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MEDIEN/374: Wettlauf im Netz (M - ver.di)


M - Menschen Machen Medien Nr. 4/2010
Medienpolitische ver.di-Zeitschrift

Wettlauf im Netz
Regierungen zensieren Webseiten und überwachen Internetcafes

Von Harald Gesterkamp


Das Internet ist voller - nützlicher und weniger nützlicher - Informationen. Doch längst nicht überall sind diese frei zugänglich. In allen Teilen der Welt versuchen Machthaber, die Andersdenkende nicht dulden, unliebsame Informationen im Internet zu sperren und freien E-Mail-Austausch zu verhindern. Blogger und Dissidenten wiederum zeigen viel Phantasie beim Versuch, die Zensur zu überlisten.


Zehntausende sind in Teheran auf der Straße und protestieren gegen die Regierung. Die iranische Führung will nicht, dass die Welt davon erfährt und hat allen ausländischen Korrespondenten verboten, ihre Büros zu verlassen. Immer wieder seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen vom Juni 2009 stellt sich die Situation so dar. Doch trotzdem sind schon kurz nach Beginn der Demonstration Bilder im Netz zu sehen: Auf dem Video-Kanal "YouTube" etwa, der für Nachrichtenredaktionen in der ganzen Welt zu einer der wichtigsten Quelle für bewegte Bilder aus dem Iran geworden ist. Die sterbende Studentin Neda - gefilmt mit einer Handy-Kamera - hat der grünen Bewegung der iranischen Opposition ein Gesicht gegeben. Auch die massiv unterdrückten Proteste am Rande der offiziellen staatlichen Kundgebung zur Feier des 31. Jahrestages der Islamischen Revolution am 11. Februar 2010 finden über das Netz internationale Verbreitung.

Handys und Internet sind gleichzeitig auch Mittel der Protestbewegung zur Mobilisierung. Per SMS, via Twitter oder mit Hilfe der sozialen Netzwerke wie Facebook werden Kundgebungsorte ausgetauscht und wird zur Teilnahme an Aktionen aufgerufen.

Kein Wunder also, dass die Kommunikation über die neuen Medien genauso ins Visier der Machthaber geraten ist wie Webseiten der Opposition - und das nicht nur im Iran. In vielen Teilen der Welt versuchen Regierungen, Internetseiten zu sperren und zu blockieren, Nutzer zu zensieren und Internet-Cafés zu überwachen. Die "Kontrolle 2.0" hat sich im vergangenen Jahr erheblich verschärft. Nach Angaben der Organisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG) griffen 2009 die Behörden in etwa 60 Ländern in das Netz ein. 2008 waren es nur halb so viele gewesen. Umgekehrt versuchen Internet-Dissidenten mit allen technischen Tricks die Zensur zu überlisten: Sie nutzen so genannte Proxy-Server um Sperrungen zu umgehen oder um beim Surfen anonym zu bleiben. Oder sie verschicken massenweise Mails, um so die Zensurbehörden mit Arbeit zuzuschütten und lahmzulegen.

Eine besondere Situation herrscht auch in China. Die Zahl der dortigen Internet-Nutzer ist auf mehr als 380 Millionen angewachsen - das ist mittlerweile die größte virtuelle Gemeinde der Welt. Für den Exportweltmeister sind weltweite Kommunikation und zügiger Datentransfer längst unverzichtbar. Doch gleichzeitig versucht die Kommunistische Partei Chinas das Netz zu kontrollieren und unerwünschte Diskussionen zu verhindern. Zehntausende Webseiten sind im "Reich der Mitte" unzugänglich und Suchmaschinen reagieren auf Begriffe wie "Dalai Lama", "Tiananmen", "Demokratie" oder "Menschenrechte" stets mit dem Hinweis, dass keine verfügbaren Seiten gefunden wurden. Zum 20. Jahrestag des Massakers auf dem Tiananmen-Platz in Peking waren im Juni 2009 auch sonst zugängliche Seiten wie "Twitter" oder "Blogger" gesperrt.


