Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

MILITÄR/912: Ferngesteuertes Sterben - Neues Buch beleuchtet US-Drohneneinsatz (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Mai 2012

Rüstung: Ferngesteuertes Sterben - Neues Buch beleuchtet US-Drohneneinsatz

von Johanna Treblin



New York, 16. Mai (IPS) - Seit ihrer Einführung vor mehr als einem halben Jahrhundert sind unbemannte Flugkörper oder Drohnen kontinuierlich weiterentwickelt worden. Inzwischen arbeiten Wissenschaftler am israelischen Forschungszentrum 'Technion' sogar an ferngesteuerten Fluggeräten, die kaum größer als Heuschrecken sind und als Kundschafter losgeschickt werden sollen.

So faszinierend die Entwicklung dieser Objekte auch sein mag, so gibt sie Anlass zu heftigen Diskussionen, vor allem wenn die Drohnen mit Waffen bestückt sind. Das verdeutlicht das in diesem Monat in New York veröffentlichte Buch 'Drone Warfare: Killing by Remote Control' (Drohnenkrieg: Ferngesteuertes Töten), das den zunehmenden Drohneneinsatz und die Auswirkungen für Zivilisten thematisiert. Die Publikation gibt zudem einen Überblick über den Stand der Kontroverse über die Technologie. Autorin ist Medea Benjamin, eine Aktivistin, die sich in der Friedensbewegung engagiert und für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit eintritt.

Inzwischen sind 50 Länder im Besitz von Drohnen oder unbemannten Luftfahrzeugen - entweder zu militärischen, zivilen oder Forschungszwecken. Die US-Armee setzte erstmals im zweiten Weltkrieg und im Korea-Krieg Drohnen ein. Sie kamen jedoch erst im Vietnamkrieg als fliegende Kundschafter zum Einsatz.

Während der Balkankriege in den 1990er Jahren wurde die sogenannte Predator-Drohne, die gängigste Art der unbemannten Flugkörper, mit einem eigenen Satelliten-Kommunikationssystem ausgestattet. Sie sollte die Flüchtlingsströme und die Aktivitäten der serbischen Luftwaffe ausspähen.


Killerdrohnen beim NATO-Einsatz im Kosovo

Während des NATO-Einsatzes im Kosovo 1999 seien die Drohnen erstmals mit Raketen bestückt und somit zu Killerdrohnen umgerüstet worden, schreibt Benjamin.

Derzeit erfüllen Drohnen eine Vielfalt von Aufgaben. In den USA werden sie eingesetzt, um nach Drogenschmugglern zu suchen oder die US-mexikanische Grenze zu kontrollieren. In Deutschland beobachtete 2010‍ ‍ein solcher Flugkörper der niedersächsischen Polizei den Castor-Atommüll-Transport.

US-Killerdrohnen sind seit 2002 im Einsatz - erstmals in Afghanistan und seit 2004 auch in Pakistan. Auch wurden sie im Jemen gesichtet. Allein in Pakistan kam es seither zu 321 Drohnenanschlägen (Stand 2. Mai 2012). Bemerkenswert ist, dass nur 52 in die Verantwortlichkeit der Regierung des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush fallen. Unter seinem Amtsnachfolger Barack Obama wurden hingegen 269 Drohnenangriffe durchgeführt.

Nach Angaben der USA halten sich in Pakistan 175 mutmaßliche Al-Kaida-Kämpfer versteckt. Die Drohnenanschläge haben jedoch mehr als 3.000 Menschen getötet, wobei die meisten Opfer Zivilisten waren. Die Zahlen stammen von dem pakistanischen Anwalt, Aktivisten und Leiter der Stiftung für fundamentale Rechte, Shazad Akbar, der die Informationen über die Drohneneinsätze sammelt und sich dafür einsetzt, dass die USA den Drohnenopfern und ihren Familien Schadenersatz leisten.


Die Grenzen von Präzisionswaffen

Wie Akbar bei der Präsentation des neuen Berichts in New York verdeutlichte, halten die Präzisionswaffen bei weitem nicht, was sie versprechen. Er brachte etliche Beispiele, in denen US-Drohnen aufgrund ihrer Zielungenauigkeit ganze Familien ausgerottet haben. Die Gefahr von 'Kollateralschäden' - wie im Militärjargon derartige unbeabsichtigte Todesfälle verharmlost werden - ist nur ein Grund, warum Benjamin und Akbar den Einsatz der Drohnen ablehnen. Sie wiesen ferner darauf hin, dass die Einsätze jenseits jedes rechtlichen Raums stattfinden. Anstatt Verdächtige festzunehmen und vor Gericht zu stellen, wie dies internationale Konventionen verlangen, würden sie von den USA getötet.

Akbar schilderte die Geschichte eines mutmaßlichen Al-Kaida-Mannes, der von einer Drohne im pakistanischen Islamabad getötet wurde. "Tarik war nur eine Meile von der US-Botschaft entfernt. Man hätte ihn also leicht festnehmen und sogar in Guantánamo foltern können", sagte Akbar sarkastisch. Dann hätte er wenigstens nicht sterben müssen. Nicht-US-Bürger zu töten, um das Leben von Amerikanern zu retten bezeichnete Benjamin als zutiefst rassistische Haltung.

Ob Drohnen einen wichtigen Beitrag zur nationalen Sicherheit leisten, bezweifeln ihre Gegner. Sie argumentieren vielmehr, dass die durch Drohnen verursachten Todesfälle immer mehr Menschen in den Opferländern gegen die USA aufbringen. Die zunehmende Wut auf Washington wiederum könne sich zu einer Bedrohung der nationalen Sicherheit auswachsen.


Ausbau von Drohnenprogramm unter Obama

In ihrem Buch stellt Benjamin fest, dass für den ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush Drohnen ein legales Instrument im Kampf gegen den Terror waren. Unter Präsident Obama wurde das vom CIA kontrollierte Drohnenprogramm weiter ausgebaut. "Die Erkenntnis bricht mir das Herz, dass wir es Barack Obama durchgehen lassen, jenseits der Grenzen internationalen Rechts zu operieren."

Erst kürzlich hatte Obamas Antiterrorismusbeauftragter John Brennan eingeräumt, dass die USA bei Einsätzen auf bewaffnete Drohnen zurückgreifen. Wie Brennan am 30. April im 'Wodrow Wilson International Centre for Scholars' in Washington erklärte, ist das Drohnenprogramm "legal", "ethisch" und "klug". Er fügte hinzu, dass die USA die Souveränität von Staaten achten und internationales Recht einhalten. Für den Tod der vielen Opfer der Drohneneinsätze wollte er sich nicht entschuldigen. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:
http://www.orbooks.com/catalog/drone-warfare/
http://rightsadvocacy.org/
http://www.wilsoncenter.org/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=107770

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 16. Mai 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2012