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MEDIEN/352: Das Machtkartell (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1+2/2009

Das Machtkartell
Schirrmacher, Diekmann, Aust und Co.

Von Albrecht von Lucke


Untersucht man die Bundesrepublik auf ihre Brüche seit dem Umzug von Bonn nach Berlin vor nun bald zehn Jahren, stellt man die vielleicht größten Veränderungen im Bereich der sogenannten Vierten Gewalt fest. Für die Medien ist die aufgekratzte "Berliner Republik" im Vergleich zum beschaulichen Bonn ein erstaunliches Biotop, das in besonderer Weise journalistischen Profilneurotikern zur Blüte verhilft. Henryk M. Broder, Ulrich Jörges und Matthias Matussek seien hier als die vielleicht auffälligsten Vertreter des neuen Typus des "Krawalljournalisten" genannt, dessen Neurosen sich schon bis zu halben Schlägereien im Anschluss an den ansonsten noch immer beschaulichen Presseclub auswuchsen.

Gewiss, Originalitätswahn und Geltungssucht gehörten unter Journalisten schon immer zur déformation professionelle. Doch dem neuen Berliner "Stil" geht jede Exzentrik oder gar Spleenigkeit im angelsächsischen Sinne ab. Kennzeichnend ist eher ein eigentümlich machistisches Maulheldentum (Frauen sind eher marginal vertreten), dessen eigentliches Ziel in größtmöglichem "Putz" besteht. Letztlich handelt es sich dabei um ein neues journalistisches Phänomen des "freien Radikalen", dem die erzielte Aufmerksamkeit allemal wichtiger ist als der transportierte Inhalt.

Erstaunlich ist allerdings, welche enorme Aufmerksamkeit diesen journalistischen Lautsprechern entgegengebracht wird. Auf allen Kanälen präsent, haben sie inzwischen den Status medialer Ersatzintellektueller erlangt. Dass sich die universitäre Intelligenz immer weniger in politische Debatten einmischt, kann dies allein schwerlich erklären. Eher mag dies darin begründet liegen, dass auch in der Berliner Politik zahlreiche freigesetzte Radikalinskis ihr Unwesen treiben, deren Egomanie in der Multi-Kanal-Welt gleichfalls durch ständige Aufmerksamkeit belohnt wird. Angesichts der Clements, Merz' und Metzgers erweist sich die Berliner Journaille als getreues Abbild ihrer Beobachtungsgegenstände. Der langjährige Spiegel-Korrespondent Jürgen Leinemann, selbst noch eher ein Journalist der alten Schule, sprach unlängst davon, dass den Politikern seiner Generation, den 68ern, das "innere Geländer" eigener Werturteile gefehlt habe. So sehr dies in der Tat für zahlreiche Politiker der Gegenwart zutrifft, in der journalistischen Zunft verhält es sich keineswegs anders - und zwar durchaus generationsübergreifend, von Jörges, Jahrgang 1951, bis Diekmann, Jahrgang 1964. Das Problem ist also nicht generationell, sondern nur strukturell zu begreifen.


Der Fisch stinkt vom Kopf

Dabei handelt es sich keineswegs um ein Phänomen bloß der journalistischen Beiboote, im Gegenteil. Die Journalistin Franziska Augstein stellte vor geraumer Zeit fest, dass im Fall des Spiegel der Fisch "vom Kopf stinke". Tatsächlich entwickelte sich das einstige selbsternannte "Sturmgeschütz der Demokratie" in der Ära Aust zum bloßen Aufmacher-Magazin. Entscheidend in den Augen des Chefredakteurs war ganz primär - und letztlich völlig apolitisch - der Hefttitel, der über den Erfolg am Kiosk entscheidet.

Dieser Zug zum Reißerischen, zum Marktschreierischen gilt jedoch nicht nur für den Spiegel, sondern für weite Teile der hiesigen Medienlandschaft. Wenn etwa ein maßgeblicher FAZ-Herausgeber sich vor allem als Apokalyptiker in Permanenz erweist, muss das irgendwann nur noch abstumpfen. Zumal dann, wenn Frank Schirrmacher binnen weniger Monate vom radikalen Gegner von Rot-Grün und staatlicher Regulierung zum führenden Kapitalismuskritiker mutierte.

