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MENSCHENRECHTE/214: Zielvorstellungen der NATO im Menschenrechtsbereich herausgefordert (ECCHR)


International Federation for Human Rights (FIDH)
Center for Constitutional Rights (CCR)
European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

Presseerklärung vom 1. April 2009

Zielvorstellungen der NATO durch bescheidene Leistungen im Menschenrechtsbereich herausgefordert


Strasbourg, Paris, New York, Berlin, 1. April 2009 - Anlässlich des beginnenden 60. Jubiläumsgipfels der Nordatlantischen Vertragsorganisation (NATO) stellen die Menschenrechtsorganisationen Center for Constitutional Rights (CCR), die Fédération Internationale des Ligues des Droits de l'Homme (FIDH) und das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) die Beschaffenheit und Stichhaltigkeit der Verpflichtung der NATO gegenüber internationalem Recht und der Rechtsstaatlichkeit in Frage.

Während einer in Strasbourg am 1. April 2009 abgehaltenen Konferenz analysierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Entscheidungen und Abkommen, welche die NATO im Zuge der terroristischen Anschläge vom 11. September 2001 vorgenommen hat, und die anschließend von den NATO-Mitgliedstaaten als Plattform benutzt wurden, um geheime Überstellungen von Terrorverdächtigen in Folter-Geheimgefängnisse zu organisieren bzw. diese zu decken. Voraussichtlich mehrere Hundert Personen wurden Opfer von erzwungenem Verschwindenlassen, willkürlicher Verhaftung sowie Folter im Rahmen eines zwischenstaatlichen Programmes, welches im Zusammenhang der globalen Antiterrormaßnahmen aufgebaut wurde.

Während der Konferenz wurden auch fortgesetzte Verletzungen universeller Menschenrechte sowie des humanitären Völkerrechts durch die NATO-Truppen in Afghanistan thematisiert. Es ist praktisch unmöglich, genauere Informationen bezüglich der Verbrechen zu erlangen, die während der Militäraktionen verübt worden sind. Ähnlich verhält es sich mit der Haftung für diese Verbrechen angesichts einer grundsätzlich mangelnden rechtlichen Verantwortlichkeit. Die Opfer dieser Verletzungen werden allein gelassen und so ein wiederholtes Mal viktimisiert.

Die NATO verschließt die Augen in Bezug auf das geheime «renditions» Programm und das Fehlen einer rechtlichen Verantwortung in Afghanistan. Beides hat das Image der Organisation deutlich angeschlagen und stellt deren selbst gesetzte Ziele, wie die Erhaltung des Friedens und der Stabilität in den NATO-Mitgliedstaaten, ernsthaft in Frage.

Die genannten Menschenrechtsorganisationen rufen die NATO-Mitgliedstaaten auf, sich an deren Verpflichtungen aus dem Völkerrecht, den universellen Menschenrechten, dem humanitären Völkerrecht sowie dem Völkerstrafrecht, gerecht zu werden. Im Bewusstsein dessen, dass die Regierungsvertreter der NATO-Mitgliedstaaten bekundet haben, Werte in das Zentrum der Tätigkeit des Bündnisses zu rücken, fordern die genannten Menschenrechtsorganisationen die am 60. Jubiläumsgipfel teilnehmenden Bündnismitglieder dazu auf: Die Schritte zu bestimmen, welche die Mitgliedstaaten des Bündnisses vornehmen werden, um Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte wiederherzustellen.

1. Deshalb fordern wir Transparenz und Zugang zu Informationen über alle Aktivitäten der NATO, die zu Verletzung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts geführt haben.

Fehlende Transparenz und die Versagung von Informationen führt zu Misstrauen über die Ziele und den Zweck der Bündnisaktivitäten in den betroffenen Gesellschaften und verunmöglicht die Einleitung entsprechender Ermittlungen und die Strafverfolgung von Verbrechen.

2. Wir fordern eine Übernahme der Verantwortung für die verübten Verbrechen, die durch Verletzung der universellen Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts begangen wurden.

Opfer von Rechtsverletzungen haben ein Recht auf Gerechtigkeit und Wiedergutmachung.
Betroffene Gesellschaften brauchen die Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Regeln.
Die Übernahme der Verantwortung führt zur Verhinderung von Verbrechen in der Zukunft.

Informationen zur Konferenz:
http://ecchr.de/veranstaltungen/articles/id-6060-nato-und-menschenrechte- zwei-jahrestage-zwei-feiern-die-rolle-der-nato-nach-dem-11-september.html

Die Konferenz war eine besondere Zusammenkunft von Menschenrechtsanwältinnen und - anwälten, Menschenrechtsaktivisten, Richtern, Staatsanwälten, dem ehemaligen NATO-Vorsitzenden, ehemaligen Guantánamo-Häftlingen und Opfern willkürlicher Verhaftungen im Rahmen des geheimen Extraordinary-Rendition-Programms. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer stammen aus den USA, Kanada, Europa und Afghanistan.

Als Referentinnen und Referenten beteiligten sich:


Giorgio Malinverni, Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
Edgar Buckley, ehemaliger NATO Assistant Secretary General (1999-2003)
Ms. Sima Samar, mehrfach ausgezeichnete Leiterin der Afghanistan Independent Human Rights Commission
Maher Arar, kanadischer Staatsbürger und Opfer des geheimen Rendition-Programms und von Folter
Michael Ratner, Vorsitzender des Center for Constitutional Rights (CCR)
Alain Joxe, Mitbegründer des in Paris ansässigen "Centre Interdisciplinaire de Recherches sur la Paix et d'Etudes Stratégiques"
Phil Shiner und Francoise Hampson, führende britische Rechtsanwälte
Dr. Dmitry Danilov, Leiter des Department of European Security der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau
Wolfgang Kaleck, Mitbegründer des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)
Gavin Simpson, ehemaliger Ermittler für den Europarats-Sonderermittler Dick Marty zum geheimen Extraordinary-Rendition-Program
Dan Van Raemdonck, Vize-Präsident der Internationale Föderation der Menschenrechte (FIDH)

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Quelle:
Presseerklärung vom 1. April 2009
European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) e. V.
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Telefon: +49 (0) 30 400 485 90, Fax: +49 (0) 30 400 485 92
E-Mail: info@ecchr.eu
Internet: http://www.ecchr.eu


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2009