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REDE/741: Schäuble - Sicherung des Schiffsverkehrs vor Somalia, 13.05.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, in der Aktuellen Stunde zum Kompetenzstreit der Bundesregierung bei der Sicherung des Schiffsverkehrs vor Somalia vor dem Deutschen Bundestag am 13. Mai 2009 in Berlin


Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Man sollte in dieser Debatte doch erwähnen, dass sich die Besatzung der am 4. April um 7.20 Uhr gekaperten "Hansa Stavanger" - fünf deutsche Staatsangehörige und 19 weitere Personen - noch immer in Geiselhaft befindet. Ich finde schon, wir sollten nicht mit Fischfangproblemen davon ablenken, dass Piraterie, Geiselnahme und die Kaperung von Schiffen menschenwidrige Verbrechen sind und dass wir dieser Form von organisierter Kriminalität wirklich ein Ende machen müssen.

Ich hatte durchaus meine Probleme mit der Formulierung des Themas dieser Aktuellen Stunde, Herr Kollege Trittin; denn alle beteiligten Bundesminister haben wiederholt erklärt, dass es zu keinem Zeitpunkt irgendeine Differenz zwischen dem Auswärtigen Amt, dem Bundesministerium der Verteidigung und dem Bundesministerium des Innern in dieser Frage gegeben hat. Wir waren uns im Krisenstab, in dem unter der Federführung des Auswärtigen Amtes alle beteiligten Bundesbehörden zusammenarbeiten, von Anfang an einig, dass man unmittelbar nach der Entführung versuchen muss, zu verhindern, dass das Schiff in der Nähe der somalischen Küste auf Reede kommt. Das hat der Kapitän der Fregatte der Bundeswehr nicht verwirklichen können, weil das aus seiner Sicht - und er musste diese Entscheidung treffen - mit einer nicht zu verantwortenden Gefahr für das Leben der Geiseln verbunden gewesen wäre. Daraufhin haben wir im Krisenstab völlig einvernehmlich entschieden, dass der Versuch unternommen werden müsse, die Geiseln zu befreien. Ob das zum Erfolg führen würde, konnten wir nicht wissen. Wir haben immer gesagt, dass am Ende der vor Ort führende Kommandeur, Herr Lindner, beurteilen und entscheiden muss, was zu tun ist. Ich bedanke mich für die anerkennenden Worte für die GSG 9 wie für die KSK. Beide Einheiten haben den Respekt und den Dank des ganzen Hauses verdient. Auf jeden Fall haben wir im Krisenstab entschieden, dass die GSG 9 - mit dem damit notwendigerweise verbundenen Aufwand - in die Nähe des Frachters verlegt werden muss; denn sonst hätten wir von vornherein nicht einmal den Versuch unternommen, die in Geiselhaft Genommenen zu befreien und zu retten.

In dieser Frage hat es - das will ich angesichts der Debatten über Rechtsfragen hinzufügen - nie ein Rechtsproblem gegeben; das hat auch niemand behauptet.

Sie haben eines nicht erwähnt: Die Bundeswehr ist im Rahmen der europäischen Mission "Atalanta" mit drei Fregatten und weiteren Kräften dort im Einsatz; das ist völlig unstreitig. Zu ihren Aufträgen gehören die Pirateriebekämpfung und notfalls auch die Rettung und Befreiung von Geiseln. Sie wissen aber, dass die militärische Führung der Mission "Atalanta", die bei Großbritannien liegt, bisher nicht in einem einzigen Fall eine Initiative zur Befreiung eines gekaperten Schiffes ergriffen hat. Das ist ein Faktum. Ich habe das nicht zu kommentieren, aber es ist Realität. Alle Aktionen, die bisher zur Befreiung von gekaperten Schiffen unternommen worden sind, gehen ausschließlich auf nationale Initiativen und in keinem Fall auf Initiativen von europäischen oder sonstigen internationalen Missionen zurück.

Nun ist wiederum unstreitig, dass auf Grundlage der geltenden Verfassung eine nationale Aktion zur Befreiung eines gekaperten Schiffes zweifelsfrei originäre Aufgabe der Bundespolizei - so steht es auch im Bundespolizeigesetz - und nicht der Bundeswehr ist. So ist die Rechtslage.

Das Parlamentsbeteiligungsgesetz - das muss ich Ihnen nicht erklären, Herr Kollege Arnold - sieht vor, dass bei verfassungsrechtlich zulässigen Einsätzen der Bundeswehr das Parlament zu entscheiden hat. Aber das Parlamentsbeteiligungsgesetz ersetzt natürlich nicht die verfassungsrechtliche Grundlage für einen Einsatz der Bundeswehr, und die ist nun einmal so, dass der Einsatz der Bundeswehr nach Artikel 87 a nur zur Verteidigung und darüber hinaus ausdrücklich nur in den vom Grundgesetz geregelten Fällen zulässig ist. Pirateriebekämpfung gehört unstreitig nicht dazu. Es gibt eine weite Auslegung des Grundgesetzes, nach der auch Piraterie als Angriff zählt. Nach der engen Interpretation ist das allerdings nicht der Fall. Deswegen haben wir immer vorgeschlagen, eine klarstellende Ergänzung im Grundgesetz vorzunehmen, wenn man zur Pirateriebekämpfung die Bundeswehr außerhalb internationaler oder europäischer Missionen einsetzen will.

Im Rahmen der Operation "Atalanta" ist ein solcher Einsatz nicht streitig, Herr Kollege Trittin; das hat auch niemand behauptet. Unstreitig ist auch, dass bei dieser Operation solche Aktionen bisher in keinem einzigen Fall durchgeführt wurden, also auch nicht im Fall der "Hansa Stavanger". Mit all diesen brotlosen Debatten helfen wir den in Geiselhaft befindlichen Deutschen und den anderen Besatzungsmitgliedern der "Hansa Stavanger" nicht.

