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REDE/747: Jung - Anpassung des Bundeswehr-Einsatzgebietes für die Operation "Atalanta", 29.5.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, zur Anpassung des Einsatzgebietes für die Beteiligung der Bundeswehr an der EU-geführten Operation "Atalanta" zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias vor dem Deutschen Bundestag am 29. Mai 2009 in Berlin


Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Kollege Stinner, ich will zunächst die Kritik, die Sie am Einsatz der deutschen Marine am Horn von Afrika im Rahmen des Mandats "EU-Atalanta" geübt haben, mit Nachdruck zurückweisen. Ich halte dies für eine Diskreditierung unserer Soldatinnen und Soldaten. Ich begründe das: Der Einsatz im Rahmen von "Atalanta" ist erfolgreich. Denn was ist die Aufgabe, die dieses Parlament beschlossen hat?

Erstens die Begleitung der Schiffe im Rahmen des World Food Programme,
zweitens die Begleitung der Handelsschiffe unter EU-Flagge und
drittens die Verfolgung, die hier teilweise dargestellt worden ist.

Man muss schon zur Kenntnis nehmen, dass mittlerweile 180.000 Tonnen Lebensmittel und 150 Handelsschiffe, die sich ordentlich angemeldet haben, sicher in die Häfen begleitet worden sind, dass 27 Piratenangriffe abgewehrt worden sind und 68 Piraten festgenommen und vor Gericht gebracht worden sind. Lieber Herr Kollege Stinner, ich finde schon, dass diese Bilanz deutlich macht, dass unsere Soldatinnen und Soldaten ihren Auftrag gut erfüllen. Deshalb bin ich ihnen für das Engagement im Rahmen des Mandats "EU-Atalanta" dankbar. Es geht hier um den Einsatz der deutschen Marine; Kollege Stinner, daran können Sie nicht vorbeireden.

Ich will Folgendes hinzufügen: Sie haben natürlich recht, wenn Sie sagen, dass das Seegebiet neunmal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Aber unser Problem ist doch zurzeit, dass Schiffe unangemeldet in dieses Seegebiet fahren und man sich dann wundert, dass man Piratenangriffen ausgesetzt ist, oder dass Segelregatten in diesem Seegebiet durchgeführt werden und man sich wundert, dass man Opfer von Piratenangriffen und auch von terroristischen Aktivitäten wird. Ein solches Verhalten hat aus meiner Sicht in diesem Seegebiet derzeit nichts verloren. Deshalb kann ich jedem Reeder nur raten, dass er sich entsprechend dem Konzept zur vernetzten Sicherheit anmeldet und entsprechend begleitet wird.

Warum beschließen wir denn heute die Erweiterung des Mandats? - Weil die Piraten darauf reagiert haben. Da wir im Golf von Aden und vor der Küste Somalias im Rahmen dieses Mandats effektiv sind, sind sie in ein weiteres Gebiet im Indischen Ozean bis hin zu den Seychellen ausgewichen.

Kollege Stinner, was das Argument der Mutterschiffe angeht, so fahren sie dort nicht mit Piratenflagge. Vielmehr hat man private Transportschiffe gekapert. Sie wissen doch ganz genau, was unseren indischen Kameraden passiert ist: Sie haben ein derartiges Schiff versenkt, und dann hat sich herausgestellt, dass thailändische Fischer an Bord waren. So etwas ist doch nicht Sinn und Zweck der Übung. Deshalb muss man hier schon sehr differenziert vorgehen und verhältnismäßig reagieren, das heißt, einerseits den Auftrag erfüllen und andererseits keine Unbeteiligten in Gefahr bringen, die auf privaten Schiffen unterwegs sind.

"EU-Atalanta" ist jetzt mit etwa 13 Schiffen in diesem Mandat, von denen wir drei stellen. Wir leisten mit dem Seefernaufklärer "Orion" einen wichtigen Beitrag. Insgesamt sind jetzt 40 Schiffe im Seegebiet, und es ist eine Kontaktgruppe eingerichtet worden, um eine entsprechende Koordinierung vorzunehmen. Es ist nämlich auch sinnvoll, dass nicht jede Nation nur auf ihren eigenen Bereich schaut, sondern dass wir hier gemeinsam operieren, um Seesicherheit und freien Seehandel herzustellen.

Wenn in dieser Debatte gesagt wird, dass es sich bei den Piraten um arme Fischer aus Somalia handele, muss ich dem mit Nachdruck widersprechen. Dort findet organisierte Kriminalität statt. Sie müssen einmal sehen, in welcher Art und Weise dort vorgegangen wird: Nachdem wir Piraten festgenommen und vor ein Gericht in Kenia gebracht hatten, wurde die Bundesregierung mit Klagen wegen Freiheitsberaubung der Piraten überzogen. Dies zeigt doch, wie absurd hier zum Teil agiert wird. Deshalb müssen wir unseren Auftrag, gegen die Piraterie vorzugehen, wirkungsvoll erfüllen.

