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PARTEIEN/118: Niebel-Rede bei der Dreikönigskundgebung der FDP am 6. Januar 2013


fdk - freie demokratische korrespondenz -/2013 - 6. Januar 2013

Dirk Niebel, MdB
Präsidiumsmitglied der FDP
Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Rede bei der Dreikönigskundgebung der FDP

am 6. Januar 2013, Staatstheater Stuttgart



Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede

Schön, dass Sie wieder bei uns sind!

Zum Jahreswechsel war ja viel vom Untergang die Rede. Vom Weltuntergang. Dafür gibt es noch etliche Szenarien, eine Vorhersage der Apokalyptiker ist mir vergleichsweise sympathisch: Danach soll die Sonne in 5 Mrd. Jahren in einem riesigen Feuerball verglühen. Ein sogenannter roter Riese soll die Erde verschlingen. Bis dahin können wir die Welt und Deutschland noch lange vor scheinbar kleineren roten Risiken schützen. Und diese roten Risiken drohen uns heute, wo das Gleichheitsdenken zunimmt.

In einer Zeit, in der Gerechtigkeit mit der Höhe von Sozialhilfezahlungen verwechselt wird. In der zu viele Menschen die Freiheit eher als Bedrohung empfinden und nicht - wie wir Liberale als Chance. Für uns ist nicht gerecht was gleich macht, sondern was gleiche Chancen schafft. Genau deshalb und genau dafür braucht es eine starke FDP.

Viele unserer Anhänger sorgen sich um Zukunftschancen angesichts der zunehmenden Sozialdemokratisierung in Deutschland. Und damit meine ich ganz bestimmt nicht irgendein Wachstum der SPD, sondern die zunehmenden Sozialdemokraten in allen anderen Parteien. Deshalb braucht Deutschland eine starke FDP. Aber: sind wir eine starke FDP?

Viele Freunde der Freiheit in Deutschland, viele unserer Wähler von 2009, haben keineswegs die Fahnen gewechselt. Sie haben sie aber eingerollt aus Enttäuschung, geben sich vielleicht dem Gleichmut hin, wo Mut gebraucht wird. Unsere FDP muss endlich selbst dafür sorgen, wieder stark zu werden!

Viele hier in diesem Staatstheater, an diesem Traditionsort des deutschen Liberalismus, machen sich Sorgen um unsere FDP. Wir alle haben schon viele Aufs und Abs der FDP erlebt! Manche denken, noch nie war es so kritisch. Doch das stimmt nicht! Unser Dreikönigstreffen gibt es seit 1866. Und unzählige Male wurde der Liberalismus, wurde die FDP vorher totgesagt. Aber die Entschlossenheit dieser

Dreikönigstreffen hat alle Untergangspropheten immer wieder Lügen gestraft. Hier haben Theodor Heuss und Reinhold Maier gestanden und die FDP in der Nachkriegszeit nach vorn gebracht. Hier haben Walter Scheel und Ralf Dahrendorf geredet und die Unverzichtbarkeit der FDP nach der Großen Koalition 1969 bewiesen. Hier sprachen Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff zur deutschen Einheit 1990. Hier hatte Guido Westerwelle großartige Auftritte vor und nach dem größten Wahlerfolg der FDP 2009.

Und heute?

Manche fragen sich, warum ich mich seit Monaten um den Zustand der FDP sorge? Und warum ich mich dazu auch öffentlich äußere. Manche, die jetzt hier hinter mir im Präsidium sitzen, sind da sehr skeptisch, weil Geschlossenheit ja in der Tat ein hohes Gut ist. Aber, und das ist meine zutiefst empfundene Gewissheit:

So, wie jetzt, kann es mit der FDP nicht weitergehen!

So, wie jetzt, bleibt die FDP weit hinter ihren Möglichkeiten.

