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PARTEIEN/095: Genosse Trend ist ein Grüner (idw)


Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung DIW Berlin - 24.03.2011

Genosse Trend ist ein Grüner


Die Grünen könnten sich bei Wahlen dauerhaft rund um die 20-Prozent-Marke platzieren. Jenseits aktueller Stimmungstrends kann die Partei von einem langfristigen Anstieg ihrer Anhängerschaft profitieren. Dies ist das Ergebnis einer heute vorgestellten Langfristanalyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Die Grünen finden seit den 80er Jahren bis heute ungebrochen überproportionale Unterstützung bei jungen Menschen. Der Partei gelingt es zudem, diese Anhänger im späteren Lebenslauf dauerhaft an sich zu binden.

Ein weiteres Ergebnis: Ein großer Teil der ehemals jugendlichen grünen Anhänger ist inzwischen insbesondere unter Besserverdienenden, Beamten, Angestellten und Selbstständigen zu finden. Bündnis 90/Die Grünen machen somit hinsichtlich der Interessenvertretung einer bürgerlichen Klientel insbesondere der Union und der FDP Konkurrenz. Dennoch gilt: Bei den Schwankungen der Anhängerschaft gibt es für die Grünen einen Austausch nahezu ausschließlich mit einer einzigen Partei - der SPD.

Bündnis 90/Die Grünen repräsentierten früher eine Partei der gebildeten, aber schlecht verdienenden, ökologisch orientierten Jungen. "Inzwischen ist es den Grünen gelungen, sowohl die frühen Unterstützer dauerhaft an die Partei zu binden und bei Erst- und Jungwählern zugleich weiterhin überdurchschnittlich erfolgreich zu sein", sagt Martin Kroh, einer der Autoren der DIW-Studie. "Heute sind die Grünen die Partei der umweltbewussten, gut gebildeten, gut verdienenden Beamten und Selbständigen mittleren Alters in Großstädten."

Formal gering Gebildete, Arbeitslose und Geringverdiener unterstützen die Grünen hingegen kaum. Grüne Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik muss auf diese Klientel folglich nur wenig Rücksicht nehmen. "Der Aufstieg der Grünen ist alles andere als ein kurzfristiges Phänomen", so Jürgen Schupp, Leiter des SOEP im DIW Berlin. "Vielmehr ist die Partei im Bürgertum sehr dauerhaft etabliert - eine klassisch linke Klientel haben die Grünen hingegen derzeit nicht."


Pazifisten sind keine typischen Grünen-Anhänger

Die Langfrist-Betrachtung der SOEP-Daten liefert einen weiteren auffallenden Befund: Das Thema Pazifismus haben die Grünen an die Linkspartei verloren. Dies zeigt sich zumindest, wenn man die Anhänger der Grünen Jahr für Jahr nach ihren politischen Sorgen befragt. So unterstützen Befragte, die Sorgen um den Friedenserhalt äußern, seit Ende der 90er Jahre nicht mehr überproportional die Grünen.


Wanderungen zwischen Parteien sind selten - nur bei SPD und Grünen gibt es eine gewisse Wanderbereitschaft

Wanderungen zwischen Parteien und insbesondere zwischen politischen Lagern treten sehr selten auf: 84 Prozent der Grünen-Anhänger von 2009, die auch 2010 eine Partei unterstützten, nannten wieder B90/Die Grünen. Zum Vergleich: Bei der CDU/CSU sind es 95 Prozent, bei der SPD 90 Prozent, bei der Linken 89 Prozent und bei der FDP 61 Prozent.

Die Analyse der SOEP-Daten zeigt: Wanderungsbewegungen bei den Anhängern der Grünen gibt es nahezu ausschließlich mit der SPD. Diese Wanderung geht in beide Richtungen. In Zeiten politischer Krisen (Fundi-Realo-Auseinandersetzung, Bundeswehreinsätze Ende der 90er Jahre) haben die Grünen beispielsweise viele Anhänger wieder an die SPD verloren. Der Austausch an Anhängern mit den bürgerlichen Parteien und der PDS/Linken fällt für die Grünen weit weniger ins Gewicht.


Demographischer Wandel: Struktureller Vorteil für die Grünen

Klar ist: Der Anstieg der grünen Anhängerschaft kann nicht maßgeblich aus der Zuwanderung von ehemaligen Anhängern anderer Parteien erklärt werden. Eine plausible alternative Erklärung besteht darin, dass insbesondere das Hineinwachsen neuer geburtenstarker Geburtsjahrgänge den Grünen einen langsam wachsenden Rückhalt beschert hat.