Google schert aus

Suchmaschinen-Konzerne wie Yahoo oder Google mussten sich beim Eintritt in den chinesischen Markt verpflichten, die Zensurvorschriften der Behörden umzusetzen. Google ist nun allerdings ausgeschert: Seit März 2010 verweigert die weltgrößte Suchmaschine die Selbstzensur und leitet Anfragen aus China auf die Google-Seite in der Sonderwirtschaftszone Hongkong um. In der früheren britischen Kronkolonie gelten nämlich andere gesetzliche Regelungen, die eine freiere Meinungsäußerung erlauben. Dadurch können die Chinesen zumindest sehen, welche Texte das Netz zu den von ihnen angefragten Themen wirklich anbietet. Geöffnet werden können die Seiten mit unerwünschtem Inhalt allerdings von China aus weiterhin nicht. Weil die Zensur aber sichtbar wurde, reagierten die chinesischen Behörden empört - abzuwarten bleibt, ob der US-Konzern vom chinesischen Markt verbannt wird. ROG begrüßte die Google-Entscheidung: "Wir hoffen, dass die Entscheidung eine umfassende Debatte zum Thema Zensur in China auslöst."

Besonders hart ist die Lage in den Regionen Tibet und Xinjiang, in denen die Pekinger Zentralregierung aus Angst vor Unabhängigkeitsbestrebungen das Netz fast völlig abschaltet. In Xinjiang warten die Menschen - mehrheitlich muslimische Uiguren - seit Unruhen im Juli vergangenen Jahres darauf, wieder Zugang zum Internet zu bekommen.

Wie wichtig China die Zensur ist, zeigt schon allein die riesige Zahl von 40.000 Cyber-Polizisten im Land. Dokumentiert wird es auch durch die Konsequenzen für jene, die sich nicht an die Vorschriften halten. 72 Menschen sitzen laut ROG in der Volksrepublik im Gefängnis, weil sie im Netz frei zu kommunizieren versuchten und damit nach Ansicht der Machthaber "verbotene" Dinge lasen oder publizierten. "Damit ist China das größte Gefängnis der Welt für Internet-Dissidenten", klagt die Organisation. An zweiter Stelle folgt Vietnam mit 17 inhaftierten Online-Nutzern. Auch das südost-asiatische Land findet sich in einem 64-seitigen ROG-Bericht auf der Liste der "Feinde des Internets" - ebenso wie China, der Iran, Kuba, Ägypten, Saudi-Arabien, Syrien, Tunesien und Usbekistan. In diesen Ländern verläuft die staatliche Repression nach einem ähnlichen Muster: Unliebsame Seiten werden - oft unter dem Vorwand, lediglich Pornografie zu bekämpfen - gesperrt, aufmüpfige Surfer und Blogger bedroht und inhaftiert, Internet-Cafés zur Überwachung ihrer Kunden gezwungen und staatliche Behörden zur Kontrolle des virtuellen Raums ausgebaut. In Syrien reichte es beispielsweise, dass einige Facebook-Nutzer virtuelle israelische "Freunde" hatten - umgehend wurde das Portal geschlossen. In Kuba erklärte der stellvertretende Informationsminister Boris Moreno schon 2008: "Das Internet muss die Revolution und die Prinzipien, an die wir seit Jahren glauben, verteidigen." Für Meinungsfreiheit jenseits der offiziellen Linie bleibt da nicht viel Platz.


Lebendige Netzgemeinde

Trotz der Repression ist allerdings in Ländern wie Ägypten oder Tunesien ein lebendiges Netz entstanden, in dem die Nutzer trotz aller Widrigkeiten ihre Freiräume suchen - und finden. Denn nicht alles lässt sich unterdrücken. Gerade in Ägypten ist der Wettlauf zwischen Zensoren und Bloggern seit dem sprunghaften Ausbau des Netzes in vollem Gang. Im Ergebnis haben insbesondere Menschenrechtler das Internet für sich entdeckt und finden stets neue Wege, ihre Themen zu diskutieren. In Saudi-Arabien sind die meisten Internet-Nutzer Frauen. Im Netz können sie Diskussionen führen, die ihnen aufgrund der strengen Gesetze in der realen Öffentlichkeit untersagt sind, etwa über Gesundheitsfragen. Mittlerweile gibt es unter verfolgten Bloggern auch internationale Kooperationen: Als die iranischen Behörden das Netz im vergangenen Jahr zunehmend sperrten, tauchten plötzlich Proxys auf, die von chinesischen Surfern entwickelt worden waren.

Eine andere Art der Internet-Feindschaft pflegen Staaten wie Nordkorea, Birma, Turkmenistan oder auch das ostafrikanische Eritrea. Dort ist die Zahl der Internet-Anschlüsse landesweit überschaubar und der Zugang ins Netz wäre für die meisten Bürger - selbst wenn die Behörden ihn genehmigten - unerschwinglich. Mehr noch: "Die Mehrheit der Bürger dieser Länder dürfte nicht einmal wissen, dass es so etwas wie das Internet überhaupt gibt", meint Jean-Francois Julliard, Generalsekretär von "Reporter ohne Grenzen". Die wenigen existierenden Seiten sind meist staatliche Propaganda.