Es zerreißt mich innerlich, wenn ich sehe, in welchem Zustand sich meine, sich unsere FDP befindet! Ich finde, wir können einfach nicht noch länger bis zu eigenen Entscheidungen warten. In gerade mal noch 8 Monaten wird ein neuer Bundestag gewählt. Das ist kürzer als viele denken. Ein Bundesparteitag im Mai ist viel zu spät, um uns bestmöglich für den Wahlkampf aufzustellen, was alle anderen Parteien schon vor Monaten getan haben.

Wir müssen schnell unsere eigenen Entscheidungen treffen und wir dürfen sie nicht vom Ausgang von Landtagswahlen abhängig machen. Das ist schon 2010 in NRW schief gegangen, wo notwendige Entscheidungen viel zu lange vertagt wurden.

Wir haben zweifelsfrei sehr gutes Führungspersonal für erfolgreiche Bundestagswahlen, aber wir sind als Team, und da schließe ich mich ausdrücklich mit ein, noch nicht gut genug aufgestellt. Wir könnten gemeinsam deutlich besser sein.

Alle, die hier hinter mir sitzen, sind meine Kolleginnen und Kollegen, manche sind enge Freunde.

Alle, die jetzt hier hinter mir sitzen, haben großartige Qualitäten und viel, viel Kompetenz bewiesen. Daniel Bahr ebenso wie Guido Westerwelle, Sabine Leutheusser ebenso wie Patrick Döring, ganz besonders unser Fraktionsvorsitzender Rainer Brüderle und, das sage ich ausdrücklich, auch Philipp Rösler!

Aber: Wir spielen als Team für die Bundestagswahlen noch nicht in der besten Aufstellung. Das ist, als wenn Jogi Löw den besten Außenstürmer zum Torwart macht, den Torwart zum Libero und den Mittelstürmer zum Innenverteidiger. Wir brauchen eine Mannschaftsentscheidung - und das so schnell wie möglich!

Darauf kann eine Regierungspartei mit Gestaltungsanspruch für Deutschland nicht einfach weiter warten. Ich weiß natürlich, dass ich all das mit hohem persönlichem Risiko sage. Aber glauben Sie mir, mich quält das seit vielen Monaten.

Ich weiß, dass man für zu laute oder vermeintlich vorlaute Bemerkungen schnell Klassenkeile kriegt. Viele maulen hinter vorgehaltener Hand aber haben die gleiche Sorge wie ich!

Die FDP kann es sich nicht leisten, dass sich die Partei für Leistung weiter mit sich selbst beschäftigt. Die FDP kann es sich nicht leisten, dass wir die Klärung wichtiger Entscheidungen vor uns herschieben.

Und Deutschland kann es sich nicht leisten, dass sich eine FDP- Führung eher misstrauisch gegenseitig beäugt, statt endlich gemeinsam auf Angriff zu spielen.

Deutschland braucht gerade jetzt eine starke FDP! Jeden Tag verlieren wir Chancen, für die Menschen, die uns in Deutschland brauchen. Jeden Tag lassen wir uns weltanschaulich etwas wegnehmen von unserem Ideengebäude.

Wir lassen völlig unnötig zu, dass andere sich mit dem Thema Gerechtigkeit schmücken. Peer Steinbrück hat auf dem SPD-Parteitag gesagt: "Wir Sozialdemokraten fragen nicht zuerst: Können wir uns das leisten?" Das bringt den Unterschied auf den Punkt. Die FDP fragt sehr wohl: Können wir uns das leisten? Denn auch das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Von Generationengerechtigkeit! Nichts daran ist gerecht, wenn die politische Linke heute neue Sozialleistungen verspricht, die unsere Kinder und Enkel morgen zahlen müssen.

