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MEDIEN/378: Leitlinien für eine moderne Netzpolitik (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7-8/2010

Leitlinien für eine moderne Netzpolitik
Anmerkungen zur Enquête-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft"

Von Martin Dörmann


Mit der Einrichtung der Enquête-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" hat der Deutsche Bundestag Netzpolitik als ein wichtiges Politikfeld anerkannt. Die mit der Digitalisierung verbundenen Veränderungen für unser Zusammenleben sind noch nicht in allen Konsequenzen absehbar. So manche Widersprüche gilt es aufzulösen. Die Chancen überwiegen aber deutlich, etwa für größere Angebotsvielfalt und gesellschaftliche Teilhabe. Wir müssen die Vorteile für alle nutzbar machen und auf Herausforderungen angemessen reagieren.


Zu Recht wird das Internet als größte kulturelle Umwälzung seit der Erfindung des Buchdrucks bezeichnet. Es hat der Globalisierung eine enorme Dynamik verliehen und prägt die soziale, kulturelle und berufliche Lebenswirklichkeit von immer mehr Menschen. Das freie Internet stärkt die Entfaltungsmöglichkeiten jedes Einzelnen von uns. Es bietet neue Möglichkeiten demokratischer Beteiligung und wirtschaftlicher Entwicklung.

Diese positiven Wirkungen gilt es zu sichern und auszubauen. Zugleich dürfen wir nicht die Augen vor den großen Herausforderungen verschließen: Das Netz verändert unser Denken und stellt bisherige gesellschaftliche Strukturen in Frage. Und viele Menschen haben noch keinen Zugang zur digitalen Welt, so dass die Gefahr einer digitalen Spaltung besteht. Deshalb ist zentrales Anliegen sozialdemokratischer Medien- und Netzpolitik, allen Menschen die Vorteile des Internets nutzbar zu machen und die freie Kommunikation zu schützen. Auf der anderen Seite darf die Offenheit des Internets nicht dazu führen, die Rechte des Einzelnen abzuschneiden. Im Kern geht es also darum, gleichzeitig gesellschaftliche Teilhabe, Angebotsvielfalt, Freiheit und Rechte im Netz zu sichern.

Die vom Bundestag eingerichtete Enquête-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" bietet eine große Chance, endlich eine breite gesellschaftliche Debatte über die Auswirkungen und Erfordernisse des digitalen Wandels zu führen. Wie notwendig diese ist, hat im vergangenen Jahr der Streit um Internetsperren gezeigt. Auch die SPD hat hieraus ihre Konsequenzen gezogen und ist gerade dabei, sich auf verschiedenen Ebenen netzpolitisch breiter und konsequenter aufzustellen. So hat die Medienkommission beim SPD-Parteivorstand mit den neuen Gesprächskreisen "Netzpolitik und digitale Gesellschaft" sowie "Digitale Infrastruktur" zwei zusätzliche Säulen erhalten. Und in der SPD-Bundestagsfraktion arbeiten jetzt mehr Abgeordnete aktiv an netzpolitischen Themen mit, von der Enquête-Kommission über den Unterausschuss "Neue Medien" bis hin zu den einzelnen Fachausschüssen. Netzpolitik bedeutet für uns Gesellschaftspolitik.


Gesellschaftliche Teilhabe in der Mediengesellschaft

Die Enquête-Kommission muss sowohl langfristige Linien aufzeigen als auch zügig konkrete Handlungsempfehlungen für parlamentarische Initiativen entwickeln. Viel wird davon abhängen, dass und wie die notwendigen Debatten im Netz geführt werden - hoffentlich vielfältig und mit der gebotenen Tiefe. Für erfolgreiche Handlungsvorschläge brauchen wir am Ende eine Akzeptanz in der Netzöffentlichkeit und in der gesamten Gesellschaft. Deshalb erwarten wir von der Enquête-Kommission eine konsequente Einbeziehung der interessierten Öffentlichkeit als zusätzlichen Sachverständigen.

Wir müssen zeitgemäße Leitlinien für eine moderne Netzpolitik entwickeln. Dabei muss man immer im Blick haben, dass der technische Zugang zum Internet und die Fähigkeit, die Angebote auch nutzen zu können, bereits heute über Bildungs- und Berufschancen - und damit über die Zukunftsperspektiven vieler Menschen entscheiden. De facto erleben wir noch eine digitale Spaltung zwischen denjenigen, die das Internet umfassend nutzen können, und denjenigen, die davon (aus unterschiedlichen Gründen) ausgeschlossen sind.

In technischer Hinsicht gilt es, den Breitbandausbau in Deutschland konsequenter als bisher voranzutreiben: Auch ländliche Regionen müssen an das schnelle Internet angeschlossen werden.

