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REDE/786: Leutheusser-Schnarrenberger zur Regierungserklärung der Kanzlerin, 11.11.09 (BPA)


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Rede der Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vor dem Deutschen Bundestag am 11. November 2009 in Berlin


Herr Präsident!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

20 Jahre nach dem Sieg der friedlichen Revolution in der DDR über den Überwachungsstaat gilt der materielle Rechtsstaat in ganz Deutschland. Wir haben die Aufgabe, ihn ständig bestmöglich auszurichten. Wir müssen den Bürgern Rechtssicherheit geben. Aber dies muss immer so geschehen, dass die Privatsphäre des Einzelnen geschützt ist und der Bürger Vertrauen in den Rechtsstaat haben kann. Seit dem 11. September 2001 haben viele Gesetze Bürgerrechte eingeschränkt und staatliche Überwachungsbefugnisse ausgeweitet. Das hat mit dazu geführt, dass manche Menschen nicht mehr das nötige Vertrauen in den Rechtsstaat haben, sondern ihm mit Misstrauen gegenüberstehen.

Unser Grundsatz, niedergelegt in der Koalitionsvereinbarung, ist: kein Weiter-so mit dem Stakkato immer neuer Gesetze in der Sicherheitspolitik. In Zukunft haben die konsequente Anwendung der bestehenden Gesetze und die Beseitigung von Vollzugsdefiziten immer Vorrang vor der Schaffung neuer Eingriffsbefugnisse für den Staat. In diesem Sinne werden wir die rechtsstaatlichen Korrekturen und Gesetzesentschärfungen vornehmen, die in der Abwägung von Freiheit und Sicherheit verantwortbar sind und den Bürger stärken.

Dazu haben wir sehr konkrete Vereinbarungen getroffen. Wir werden den Schutz der Berufsgeheimnisträger verbessern, indem wir die falsche Aufspaltung des Berufes der Anwaltschaft in Anwälte und Strafverteidiger wieder aufheben. Wir werden die entsprechenden Regelungen ändern und schnellstmöglich einen Gesetzentwurf dazu vorlegen. Wir haben in diesen Punkt des Koalitionsvertrages ausdrücklich hineingeschrieben, dass wir in Bezug auf eine weitere Ausdehnung des Berufsgeheimnisträgerschutzes prüfen werden - möglicherweise nach dem Vorbild des Paragrafen 100 c Absatz sechs StPO -, inwieweit das mit der Durchsetzung des Strafverfolgungsanspruches vereinbar ist. Wir ändern, und wir prüfen. Wir sind auf dem richtigen Weg und machen das, was wir angekündigt haben.

Konkret vereinbart haben wir auch die Änderung der Kronzeugenregelung. Diese Regelung muss rechtsstaatlich wieder richtig ausgerichtet werden; das heißt, eine Berücksichtigung der Aussage bei der Strafzumessung darf nur dann erfolgen, wenn ein Bezug zur vorgeworfenen Tat hergestellt werden kann.

Wir werden - auch das ist konkret vereinbart - die Pressefreiheit stärken. Journalisten werden in Zukunft besser vor Beschlagnahmungen geschützt. Wir werden sicherstellen, dass sich kein Journalist der Beihilfe strafbar macht, wenn er lediglich Material veröffentlicht, das ihm zugespielt worden ist. Damit schließen wir das Einfallstor, das unter anderem zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Fall "Cicero" geführt hat. Das geschieht sofort.

Wir werden dem Internet, dem wir eine riesige Chance für die Kommunikation und die Teilhabe des Einzelnen zumessen, in den nächsten vier Jahren einen großen Stellenwert geben. Auch hier spielt Vertrauen eine große Rolle. Deshalb werden wir auf der Grundlage des geltenden Rechts kinderpornografische Inhalte im Netz löschen; denn das ist die wirkungsvollste Vorgehensweise. Deshalb werden wir ein Jahr lang keine Sperrung vornehmen und keine Infrastruktur in Bezug auf Internetsperren aufbauen. Wir werden sehen, wie erfolgreich wir damit sind. Das ist im Einklang mit dem Gesetz möglich. Das zeigt: Wir nehmen die Befürchtungen und die Sorgen der Menschen vor einer möglichen Zensur ernst. Aber wir verschließen nicht die Augen vor der Tatsache, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein darf und dass es in ihm Inhalte gibt - unter anderem kinderpornografischer Art -, die aus dem Netz genommen werden müssen. Diesem Punkt werden wir unsere Aufmerksamkeit und unsere ganze Tatkraft widmen. Nach einem Jahr wird sich zeigen, was geht und was nicht geht. Daran lassen wir uns messen.