Wir haben deshalb die Haushaltskonsolidierung vorangetrieben. Auch deshalb ist die FDP die Partei der Gerechtigkeit. Übrigens: Obwohl mein Haushalt nur 2,1 % des Gesamthaushaltes ausmacht, haben wir fast 10 % am zusätzlichen Sparbeitrag erbracht. Und dass, obwohl ich bereits 2011 den Bundeshaushalt um Netto über 300 Stellen entlastet habe. Das war, neben mehr Wirksamkeit, ein Ergebnis der größten Strukturreform in 50 Jahren deutscher Entwicklungspolitik. Einer Reform, an der drei Vorgängerregierungen gescheitert sind.

Für uns ist es nicht gerecht, wenn die selbst ernannten Arbeitnehmerparteien SPD und Grüne im Bundesrat verhindern, dass Arbeitnehmer ihre wohlverdienten Gehaltserhöhungen selbst behalten dürfen! Manche wollen gern mit immer mehr Bürokratie mehr Gerechtigkeit herstellen. Das ist der grundfalsche Weg in einer Gesellschaft, in der die Reichen das Finanzamt beschummeln und die Armen das Sozialamt.

Wir brauchen in Deutschland einen neuen Gesellschaftsvertrag!

Einen Gesellschaftsvertrag, mit der Rückkehr zu grundlegenden Prinzipien erfolgreichen Zusammenlebens. Der Rückkehr zu den Grundsätzen von Treu und Glauben, zu den Regeln gegenseitigen Anstands. Zu Geradlinigkeit und Verlässlichkeit, zu einem Geist der Nachbarschaft, der Verantwortung fürs eigene Umfeld. Und Deutschland braucht mehr denn je eine Partei, die dafür die Rahmenbedingungen setzt.

Die Beschäftigungszahlen erreichen Werte wie noch nie. Die Steuereinnahmen steigen auf Rekordhöhe. In Deutschland lag die Jugendarbeitslosigkeit im Dezember

historisch tief bei 5,3 Prozent. Dazu trägt die Bundeshauptstadt Berlin den traurigen Spitzenwert von 11,9 Prozent bei. Darum sollte man sich in Berlin endlich kümmern und nicht, ob man Weckle oder Schrippe sagen darf! Das schwarz-gelb regierte Bayern erreicht den Traumwert von nur 2,6 Prozent Arbeitslosigkeit. Als ehemaliger arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP freut mich das ungemein. Es macht offenbar einen Unterschied, welche Regierung die Geschicke eines Landes bestimmt.

Kapital ist ein scheues Reh. Kaum tritt die SPD auf die Lichtung, ist es weg. Die Unternehmen bestimmen selbst, wo sie ihr Geld investieren, Produkte fertigen und Steuern zahlen. So sagt mancher wie Gerard Depardieu seinem Heimatland "Adieu". In Frankreich treibt sozialdemokratische Steuerpolitik die Leute aus dem Land. Das wollen wir nicht. Der Normalbürger kann seinen Wohnsitz nicht einfach ins Nachbarland verlegen. Nicht jeder will Russe werden.

Deshalb bleibt die Neuordnung des Steuersystems eine Herausforderung, für die wir weiter werben. Historisch hohe Steuereinnahmen bieten dazu beste Voraussetzungen. Als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit bin ich - wie sie wissen - viel unterwegs. Auch in Ländern Afrikas, in denen vor kurzem ebenfalls sozialistische Utopien und Volksbeglückung im Gang waren. Dort erlebe ich, was Armut wirklich bedeutet. Ich sehe auch manches Extrem. Staatsführungen, die sich nur mit sich selbst beschäftigen, weil sich andere um die wirklichen Probleme wie Gesundheitsversorgung oder Bildung kümmern. Diese Ersatzvornahme ist nicht unser Ideal. Ich erlebe aber auch viele Menschen, die etwas aufbauen und schaffen. Ich sehe viele Kinder, die Freude am Lernen haben. Ich erlebe Kleinunternehmer - besonders viele Frauen, die etwas aufbauen wollen

Wir halten es mit Theodor Heuss, der einst als Kultusminister hier in Stuttgart gesagt hat: "Ich gebe keine Richtlinien. Ich gebe Atmosphäre.". Liberale achten auf ein Klima, in dem Vielfalt und Wohlstand gedeihen können.