Der Umgang mit den sogenannten Neuen Medien - insbesondere dem Internet - erfordert auf der anderen Seite kompetente Nutzerinnen und Nutzer. Dabei geht es nicht alleine darum, das Medium in seiner Vielfalt zu kennen und technisch zu beherrschen. Zugleich muss die Fähigkeit des kritischen und verantwortlichen Umgangs mit Informationen, Inhalten und Daten gestärkt werden. Medienkompetenz ist in allen Altersschichten die entscheidende Voraussetzung für Teilhabe an der digitalisierten Welt und damit eine Schlüsselqualifikation in der Informations- und Kommunikationsgesellschaft. Deshalb muss der Umgang mit neuen Medien in unserem Bildungswesen eine zentrale Rolle spielen. Das betrifft die Lehrpläne ebenso wie die Kompetenz der Lehrkräfte und die angemessene technische Ausstattung der Schulen.

Mit zunehmender Kommunikation fallen immer mehr Daten an, die unter Umständen vom Staat oder durch Privatunternehmen genutzt und gesammelt werden. Vielfach stellen Bürgerinnen und Bürger selbst persönlichste Angaben ins Internet, junge Menschen vor allem in den sozialen Netzwerken.

Weder der Staat noch Unternehmen dürfen zu ungebremsten Datensammlern werden. Insbesondere muss verhindert werden, dass durch Vernetzung ein sensibles Profil der Betroffenen gezeichnet werden kann. Dem Datenschutz kommt deshalb eine besondere Bedeutung bei der Sicherung des freien Internets und des Grundrechteschutzes zu. Er muss den aktuellen gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen angepasst werden, ohne dabei die freie Kommunikation im Internet zu beeinträchtigen.


Freiheiten und Rechte sichern

Auch für den Schutz immaterieller Produkte und Güter bringt die Digitalisierung neue Herausforderungen mit sich. Digitale Inhalte können leicht und verlustfrei kopiert werden. Deshalb ist den Nutzern der materielle Gegenwert oft nicht bewusst. Zudem ist es den Content-Anbietern nicht rechtzeitig gelungen, passende Geschäfts- und Erlösmodelle zu etablieren.

Weder können eine generelle Kriminalisierung vieler Nutzer noch das Ende des Urheberrechts eine Lösung sein. Wir müssen aber Regelungen finden, durch die Kultur- und Medienschaffende für ihre Arbeit angemessen vergütet werden. Nur so können wir auf Dauer Qualität und Vielfalt sichern. Die SPD will im Rahmen eines Kreativpaktes eine Balance zwischen dem Vergütungsanspruch der Urheber, dem Verbraucherschutz und den Interessen der Verwerter und der Industrie finden. Eine Kultur-Flatrate ist dabei als eine der möglichen Optionen zu prüfen - gerade weil hier noch viele Fragen offen sind.

Das Internet verändert, wie wir uns informieren und wie sich auf demokratische Weise Meinungen herausbilden. Gerade im Medienbereich hat der Wandel von der analogen zur digitalen Welt umwälzende Folgen. Viele altbekannte Angebote und Strukturen verschwinden ersatzlos oder werden von neuen abgelöst, Teilmärkte verschmelzen. Es entstehen Medienunternehmen, die spartenübergreifend organisiert und teilweise sehr wirkungsmächtig sind.


Medienfreiheit und -vielfalt

Zu den zentralen Herausforderungen der Medienpolitik gehört die Sicherstellung der Medien- und Pressefreiheit bei gleichzeitiger Wahrung von Qualität und Vielfalt - sowohl im traditionellen Medienbereich als auch im Internet. Ohne ein spezifisches, Vielfalt sicherndes Medienkonzentrationsrecht, das cross-medialen und konvergenten Umbrüchen genügt, werden die sich ergebenden Herausforderungen kaum zu bewältigen sein.

Gerade junge Menschen informieren sich inzwischen überwiegend und immer stärker über Online-Medien. Darauf müssen sich sowohl der öffentlich-rechtliche Rundfunk als auch die privaten Medienanbieter einstellen. Die Medienordnung muss beiden Bereichen die notwendigen Entwicklungsmöglichkeiten geben. Die duale Medienordnung in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte und war in der Vergangenheit Garant für eine gerade im internationalen Vergleich qualitativ hochwertige und plurale Medienlandschaft. Diese Vorzüge gilt es auch in der digitalisierten Medienwelt zu sichern.

Die Beispiele der digitalen Veränderungen und Herausforderungen ließen sich weiter ergänzen. Die Enquête-Kommission wird sich im vorgegebenen Zeitraum bis zum Sommer 2012 mit vielen Fragestellungen befassen. Dabei setze ich darauf, dass wir über politische Farben und unterschiedliche Kompetenzebenen hinweg breit getragene Initiativen entwickeln werden - damit wir die Chancen der Digitalisierung zum Vorteil der gesamten Gesellschaft nutzen.


Martin Dörrmann (geb. 1962) ist medienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und stellvertretender Vorsitzender der Enquête-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft."
martin.doermann@bundestag.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7-8/2010, S. 48-50
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2010