Ich bin dankbar, dass wir - Kollege Erler hat es hier vorgetragen -, die Piraten in Kenia vor Gericht bringen können. Ich halte es auch für richtig, dass wir uns weiterhin darum bemühen und Russland es auch unterstützt, dass ein internationaler Gerichtshof zur Pirateriebekämpfung in der Region errichtet werden kann. Unsere niederländischen Kollegen haben gerade Folgendes erlebt: Als sie die Piraten vor ein niederländisches Gericht gestellt haben, haben diese die Bitte ausgesprochen, möglichst lange in den Niederlanden bleiben zu dürfen, und haben im Grunde schon um Asyl gebeten. Dies ist auch nicht Sinn und Zweck einer solchen Bestrafung, die letztlich eine Bekämpfung der Piraterie darstellen soll.

Ich halte es schon für richtig, dass wir auch in diesem Bereich unser Konzept der vernetzten Sicherheit umsetzen. Ich habe gesagt: Schiffe anmelden, damit begleitet werden kann, aber auch eine Entwicklung in Somalia unterstützen, die möglichst wieder zu stabileren Verhältnissen führt. Die internationale Gemeinschaft hat jetzt ein Programm von 200 Millionen Euro beschlossen, damit auch von Land her wirkungsvoller gegen Piraterie vorgegangen und gewissermaßen parallel ein gemeinsamer Erfolg erzielt werden kann.

Aus der Tatsache, dass wir effektiv handeln, folgte, dass sich die Piraterie in den Indischen Ozean ausgedehnt hat. Deswegen ist vom Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee der Europäischen Union am 19. Mai der Beschluss gefasst worden, den Operationsplan zu verändern. Damit wird das Seegebiet von 3,5 Millionen Quadratkilometern auf fünf Millionen Quadratkilometer ausgedehnt, wie gesagt, bis zu den Seychellen. Das Bundeskabinett hat dieser Erweiterung am 27. Mai zugestimmt.

Es ist richtig und notwendig, dass der Deutsche Bundestag dieser Erweiterung des Operationsgebiets seine Zustimmung gibt, worum ich ausdrücklich bitte. Dann werden wir auch weiterhin mit der deutschen Marine unseren Beitrag im Rahmen der Operation "EU-Atalanta" leisten und in möglichst großem Umfang Seesicherheit herstellen und freien Seehandel gewährleisten können; denn bis zu 90 Prozent unserer Produkte werden teilweise auf See transportiert. Daher liegt es auch im Interesse Deutschlands, dass unsere Soldatinnen und Soldaten einen Beitrag zur Bekämpfung der Piraterie und zur Herstellung eines freien Seehandels leisten. Ich bitte Sie um Unterstützung für dieses Mandat, damit wir einen wirkungsvollen und effektiven Beitrag leisten können, um die Geißel der Piraterie in diesem Seegebiet zu bekämpfen.

Herr Kollege Stinner, ich will meine Argumente nicht wiederholen. Ich will Sie aber darauf hinweisen, dass die Bundesregierung diese Operation gemeinsam mit den militärisch Verantwortlichen durchführt. Dadurch, dass Sie die Operation kritisieren, kritisieren Sie letztlich natürlich auch unsere Soldatinnen und Soldaten. Wir stehen unter einem europäischen Mandat. Wir haben einen europäischen Kommandeur in Northwood, wie Sie wissen. Wir haben ein Force Headquarter vor Ort. Das ist ein Einsatz, der europäisch geleitet wird. Ich finde - das entspricht übrigens auch der Beurteilung meiner europäischen Kollegen - , dass das Mandat "EU-Atalanta" bisher erfolgreich umgesetzt wurde.

Ich sage Ihnen noch einmal: 180.000 Tonnen Lebensmittel und 150 Handelsschiffe sind kein Pappenstiel. Wenn die Schiffe angemeldet werden, kommen sie sicher in die Häfen. Dass wir das Mandat heute ausdehnen müssen, zeigt aus meiner Sicht die Effektivität der Umsetzung des Mandats. Deshalb wollen wir unseren Auftrag weiterhin in dieser Art und Weise erfüllen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 65-2 vom 29.05.2009
Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, zur
Anpassung des Einsatzgebietes für die Beteiligung der Bundeswehr an
der EU-geführten Operation "Atalanta" zur Bekämpfung der Piraterie vor
der Küste Somalias vor dem Deutschen Bundestag am 29. Mai 2009 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2009