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MENSCHENRECHTE/228: Nachsicht statt Druck, milder Umgang mit repressiven Machthabern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Januar 2011

Menschenrechte: Nachsicht statt Druck - Milder Umgang mit repressiven Machthabern

Von Aprille Muscara


Washington, 25. Januar (IPS) - Die Großen der Welt werden nicht müde, weltweit die Achtung der Menschenrechte einzufordern. Als publikumswirksame Rhetorik kritisiert die internationale Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) diese hehren Appelle. Denn wo es um eigene wirtschaftliche, geopolitische oder militärische Interessen geht, lassen mächtige Regierungen und internationale Institutionen in West und Ost hinter den Kulissen häufig Milde gegenüber Menschenrechtsverletzern walten und verweisen auf die Notwendigkeit der 'stillen Diplomatie'.

In ihrem 649 Seiten starken Jahresbericht über die Situation der Menschenrechte in über 90 untersuchten Ländern (2010) nimmt die angesehene Nichtregierungsorganisation kein Blatt vor den Mund. Die Europäische Union, die Vereinten Nationen oder der Verband Südostasiatischer Staaten sind von ihrer massiven Kritik ebenso wenig ausgenommen wie UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton, US-Präsident Barack Obama, Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Großbritanniens Premierminister David Cameron.

"Die ritualisierte Unterstützung für 'Dialog' und 'Kooperation' mit autoritären Regierungen dient häufig als Entschuldigung für die tatsächliche Untätigkeit auf dem Gebiet der Menschenrechte", erklärte Kenneth Roth, Exekutivdirektor von Human Rights Watch. "Die 'konstruktiven Dialoge' der EU gehören zu den ungeheuerlichsten Beispielen für diesen weltweiten Trend." Bundeskanzlerin Merkel warf der HRW-Chef vor, während ihrer China-Reise die Menschenrechte nur beiläufig erwähnt zu haben.

Noch am Tage der Veröffentlichung des HRW-Reports wies Farhan Haq, ein Sprecher Ban Ki-moons, die Kritik an seinem Chef zurück. "Nach Ansicht des UN-Generalsekretärs schließen sich Diplomatie und öffentlicher Druck nicht aus", betonte er. HRW hatte Ban Ki-Moon vorgeworfen, er kritisiere Menschenrechtsverletzungen in Ländern wie Burma, China oder Sri Lanka nicht deutlich genug.

Auch gewichtige Schwellenländer wie Brasilien, Indien und Südafrika (IBSA) geraten ins Visier der Menschenrechtsaktivisten. "Zu Hause haben sie starke, lebendige Demokratien, doch anderswo lassen sie es an der Unterstützung von Menschenrechtsinitiativen fehlen, obgleich sie selbst in ihrem Kampf gegen Kolonialmächte, Diktatoren und Apartheid von der internationalen Solidarität profitiert haben", stellt der 21. HRW-Jahresbericht fest. Sie sollten mehr tun, damit auch "weniger progressive Regierungen" den Einzelnen vor Repressionen schützen.


Jede Einflussmöglichkeit nutzen

Auch Ted Piccone von der 'Brookings Institution' in Washington macht vor allem Demokratien für den Schutz der Menschenrechte und deren Förderung verantwortlich. Der Vizedirektor der außenpolitischen Abteilung der Denkfabrik sagte IPS: "Sie sollten die ganze Bandbreite ihres Einflusses nutzen, von Dialog und Zusammenarbeit bis zu öffentlicher Kritik und zu Sanktionen."

"Häufig stützt sich die Außenpolitik der IBSA-Länder auf den Ausbau politischer und wirtschaftlicher Beziehungen im Süden und verweist dabei auf die westliche Doppelmoral", heißt es im HRW-Bericht. "Das rechtfertigt aber nicht, dass sie Menschen im Stich lassen, deren Rechte, anders als die ihrer eigenen Bürger, noch nicht respektiert werden."

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des HRW-Berichts spielt für Brasilien, Deutschland, Indien und Südafrika eine besondere Rolle. Alle vier Staaten sind derzeit nichtständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates. Dieser schreckt traditionell davor zurück, Menschenrechtsfragen in einzelnen Ländern direkt anzugehen. Als Begründung heißt es, sein Mandat gelte der internationalen Wahrung von Frieden und Sicherheit.

Menschenrechtsaktivisten lassen dieses Argument nicht gelten. Auch der HRW-Bericht verweist darauf, dass die energische Verfechtung der Menschenrechte oder die Verurteilung von Menschenrechtsverstößen anderer Länder häufig ins Hintertreffen geraten, wenn es im eigenen Land um Entwicklung, Wirtschaftswachstum oder um erhoffte Katastrophenhilfe geht.


Gute Partner, schlechte Partner

So setzen beispielsweise die USA mit dem Hinweis auf mangelnde Achtung der Menschenrechte ausgewählte Länder unter Druck, während andere, für sie wirtschaftlich und strategisch wichtige Länder wie Bahrain, Indien und Indonesien, davon verschont bleiben. Kritisiert wird auch, wie tolerant sich die USA gegenüber Ländern verhalten, in denen im Namen der Terrorismusbekämpfung gefoltert und gemordet wird.

Das gilt nach Ansicht von HRW auch für Deutschland, das das autokratisch regierte Äthiopien trotz zahlreicher Menschenrechtsverletzungen und Massaker an Zivilisten auch weiterhin mit Entwicklungsgeldern versorgt und die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem ostafrikanischen Land intensivieren möchte.

"Wenn sich, vor allem durch den Aufstieg Chinas, die globale Machtbalance verschiebt, der Kampf um Märkte und Naturressourcen in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten stärker wird und die moralischen Standards der Westmächte bei der Bekämpfung des Terrorismus schwinden, nimmt auch die Entschlossenheit vieler Regierungen ab, in der Öffentlichkeit entschieden für die Menschenrechte einzutreten", kritisiert HRW.

Dabei könnte der internationale Druck etwa auf Äthiopien, Ruanda, Usbekistan, Saudi-Arabien, Kambodscha, die USA (Guantanamo) oder Länder, in denen Roma leben, zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage beitragen, betont HRW im Jahresbericht. Hier reichten "Dialog" und "Kooperation" nicht aus.

Dieser Einschätzung stimmt auch Piccone zu. Gegenüber IPS erklärte der Politologe: "Wenn für Menschenrechtsverletzungen direkt Verantwortliche die Zusammenarbeit verweigern oder die Verstöße leugnen, sollte sich die internationale Gemeinschaft einschalten. In vielen Fällen ist internationaler Druck der Katalysator, der ein Regime schließlich zum Einlenken bewegt und Veränderungen bewirkt. Fehlt der Druck, könnte eine Regierung ihre Repression noch verstärken", warnt Piccone. (Ende/IPS/mp/2011)


Links:
http://www.hrw.org
http://www.brookings.edu/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=54222

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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2011