catherine Olie von 'Oxfam International'. Noch ehrgeiziger wäre ein Mechanismus, der rechtlich gegen Länder vorginge, deren Steuerbestimmungen zu viele Spillover-Effekte auf andere Länder auslösten.

Die Berichte von IWF und OECD werden der G20 auf dem Gipfeltreffen im November vorgelegt. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:
http://www.ipsnews.net/2014/06/imf-issues-revolutionary-warning-on-corporate-tax-avoidance/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. Juni 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2014