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REDE/805: Zu Guttenberg zur Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan, 3.12.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, zur Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr am Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (ISAF) unter Führung der NATO vor dem Deutschen Bundestag am 3. Dezember 2009 in Berlin


Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Man kann, Herr Kollege Schäfer, mit guten Gründen - ich weiß, dass Sie sich intensiv damit befassen - unterschiedliche Linien vertreten. Was die Diskussion vorhin ausgelöst hat, war der geäußerte Vorwurf, uns würde es nicht interessieren, wenn Menschen ums Leben kommen. Dieser Vorwurf ist an Niveaulosigkeit nicht zu übertreffen. Ich glaube, das gilt für jeden hier in diesem Raum. Wir müssen uns nämlich überlegen, dass eben auch die Selbstüberlassung Afghanistans Leben kosten kann.

Ich würde im Umkehrschluss nie behaupten, dass Ihnen das egal wäre. Das wäre niveaulos. Genau diesen Punkt sollten wir in Betracht ziehen, wenn wir diese Diskussion substanziell führen und wenn wir uns mit Punkten beschäftigen, die niemals Routineentscheidungen sein können und niemals Routineentscheidungen sein dürfen. Kollege Klose hat darauf hingewiesen.

Auch was sich in Afghanistan täglich abspielt, ist nie Routine, und das wird es nie sein. Das, was sich in Kunduz am 4. September abgespielt hat, war natürlich nicht Routine. Gestatten Sie mir, nachdem das Thema heute angesprochen wurde und ich dem Parlament zugesagt habe, dass ich eine Neubewertung der Vorfälle in Kunduz vornehmen werde, dass ich Ihnen diese meine Neubewertung heute vortrage.

Jede Bewertung dieses Vorfalls hängt in hohem Maße davon ab, ob und inwieweit man die Perspektive des in einer kriegsähnlichen - ja, kriegsähnlichen -, besonderen Situation stehenden Kommandeurs einnimmt oder ob man den Vorfall primär unter dem Blickwinkel möglicher, aber auch tatsächlicher Regelverstöße - Fehler, Herr Trittin - sieht.

Ich darf in aller Klarheit sagen, dass Oberst Klein mein volles Verständnis dafür hat, dass er angesichts kriegsähnlicher Zustände um Kunduz, angesichts anhaltender Gefechte, bei denen in diesen Tagen auch deutsche Soldaten verwundet wurden - unter seinem Kommando sind in diesen Monaten auch deutsche Soldaten gefallen -, subjektiv von der militärischen Angemessenheit seines Handelns ausgegangen ist. Dafür hat er mein Verständnis. Ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass er gehandelt hat, um seine Soldaten zu schützen.

Jeder, der jetzt aus der Distanz leise oder laut Kritik übt, sollte sich selbst prüfen, wie man in dieser Situation gehandelt hätte. Wie viel leichter erscheint es jetzt, sich ein Urteil über die Frage der Angemessenheit zu bilden - aus der Distanz, mit auch für mich zahlreichen neuen Dokumenten und mit neuen Bewertungen, die ich am 6. November dieses Jahres noch nicht hatte. Diese weisen im Gesamtbild gegenüber dem gerade benannten COMISAF-Bericht deutlicher auf die Erheblichkeit von Fehlern und insbesondere von Alternativen hin.

Zu dem Gesamtbild zählt auch ein durch das Vorenthalten der Dokumente leider mangelndes Vertrauen gegenüber damaligen Bewertungen. Ich wiederhole: Obgleich Oberst Klein - ich rufe das auch den Offizieren zu, die heute hier sind - zweifellos nach bestem Wissen und Gewissen sowie zum Schutz seiner Soldaten gehandelt hat, war es aus heutiger, objektiver Sicht, im Lichte aller, auch der mir damals vorenthaltenen Dokumente, militärisch nicht angemessen.

Nachdem ich - ohne juristische Wertung; das ist mir wichtig - meine Beurteilung diesbezüglich rückblickend mit Bedauern korrigiere, korrigiere ich meine Beurteilung allerdings nicht betreffend mein Verständnis bezüglich Oberst Klein. Das ist der Grund - das sage ich auch an dieser Stelle -, weshalb ich Oberst Klein nicht fallen lassen werde. Das würde sich nicht gehören.

In Afghanistan wird auch künftig der Einsatz militärischer Gewalt notwendig sein, leider. Unsere Soldaten müssen sich schützen und verteidigen können, und sie müssen ihren schwierigen und fordernden Auftrag in der ganzen Breite des Spektrums erfüllen. Deshalb ist es wichtiger denn je - gerade auch in einer solchen Debatte wie am heutigen Tag -, dass sie sich auf unseren vollen Rückhalt verlassen können und unser Verständnis für ihre schwierigen Entscheidungssituationen, in denen sie immer wieder sein werden, gegeben ist. Gleichzeitig muss von unserer Seite alles Machbare getan werden, um vergleichbare Fehler - ich habe auf diese Fehler schon am 6. November hingewiesen - künftig zu vermeiden. Wir haben diesbezüglich im Übrigen unmittelbar entsprechende Maßnahmen eingeleitet.

Ich habe im Zusammenhang mit dem Vorfall von Kunduz, aber auch im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Mandat generell dem Parlament größtmögliche Offenheit und Transparenz zugesagt. So will ich das weiterhin handhaben, auch mit Blick auf den Untersuchungsausschuss. Auch ich habe ein Interesse an der Aufdeckung von allem, was sich im Zuge dessen ereignet hat. Ich glaube, das ist eine Form des Umgangs, die sich gehört. Deswegen habe ich Ihnen heute an dieser Stelle diese Stellungnahme abgegeben.


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Quelle:
Bulletin Nr. 121-5 vom 03.12.2009
Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg,
zur Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr am Einsatz der Internationalen
Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (ISAF) unter Führung der NATO
vor dem Deutschen Bundestag am 3. Dezember 2009 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2009