Dieses Chamäleonhafte der Person Schirrmachers ist nur der radikalste Ausdruck der Tatsache, dass heute bei den meisten Journalisten eine klare Unterscheidung nach den politischen Grundkategorien Links oder Rechts kaum mehr vorzunehmen ist. Das zeigt sich insbesondere an der erstaunlichen journalistischen "Sprunghaftigkeit", auf neudeutsch: Volatilität, hinsichtlich ihres Arbeitsplatzes. Man möchte gar nicht genau wissen, wie viele einstige taz-Journalisten heute bei Springers Welt in Lohn und Brot stehen. Immerhin sind Überläufer zur Bild-Zeitung noch nicht bekannt geworden - wenn auch die taz schon einmal, quasi präventiv, für einen Tag dem Bild-Chefredakteur das Steuer überließ. Von gewachsener und politisch begründeter Blattbindung der Autoren kann heute jedenfalls kaum mehr die Rede sein.

Zum Ausdruck eines zutiefst verluderten Betriebes wird diese Tendenz jedoch dann, wenn wir uns den zweiten repräsentativen journalistischen Typus anschauen, den des Machtjournalisten. Dafür stehen in erster Linie die Namen Aust, Schirrmacher, Döpfner und Diekmann. Die weitgehende Auflösung einstiger klarer politischer Unterschiede der Medien - Vorreiter auch hier der Spiegel -, hat dazu geführt, dass an der Spitze heute jeder mit jedem kann. Hier gilt die Devise: Eine Krähe hackt der Anderen kein Auge aus. Denn alle verbindet ein primäres Interesse - das an medialer Macht: Macht in den Medien und über die Medien.

Beim distinguiert sich gebenden Springer-Vorstandsvorsitzenden Döpfner und dem geschniegelt-glatten Bild-Chef Diekmann, gehört die Kumpanei quasi schon von Hause aus zum guten Ton - beide verkörpern auf ihre je eigene Weise den Springer-Verlag. Und was für die Bild-Zeitung dann doch intellektuell zu anspruchsvoll ist, erledigt Welt-Chefredakteur Thomas Schmid, ehemaliger Intimus von Joschka Fischer und Chefideologe des "Revolutionären Kampfes", als Döpfners Mann fürs Feine.


Eine Hand wäscht die andere

Noch problematischer wird die Kumpanei allerdings im medienübergreifenden Dreiecksgespann Diekmann, Aust und Schirrmacher. Hier wäscht eine Hand die andere, so etwa wenn Bild-Zeitung und Spiegel weite Teile der Schirrmacher-Bücher Methusalem-Komplott und Minimum abdrucken - und damit zu den eigentlichen Geburtshelfern für den Bestseller avancieren. Umgekehrt darf sich die Bild-Zeitung dann gerne an einem ebenso reißerischen Schirrmacher-Artikel über die angebliche "Deutschenfeindlichkeit" hier lebender Ausländer gütlich tun, der dem Boulevard-Blatt willkommene Munition in Roland Kochs letztem Anti-Ausländerwahlkampf lieferte. Offenbar ging Kai Diekmann so selbstverständlich von Schirrmachers Einverständnis zu dem gekürzten Abdruck aus, dass er nicht einmal um dessen Erlaubnis nachsuchte (so jedenfalls die Behauptung des FAZ-Schöngeistes).

Wie sich Schirrmacher bei Aust revanchierte, zeigt exemplarisch dessen Besprechung von Eichingers Baader-Meinhof-Film, gedreht nach dem Aust-"Klassiker" Der Baader-Meinhof-Komplex. Eines Films, immerhin massiv gefördert durch Bundesfördermittel, bei dem man angesichts der penetrant heroisierenden Täterperspektive durchaus verstehen kann, warum die Witwe des durch die RAF ermordeten Bankiers Jürgen Ponto anschließend ihr Bundesverdienstkreuz zurückgab.