Demnach sind die ersten Generationen von jungen Grünen-Anhängern aus den 80er Jahren (Jahrgänge 1950/59 und insbesondere 1960/69) der Partei auch 30 Jahre nach deren Gründung in hohem Maße treu geblieben. In dem Maße, in dem sich im Laufe der Zeit die relative Bedeutung der Geburtsjahrgänge bis 1950 zu den Jahrgängen nach 1950 verringert, steigt auch der Anteil grüner Parteianhänger an der Bevölkerung. Der demographische Wandel der Gesellschaft stellt somit einen strukturellen Vorteil für die Grünen dar und eröffnet der Partei die Möglichkeit, sich künftig tatsächlich der 20-Prozentmarke bei Wahlen zu nähern.


Die Abiturienten-Partei

Die SOEP-Analyse bestätigt zudem das Bild von den Grünen als Partei der arrivierten, gut gebildeten Großstädter. Die Altersstruktur ihrer Anhängerschaft spiegelt sich auch in den beruflichen Lebenswegen ihrer Anhänger: Die Grünen rekrutieren ihre Anhänger fast ausschließlich unter Menschen mit Abitur (etwa 18 Prozent seit 1984). Unter Menschen mit einem Volks- oder Hauptschulabschluss finden die Grünen hingegen kaum Unterstützung (etwa drei Prozent). Dieser Zusammenhang hat sich seit den 80er Jahren nicht verändert. Doch die ehemaligen Abiturienten und Studenten sind inzwischen in gut bezahlte Berufe hineingewachsen - ihre politische Anhängerschaft haben sie beibehalten.


Höchster Anteil von Grünen-Anhängern bei der höchsten Einkommensgruppe

Auch an den Einkommen der grünen Parteianhänger ist diese Entwicklung nochmals abzulesen. Die Grünen fanden 1984 bis 1989 mit rund neun Prozent die höchste Unterstützung bei den 20 Prozent der Bevölkerung mit den geringsten verfügbaren Einkommen. Dieses Bild hat sich in den folgenden Jahren ins Gegenteil verkehrt. So ist in der Periode von 2008 bis 2010 der höchste Anteil grüner Parteianhänger bei Personen mit dem höchsten Einkommen anzutreffen (16 Prozent Unterstützung im obersten Einkommensfünftel).


"Keine Konkurrenz um linke Klientel"

Bezogen auf die sozialstrukturelle Position ihrer Anhänger finden die Grünen heute somit die höchste Unterstützung bei einem gutsituierten Bildungsbürgertum. "Gerade auch der Erfolg bei Selbstständigen und Freiberuflern sowie bei Personen mit überdurchschnittlichen Einkommen untergräbt den bürgerlichen Alleinvertretungsanspruch von Union und FDP für diese Klientel", so Studienautor Martin Kroh. "Die fehlende Unterstützung der Grünen bei Menschen mit geringer Bildung, Arbeitern und Arbeitslosen deutet hingegen darauf hin, dass die Grünen trotz ihrer Selbstwahrnehmung als "linke" Kraft mit der SPD und Linken faktisch nicht um Anhänger aus dem klassischen Arbeitermilieu konkurrieren.


HINTERGRUND:
Jenseits der Sonntagsfrage - Das SOEP zeigt, wie Parteibindungen mit Einkommen, Beruf und Bildung zusammenhängen

Die heute veröffentlichte Untersuchung wirft einen analytischen Blick auf langfristige Trends. Sie greift dabei zurück auf die vom DIW Berlin zusammen mit TNS Infratest Sozialforschung erhobenen Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Das Besondere dieser Daten: Zum einen werden im SOEP seit mehr als 27 Jahren stets dieselben Personen zu ihren parteipolitischen Präferenzen befragt. Zum zweiten liefert das SOEP einen einmaligen Datenreichtum zu der Frage, wer diese Anhänger sind - wie viel sie verdienen, welche Bildungsabschlüsse und welche berufliche Stellung sie haben.

Was das SOEP auszeichnet: Den hier befragten rund 20.000 Personen wird nicht die Sonntagsfrage gestellt ("Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre ..."). Vielmehr wird danach gefragt, ob man sich auch unabhängig von Wahlterminen als Anhänger einer bestimmten Partei bezeichnen würde. Die meisten Personen, die angeben, einer Partei verbunden zu sein, bleiben dieser Partei auch in wiederholten Befragungen treu. Von den geschätzten 3,2 Millionen Anhängern von B90/Die Grünen des Jahres 2009 unterstützten rund 2,3 Millionen die Grünen auch im darauffolgenden Jahr.

Weitere Informationen unter:
http://www.diw.de/sixcms/detail.php/369950
Wochenbericht Bündnis 90/Die Grünen auf dem Weg zur Volkspartei
http://www.diw.de/soep
Sozio-oekonomisches Panel im DIW

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution375


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung DIW Berlin,
Renate Bogdanovic, 24.03.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2011