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INTERNATIONAL/033: Norwegen - Regierung prüft Nutzen von Entwicklungshilfekrediten für arme Länder (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. August 2012

Norwegen: Regierung prüft Nutzen von Entwicklungshilfekrediten für arme Länder

von Daan Bauwens



Brüssel, 29. August (IPS) - Die Regierung in Oslo hat die Überprüfung der Legitimität der Schulden von Entwicklungsländern gegenüber Norwegen angekündigt. Geklärt werden soll, ob die Kredite den armen Staaten den Nutzen brachten, der die Schuldenrückzahlung gerechtfertigt.

Norwegen ist somit das erste Land, das einen solchen Schuldencheck durchführt. Großbritannien könnte dem Beispiel folgen. Lokalen Aktivisten zufolge müssen jedoch zuvor noch einige Hürden beseitigt werden.

Norwegens Entwicklungsminister Heikki Holmas erklärte am 22. August, die Schulden von Entwicklungsländern gegenüber seinem Land von unabhängigen Prüfern untersuchen zu lassen. Damit wird ein Versprechen umgesetzt, dass die Regierung nach den Wahlen 2009 gemacht hatte. Auch sollen verbindliche Richtlinien für eine verantwortungsvolle Kreditvergabepolitik beschlossen werden.

"Die norwegische Regierung hat wirklich Mumm", meinte Gina Ekholt, Leiterin der Norwegischen Schuldenerlasskoalition SLUG, im Gespräch mit IPS. "So etwas hat es noch nie gegeben. Dieser Schritt birgt das Potenzial, die gesamte Schar der globalen Gläubiger aufzurütteln. Andere Länder könnten dem Vorbild folgen, sobald man sich einig ist, dass dies ein akzeptabler und moralisch notwendiger Vorstoß ist. Wir sind stolz auf unsere Regierung, dass sie diese historische politische Ankündigung gemacht hat."


Kreditvergabe im Eigeninteresse

Nicht zum ersten Mal stellt sich Norwegen der Frage, inwieweit es als Gläubiger für die Verschuldung anderer Länder verantwortlich ist. Vor sechs Jahren entschloss sich die damalige Regierung, den Ländern Ägypten, Ecuador, Jamaika, Myanmar, Peru, Sierra Leone und Sudan Schulden in Höhe von mehr als 70 Millionen US-Dollar zu erlassen, die ihnen im Zusammenhang mit der norwegischen Schiffsexportkampagne aufgebürdet worden waren.

Während der Kampagne in den Jahren 1976 bis 1980 hatte die norwegische Regierung versucht, die Krise in den norwegischen Werften abzumildern, indem sie den Entwicklungsländern günstige Kredite für den Kauf norwegischer Schiffe bereitstellte. Zehn Jahre nach der Kampagne kam das norwegische Parlament zu dem Schluss, dass die Kreditnehmer keinen Vorteil aus dem Programm gezogen hatten und die Schulden somit illegitim waren.

Bei der Bekanntgabe der jüngsten Prüfungsabsichten zeigte sich Homas optimistisch, dass man auf keine neuen Fälle illegitimer Schulden stoßen wird. Doch die SLUG ist da anderer Meinung. Sie hatte 2009 in einem Bericht die indonesischen Schulden gegenüber Norwegen unter die Lupe genommen. Demnach zahlt der südostasiatische Inselstaat einen Kredit in Höhe von 160 Millionen Euro für den Bau eines Wellenkraftwerks und eines Meeresüberwachungssystems ab. Diese Schulden sind Ekholt zufolge illegitim, weil die Wellenkraftanlage nie gebaut und das Meeresüberwachungssystem defekt ausgeliefert worden sei.

Die Überprüfung wird sich an den von der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) entwickelten Prinzipien zur Förderung einer verantwortungsvollen Kreditpolitik ausrichten. "Das ist an sich ein solides Regelwerk", meint Ekholt. "Doch ob es für die Identifizierung illegitimer Schulden bewähren wird, bleibt abzuwarten." Die SLUG-Aktivisten sind der Meinung, dass dies nicht der Fall ist. Es gelte das moderne Kriterium anzulegen, wonach ein Volk nicht unter Schulden infolge eines Darlehen leiden sollte, das ihm nichts gebracht habe.

Ekholt geht davon aus, dass die norwegische Regierung dieses moderne Kriterium nicht anlegen wird, dass die Debatte über die illegitimen Schulden aber nach Abschluss des Audit weitergeht. Laut Holmas werden die Untersuchungsergebnisse in gut einem Jahr vorliegen.

Monate vor der Ankündigung der norwegischen Initiative hatte eine Gruppe britischer Parlamentsabgeordneter mit der Untersuchung der britischen Export-Kredit-Agentur begonnen, die Darlehen an ausländische Unternehmen und an Länder vergibt, damit diese britische Exporte kaufen. Anders als die norwegische hat die britische Initiative keinen offiziellen oder verbindlichen Charakter.

"Die Regierung kann die Ergebnisse dieser Untersuchung ganz einfach ignorieren", meint Tim Jones von der britischen 'Jubilee Debt Campaign'. "Wir hoffen, dass das norwegische Beispiel auch bei uns Schule machen wird. Immerhin veranlasst die Untersuchung unsere Parlamentarier zum Handeln. "


Illegitime Schulden als Wahlkampfthema

Die britische Schuldenerlassinitiative ist fest entschlossen, ihren Druck auf die Regierung zu erhöhen, zumal eine der Regierungsparteien die Illegitimität von Entwicklungskrediten 2010 für sich als Wahlkampfthema ausgeschlachtet hatte. "Die Liberaldemokraten haben versprochen, Darlehen als illegitim zu erklären, die nicht Entwicklungszielen, sondern den Interessen von Diktatoren dienten", erinnerte Jones.

"Es gibt Hinweise darauf, dass mit Entwicklungskrediten an den ehemaligen indonesischen Machthaber Suharto der Kauf von Panzern und Flugzeugen finanziert wurde. Und es gibt Hinweise darauf, dass (Iraks ehemaliger Präsident) Saddam Hussain Kredite erhalten hat, die unter anderem für den Bau einer Chemiewaffenfabrik verwendet wurden", sagte der Aktivist.

"Zudem besteht der Verdacht, dass Kredite für Ägypten für den Kauf von Armeeausrüstungen missbraucht wurden. Die Bevölkerung hat sicher nicht von diesen Krediten profitiert, darf aber die Schulden abzahlen", kritisierte Jones. "Wir hatten auf die Liberaldemokraten gebaut. Doch die scheinen ihr Versprechen gleich nach Amtsantritt vergessen zu haben." (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.slettgjelda.no/
http://www.jubileedebtcampaign.org.uk/
http://www.ipsnews.net/2012/08/norway-counts-the-usefulness-of-lending/

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IPS-Tagesdienst vom 29. August 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2012