Liberale Politik will die Entscheidungsfreiheit, den Handlungsspielraum des Einzelnen erweitern - nicht nur in der Entwicklungszusammenarbeit. Das erfordert auch Entscheidungen des Einzelnen. Wir sind überzeugt, dass individuelle

Verantwortungsbereitschaft hier wie dort nur entsteht, wenn sie ständig geschult und gefordert wird. Wir leben nicht mehr in Stammesgesellschaften. Einzelstaaten sind zunehmend ohnmächtiger in der immer schnelleren Globalisierung. Freiheit Marke FDP ist die Freiheit in und zu Verantwortung in vernetzten Welten. Uns Liberale motiviert nicht Neid und Missgunst zum politischen Handeln. Wir setzen auf die Bereitschaft jedes Einzelnen, sich einzubringen.

Wir setzen auf die Großzügigkeit aller, die von ihrem eigenen Glück auch etwas abgeben möchten. Unser weltwärts-Programm oder der Erfolg des Bundesfreiwilligendienstes zeigen, dass wir keinen Zwang brauchen, um Menschen zu bewegen, ihre kostbare Zeit und Arbeitskraft in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.

Deutschland ist längst nicht so selbstsüchtig, wie uns manche glauben machen wollen. Ich habe bewusst die Wirtschaft als wichtigen Partner der Entwicklungszusammenarbeit willkommen geheißen. Andere Parteien machen Freiheit und Marktwirtschaft für die Probleme der Welt verantwortlich. Sie wollen deshalb den Staat aufblähen und seine Zugriffsmöglichkeit ausweiten. Sie fürchten um ihre Pfründe und die Steuermittel, mit denen sie sich ihre Wählerschaft gefügig machen.

Wer Strukturen aufbrechen will, zieht sich Unmut zu. Ein altes ostafrikanisches Sprichwort dazu lautet: "Wer Licht im Dunkeln macht, zieht Moskitos auf sich." Damit werde ich fertig. Andere haben Grund, sich zu prüfen. Die grauen Grünen etwa haben die Notwendigkeit von Wachstum falsch verstanden. Bei ihnen wachsen nur Steuern, Subventionen und Schulden. Das aber nachhaltig.

Da werde selbst ich zum Wachstumskritiker. Nur weniger Ausgaben helfen, auch weniger Schulden zu machen. Der Vizekanzlerkandidat der SPD hat bewiesen, dass er mit eigenem Geld umgehen kann. Den Beweis, dass er auch Steuergeld richtig einsetzt, ist er in NRW und als Bundesfinanzminister schuldig geblieben. Peer Steinbrück sagt, was die Menschen hören wollen, heißt es. Verantwortungsbewusste Politiker sagen den Menschen auch, was sie nicht hören wollen, wenn es geboten ist.

Die anderen Parteien reden viel vom "großen Ganzen". Sie blenden den einzelnen Menschen aus. Dabei kommt es genau auf ihn an: Auf seine Verantwortungsbereitschaft und Leistung, seinen Fleiß und Innovationsfreude. Sorgen wir dafür, dass diese Werte und Tugenden und unsere Arbeit dafür, auch wieder bei den Freunden der Freiheit im Land ankommen.

Für diese Werte gibt es nur eine Partei in Deutschland: Das sind wir. Die FDP bleibt einzigartig. Seien wir selbstbewusst, wir haben viele Gründe dazu. Der britische Philosoph Bertrand Russell hat gesagt: "Es ist ein Jammer, dass die Dummköpfe so selbstsicher sind, und die Klugen so voller Zweifel". Verstehen wir diesen Hinweis als Aufforderung zu mehr Selbstsicherheit, weil wir klug sind und unsere Wähler auch.

Auf uns kommt es an!

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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2013