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MILITÄR/859: Interkulturelle Einsatzberater (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 15.07.2010
(german-foreign-policy.com)

Interkulturelle Einsatzberater 15.07.2010


BERLIN/MAYEN/TÜBINGEN - Die mit psychologischer Kampfführung befasste Einheit der Bundeswehr rekrutiert Ingenieure, Entwicklungshelfer und Journalisten für Kriegsoperationen in Afghanistan. Von den Bewerbern wird "tiefgründiges Verständnis" des afghanischen "Kulturraums" verlangt; besonders gefragt sind "zivile Berater", die "schon einige Jahre am Hindukusch gelebt haben". Die sogenannten Interkulturellen Einsatzberater (IEB) unterstehen direkt den deutschen Truppenkommandeuren; sie sind gehalten, informationelle Netzwerke unter der einheimischen Bevölkerung zu knüpfen und Multiplikatoren für die westliche Besatzungspropaganda zu gewinnen. Nach ihrem Einsatz in Afghanistan müssen die IEB für den Informationsaustausch mit nicht näher definierten "zivilen und militärischen Dienststellen" zur Verfügung stehen; die Formulierung legt nahe, dass sie auch von Geheimdiensten abgeschöpft werden. Bereits in der Vergangenheit wurden Bundeswehrsoldaten mittels "interkulturellen Trainings" auf Kriegsoperationen vorbereitet. Parallel dazu werben insbesondere deutsche Repressionsbehörden um Islamwissenschaftler und Ethnologen. Die Rekrutierung ziviler Experten wird nicht zuletzt dadurch begünstigt, dass ehemalige IEB Lehraufträge an deutschen Hochschulen erhalten.

Das mit der psychologischen Kriegführung der Bundeswehr befasste "Zentrum für Operative Information" in Mayen (Rheinland-Pfalz) hat eigenen Angaben zufolge eine Kampagne zur Rekrutierung "Interkultureller Einsatzberater" für Afghanistan gestartet. Gesucht werden Orientalisten, Historiker und Politologen, insbesondere aber "Ingenieure, Entwicklungshelfer oder Journalisten (...), die schon einige Jahre am Hindukusch gelebt haben".[1] Wie die deutschen Streitkräfte weiter mitteilen, sei eine akademische Ausbildung zwar wünschenswert, aber nicht ausschließliche Bedingung für die Einstellung von Bewerbern: "Entscheidend ist, das ein tiefgründiges Verständnis für die gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse des Kulturraums nachvollziehbar vorhanden ist, in dem der Einsatz erfolgt."[2]


Vertrauensbasis

In Afghanistan unterstehen die "Interkulturellen Einsatzberater" (IEB) direkt den deutschen Truppenkommandeuren; sie sind gehalten, diese insbesondere bei der "Kommunikation und Interaktion mit der örtlichen Bevölkerung" zu unterstützen. Dabei komme es zunächst darauf an, "lokale, ethnische, religiöse, politische und weitere soziokulturelle Strukturen" zu "identifizieren" und zu "bewerten" [3], um darauf aufbauend eine "Vertrauensbasis" für die deutschen Besatzungstruppen zu schaffen, erklärt das "Zentrum für Operative Information" [4]. Im Fokus der entsprechenden Bemühungen stehen laut Bundeswehr "lokale Multiplikatoren" - zumeist Angehörige traditioneller Eliten, die einerseits für die Vermittlung propagandistischer Inhalte gewonnen und andererseits im Sinne einer umfassenden "Lagebeurteilung" abgeschöpft werden sollen.[5] Der für die Rekrutierung von IEB beim "Zentrum für Operative Information" zuständige Oberst Cornelius Kliesing bringt die Schlüsselfunktion der "Berater" auf den Punkt: "Ein Soldat kann fahren, funken und schießen. Die Afghanen erreicht er damit aber nicht."[6]