Doch auch in Ländern, in denen das Internet zum Alltag gehört, hat ROG bedenkliche Tendenzen ausgemacht. Demokratien wie Australien, Frankreich, Italien oder Südkorea sind zwar keine "Feinde des Internets", aber auch dort wird einiges unternommen, um das Internet zu kontrollieren. Die australische Regierung etwa will ein Filtersystem installieren, das es so massiv in der westlichen Welt bisher nicht gibt. Das Ziel, kinderpornografische, beleidigende oder Urheberrechte verletzende Seiten zu sperren, erlaubt einer Regierungsbehörde, ohne gerichtlichen Beschluss den Zugang zu Webseiten zu blockieren. Im Ergebnis sind auch Seiten auf einer schwarzen Liste gelandet, die gar nichts mit den genannten Themen zu tun hatten - darunter Links zum Video-Portal "YouTube", zum Online-Lexikon Wikipedia, Seiten für Pokerspieler oder von homosexuellen Netzwerken.

In Russland oder der Türkei ist die Situation im Netz ebenfalls bedenklich. In Russland werden der Opposition nahe stehende Seiten immer wieder behindert. Sollte Regierungschef Wladimir Putin, der einmal gesagt hat, das Internet bestehe zu 50 Prozent aus Pornografie, weiter vermehrt versuchen, Netzinhalte zu kontrollieren, dürfte das nicht nur für die Bürgerrechtler Konsequenzen haben. Im Kaukasus und in den zentralasiatischen Sowjetrepubliken, in denen es oftmals noch Zugang zu russischen Seiten gibt, würden im Falle einer schärferen Zensur im russischen Netz zum Teil die letzten demokratischen Informationsquellen wegfallen.


Grundrecht in Island und Finnland

In der Türkei machen den Machthabern wiederum die gleichen Schlagworte Sorgen, die auch in den Printmedien für Zensur und Selbstzensur stehen. Zwar ist an vielen Stellen der türkischen Gesellschaft Kritik an Behörden und an der Regierung sehr lebendig. Doch die Themen Armee, Staatsgründer Atatürk, die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich und die Lage der kurdischen Minderheit sind bis heute weitgehend tabu - im Netz genauso wie in Fernsehen, Hörfunk und Zeitung.

In Zeiten der Globalisierung wird das Internet an Bedeutung noch zunehmen. "In Ländern wie China, Vietnam oder dem Iran wird der schnelle Ausbau des Netzes weitergehen; auch andere Feinde der Meinungsfreiheit müssen aus ökonomischen Gründen das Internet fördern, wenn sie zum Beispiel ausländische Firmen anlocken wollen", meint JeanFrancois Julliard von ROG. "Die wirtschaftlichen Interessen verflechten sich mit der Notwendigkeit, den freien Informationsfluss zu verteidigen. In einigen Ländern haben Unternehmen einen besseren Zugang zum Internet gefordert - und manchmal hatte das auch positive Auswirkungen für die Bevölkerung", hebt er hervor. Die Organisation appelliert an die Welthandelsorganisation WTO, bei Gesprächen über die Aufnahme neuer Länder auch darauf zu achten, wie es um die Meinungsfreiheit im Netz bestellt ist.

Auf diplomatischer Ebene ist ohnehin einiges in Bewegung geraten: Die USA haben im Januar dieses Jahres - offenbar inspiriert vom Konflikt zwischen Google und China - die Förderung der Meinungsfreiheit im Netz zu einem offiziellen Ziel ihrer Außenpolitik erklärt. Und Island und Finnland haben gesetzlich geregelt, dass der freie Zugang zu Informationen im Internet ein Grundrecht aller Bürger ist. Paradiesische Zustände, für die Surfer und Blogger in anderen Teilen der Welt noch lange kämpfen müssen.


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Quelle:
M - Menschen Machen Medien Nr. 4/2010, S. 11-13
Medienpolitische ver.di-Zeitschrift, 59. Jahrgang
Herausgeber:
ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Fachbereich 8 (Medien, Kunst, Industrie)
Bundesvorstand: Frank Bsirske/Frank Werneke
Redaktion: Karin Wenk
Anschrift: verdi.Bundesverwaltung, Redaktion M
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2010