Meine zweite Bemerkung. Ich habe mich noch heute Morgen beim Verteidigungsminister und auch beim Außenminister vergewissert, dass wir in der Beurteilung völlig übereinstimmen. Es hat zu keinem Zeitpunkt irgendeine Meinungsverschiedenheit, geschweige denn ein Kompetenzgerangel zwischen den beteiligten Ministerien gegeben. Wahrheitswidrige Behauptungen werden auch durch Wiederholung nicht wahr. Ich muss sie mit Entschiedenheit zurückweisen.

Die Bundeswehr hat keinen Hubschrauberträger. Angesichts der Tatsache, dass die "Hansa Stavanger" vor der Küste Somalias auf Reede liegt - Somalia ist bekanntlich ein "failed state" - und somit eine Operation von Land aus nicht möglich gewesen ist, benötigte die GSG 9 für einen möglichen Einsatz eine Basis, um von See aus operieren zu können. Dazu brauchte sie einen Hubschrauberträger für sechs gleichzeitig operierende Hubschrauber, so die Lagebeurteilung des zuständigen Kommandoführers. Einen solchen Hubschrauberträger hat die Bundesmarine aber nicht. Er ist auch nicht innerhalb von ein paar Wochen zu beschaffen; es dauert schon ein bisschen länger. Dies sage ich, damit alle wissen, worüber wir reden. Auch die Bundespolizei hat keinen derartigen Hubschrauberträger. Deswegen waren wir dankbar, dass die Vereinigten Staaten von Amerika bereit gewesen sind, den Hubschrauberträger USS "Boxer" für den Einsatz zur Verfügung zu stellen. Damit nicht solch sinnlose Debatten geführt werden, die einfach nur zur Verdrehung der Tatsachen führen, will ich deutlich sagen, dass die Vereinigten Staaten das Einsatzkommando über die USS "Boxer" nicht an die Bundeswehr und schon gar nicht an die Bundespolizei abgetreten haben. Das hat auch niemand erwartet.

Und nun haben wir gesagt: Wenn man es nicht versucht, hat man keine Chance. Wir sind alle traurig, dass das Vorhaben nicht gelungen ist. Am Ende haben wir die Entscheidung gemeinsam und ohne irgendwelche Meinungsunterschiede bei der Lagebeurteilung - und sei es nur in Nuancen - getroffen. Wir haben es Ihnen auch gesagt - einige von Ihnen waren dabei anwesend -: Angesichts des schwierigen Einsatzes war die Beurteilung der Beteiligten vor Ort: Es handelt sich zwar um einen riskanten Einsatz, aber das Risiko ist beherrschbar. So war die Beurteilung der Verantwortlichen der GSG 9 vor Ort und der verantwortlichen Offiziere auf der USS "Boxer". Die amerikanischen Freunde und Partner konnten bei einer Übung der GSG 9 sehen, wie leistungsfähig sie ist. Aber es gab auch die gegenteilige Auffassung. Die eine Auffassung ist so legitim wie die andere. Da wir am Ende nicht zu der einvernehmlichen Beurteilung gekommen sind, dass der Einsatz vertretbar und das Risiko beherrschbar ist, musste der für den Einsatz der Bundespolizei im Ausland zuständige Bundesinnenminister - nur er und niemand sonst ist zuständig; man kann das im Bundespolizeigesetz nachlesen - im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt die Entscheidung treffen: Wir rufen die GSG 9 zurück. - Aber es war auch die Entscheidung richtig, es wenigstens zu versuchen, indem wir die GSG 9 dorthin verlegt haben.

Es ist nicht zutreffend - ich weise diese Unterstellung mit Entrüstung zurück -, dass unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Bundesregierung diese Aktion in irgendeiner Weise behindert hätten. Es ist auch nicht richtig, dass die GSG 9 für einen solchen Einsatz nicht ausreichend ausgerüstet ist. Ich behaupte, die GSG 9 ist wahrscheinlich die beste Polizeieinheit auf der Welt, wenn es darum geht, ein gekapertes Schiff zu befreien. Aber sie braucht für eine Operation von Seeseite - und das hat sie nicht - eine entsprechende Basis. So ist die Lage entstanden. Das ist der Sachverhalt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit allem Respekt: Wenn wir wollen - dafür spricht manches -, dass in Zukunft die Bundeswehr solche Einsätze fern von Europa durchführt, müssen wir eine verfassungsrechtliche Klarstellung schaffen. Wenn die Bundespolizei das machen soll, dann braucht sie die logistischen Möglichkeiten für einen schnellen Transport - die hat sie nicht - und eine Basis, wenn sie von See aus operieren muss. Im Übrigen kann ich es nicht verantworten, dass sich praktisch die gesamte GSG 9 wochenlang fern von Deutschland befindet; denn sie hat einen Auftrag im eigenen Land.

Wenn wir über Konsequenzen aus diesen Erfahrungen reden wollen, dann lassen Sie uns in diesem Sinne darüber reden und nicht den Vorwurf erheben, irgendwelche Kompetenzstreitigkeiten seien die Ursache dafür gewesen, dass diese Aktion am Ende nicht zum Erfolg geführt wurde. Ich bleibe dabei: Wir müssen Piraterie und Geiselnahme mit aller Entschiedenheit bekämpfen. Dazu werden wir unsere nationalen wie internationalen Anstrengungen weiter verstärken müssen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 57-1 vom 13.05.2009
Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, in der
Aktuellen Stunde zum Kompetenzstreit der Bundesregierung bei der
Sicherung des Schiffsverkehrs vor Somalia vor dem
Deutschen Bundestag am 13. Mai 2009 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2009