Im Zusammenhang mit dem Internet wird natürlich auch das Urheberrecht eine herausragende Rolle spielen. Weil das Internet kein rechtsfreier Raum ist, müssen wir das Urheberrecht durchsetzen. Da stehen wir vor neuen Herausforderungen. Das sehen wir an den Beratungen der Europäischen Union in den letzten Tagen. Wir haben aber eines klargemacht: Wir wollen keine gesetzlichen Internetsperren im Zusammenhang mit der Durchsetzung des Urheberrechts. Das steht konkret in der Koalitionsvereinbarung. Da wird nicht geprüft, nicht abgewogen und nicht evaluiert. Das machen wir in den Bereichen, in denen es notwendig und verantwortbar ist. Aber das können wir teilweise nicht sofort tun. Bevor wir uns beispielsweise mit den Strafbestimmungen zu den Terrorcamps befassen können, brauchen wir eine gewisse Zeit, um erst einmal Erfahrungen hinsichtlich der Anwendung dieser Bestimmungen zu sammeln. Dann werden wir uns genau ansehen - diese Gesetzgebung war eine Gratwanderung -, ob sie sich in der Praxis bewährt haben.

Wir haben uns nicht nur auf diesen Bereich konzentriert. Die Rechtspolitik muss natürlich auch die richtigen Lehren aus der Finanzmarktkrise ziehen. Deshalb stehen für uns das Insolvenzrecht, Reorganisationsverfahren für Kreditinstitute und eine Verbesserung des Insolvenzplanverfahrens an vorderster Stelle. Wir werden Ihnen unter Federführung des Justizministeriums gemeinsam mit den anderen Ressorts gute Vorschläge unterbreiten, die Instrumente zum Gegenstand haben, die gerade dann, wenn die Gefahr einer Pleite droht, in der Zukunft helfen sollen, diese zu verhindern und die betroffenen Unternehmen einfacher und effektiver zu sanieren.

Wir haben uns in der Gesellschaftspolitik viel vorgenommen. Das betrifft unter anderem die Eingetragene Lebenspartnerschaft. Da sage ich ganz deutlich: Nach vier Jahren Stillstand wird es hier Verbesserungen geben - im öffentlichen Dienstrecht und im Steuerrecht. Das ist in der Koalitionsvereinbarung konkret festgelegt.

Ich komme zum Schluss. Wir werden der Rechts- und Justizpolitik unter Berücksichtigung der europäischen Entwicklungen eine große Bedeutung beimessen; denn mit dem Vertrag von Lissabon habe ich als Bundesjustizministerin die große Verantwortung, Sie als Parlamentarier so früh wie möglich in alle Überlegungen und Beratungen einzubeziehen. Ich begrüße, dass die Rechte des Parlaments gestärkt wurden.

Herr Montag, ich sage Ihnen, SWIFT wird im Moment verhandelt. Wir haben unsere Bedenken deutlich gemacht. Heute tagen Gruppen, und nächste Woche tagen Gruppen. Warten Sie einmal ab, was am 30. November passiert! Wir wollen mit Rücksicht auf das Europäische Parlament nicht präjudizieren. Deshalb müssen Sie sich noch ein paar Tage gedulden. Dann werden wir Ihnen sagen können, dass wir hier unsere Position sehr erfolgreich eingebracht haben.


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Quelle:
Bulletin Nr. 113-6 vom 11.11.2009
Rede der Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin
vor dem Deutschen Bundestag am 11. November 2009 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2009