Netzwerke und Multiplikatoren

Den Streitkräften zufolge müssen die IEB vor dem Ende ihrer Mission am Hindukusch die von ihnen unter der einheimischen Bevölkerung geknüpften Netzwerke und die von ihnen gewonnenen Multiplikatoren an ihren jeweiligen Nachfolger "übergeben".[7] Zurück in Deutschland sind sie dann gehalten, die "im Einsatz gewonnenen Erkenntnisse" auszuwerten und zu archivieren, um auf dieser Grundlage wiederum die "sich im Einsatz befindenden interkulturellen Berater" zu unterstützen. Wie das "Zentrum Operative Information" weiter mitteilt, verpflichtet sich jeder IEB zum "Informationsaustausch mit anderen militärischen und zivilen Dienststellen".[8] Die Aussage legt eine Kooperation mit Geheimdiensten nahe - zumal auch diese massiv um zivile Experten mit "vertiefte(n) Kenntnisse(n) der islamischen Kultur" werben (german-foreign-policy.com berichtete [9]).


Kulturen-Knigge

Der Einsatz "interkultureller Berater" hat bei der Bundeswehr mittlerweile Tradition: Spätestens seit 2006 werden die Kampftruppen für Afghanistan mit dem sogenannten Lernspiel "Dimension Kulturen" geschult. Die im Kosovo eingesetzten Besatzungskräfte erhielten bereits frühzeitig einen "Kulturen-Knigge für die Beintasche".[10] Parallel dazu untersucht das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr (SoWi), inwiefern "muslimische Soldaten" bei Kriegsoperationen in "muslimischen Regionen" als "Sprach- und/oder Kulturmittler" eingesetzt werden können (german-foreign-policy.com berichtete [11]).


Lehraufträge

Die Rekrutierung entsprechender Fachkräfte wird dadurch begünstigt, dass "Interkulturelle Einsatzberater" der Bundeswehr von zivilen Hochschulen Lehraufträge erhalten. So offerierte die Ethnologin Monika Lanik dieses Sommersemester an der Universität Tübingen ein Seminar, das sich explizit mit der "Counterinsurgency-Strategie der NATO" in Afghanistan befasste.[12] Lanik, die den Rang einer Oberregierungsrätin bekleidet, arbeitet aktuell im "Amt für Geoinformationswesen" des deutschen Militärs. Zuvor fungierte sie als "Interkulturelle Einsatzberaterin" des bis zu seiner Auflösung 2007 geheimdienstlich operierenden "Zentrums für Nachrichtenwesen" der Bundeswehr.


Anmerkungen:


[1] Armee sucht Kriegsberater, Frankfurter Rundschau 24.04.2010. Bundeswehr sucht zivile Afghanistan-Experten, Welt Online 23.04.2010

[2] Fragen und Antworten rund um die Einstellung als Interkultureller Einsatzberater; www.streitkraeftebasis.de

[3] Konflikte reduzieren, Vertrauen schaffen mit kompetenter interkultureller Beratung in Afghanistan: Interkulturelle Einsatzberaterin/Interkultureller Einsatzberater (Personalwerbefaltblatt des Zentrums Operative Information)

[4] Zu Hause in der Fremde; www.streitkraeftebasis.de

[5] Konflikte reduzieren, Vertrauen schaffen mit kompetenter interkultureller Beratung in Afghanistan: Interkulturelle Einsatzberaterin/Interkultureller Einsatzberater (Personalwerbefaltblatt des Zentrums Operative Information)

[6] Armee sucht Kriegsberater, Frankfurter Rundschau 24.04.2010. Bundeswehr sucht zivile Afghanistan-Experten, Welt Online 23.04.2010

[7] Zu Hause in der Fremde; www.streitkraeftebasis.de

[8] Konflikte reduzieren, Vertrauen schaffen mit kompetenter interkultureller Beratung in Afghanistan: Interkulturelle Einsatzberaterin/Interkultureller Einsatzberater (Personalwerbefaltblatt des Zentrums Operative Information)

[9] s. dazu Kulturelles Fachwissen
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57057

[10] s. dazu Gewaltoperationen optimiert
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56829

[11] s. dazu Migranten an die Front
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57467

[12] Eberhard Karls Universität Tübingen/Asien-Orient-Institut:
Kommentiertes Vorlesungsverzeichnis Ethnologie. Sommersemester 2010


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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
Herausgegeber: German News Informations Services GmbH
c/o Horst Teubert
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E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2010