Dass dem Spiegel der keineswegs innovative Film einen eigenen Hefttitel wert war, mag angesichts der Autorschaft des einstigen Chefredakteurs nicht sonderlich verwundern. Doch was machte Schirrmacher? Sonst um vernichtende Worte keineswegs verlegen, lobt er Eichinger und Stefan Aust als "die besten Drehbuchautoren", ihre Ideen als bestechend. Der Film sei schlicht "heartbreaking", ihm gelinge die "totale Identität von Darstellung und Dargestelltem", die "totale Imitation des Vergangenen, bis hin zu Details, die niemand (nicht einmal Aust) kennt". Nun mag an dieser Stelle die Witwe Jürgen Pontos gedanklich eingewendet haben, dass die Details der völlig falsch dargestellten Ermordung ihres Mannes in der Tat nicht nur Aust, sondern auch Eichinger oder Edel (der Regisseur) nicht gekannt hatten. Schließlich hatte sich für die Perspektive der Opfer niemand sonderlich interessiert, weil der ganze Film exakt auf dem inzwischen 20 Jahre alten Aust'schen Buchplot basierte, der allein die Sicht der Täter spiegelt. (Dass es auch völlig anders geht, zeigte unlängst der von der ARD ausgestrahlte Film Mogadischu, Regie Roland Suso Richter, über die Entführung der Landshut.) Dessen ungeachtet verstieg sich Schirrmacher am Ende zu der grotesken Überhöhung, der Eichinger/Aust-Film habe "womöglich die Kraft, die gesamte RAF-Rezeption auf eine neue Grundlage zu stellen". Mehr Werbung ist wohl selbst einem Frank Schirrmacher kaum möglich.

Immerhin schrieb er in seiner Ode auf Aust einen treffenden Satz: "Mag die Filmkritik darüber entscheiden, wie gut dieser Film ist." Die Filmkritik ließ sich daraufhin nicht lumpen und fand in Person des FAZ-Kritikers Michael Althen die richtigen Worte. Ein Film, so Althen, wie ein "Polit-Porno" - aus "lauter Höhepunkten". Getreu, so möchte man hinzufügen, der alten Volksweise: Lustig ist das Terroristenleben, faria faria ho.


Die Selbstherrlichkeit der Ersatzintellektuellen

Nun könnte man das neue journalistische Machtkartell getrost vernachlässigen, wenn es dabei nur um die Einschätzung missratener RAF-Filme ginge. Doch das Netzwerk zwischen Bild-, FAZ- und Spiegel-Meinungsmachern ist deshalb so problematisch, weil es die gegenseitige Kontrolle innerhalb der Vierten Gewalt ausschaltet.

Journalisten, die ohnehin tendenziell nach Aufmerksamkeit lechzen, werden zu Selbstherrlichkeit und Geltungssucht regelrecht verführt, wenn sie nicht wenigstens intellektuell Rechenschaft ablegen müssen für ihre politischen Einschätzungen. Kontrolliert sich die Vierte Gewalt also nicht wechselseitig, durch gegenseitige harsche Kritik und Beurteilung, dann tut es keiner. Das aber fördert erstaunliche Verantwortungslosigkeit - und erstaunliche Radikalurteile.

Bis heute hat sich noch keiner der nicht ganz wenigen Journalisten und Intellektuellen, die so energisch für den Irak-Krieg getrommelt haben und von einem schnellen Sieg überzeugt waren, zu dessen Scheitern verhalten - ob sie nun Henryk M. Broder oder Wolf Biermann heißen. Von keinem hört man heute irgendeine Form der Selbstkritik, sondern nur lautes Schweigen, nach dem Motto: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern - zumal ich ja hoffen kann, dass ich übermorgen durch die Geschichte doch noch Recht bekomme.

Wer die Politiker kontrolliert, muss selbst kontrollierbar sein. Denn ohne kritische Auseinandersetzung gerade unter Journalisten kann es nicht verwundern, wenn vermeintliche Überzeugungen von heute auf morgen aufgegeben werden, der politische Journalismus immer mehr an Kontur verliert und letztlich zur eitlen Selbstbespiegelung verkommt. Kurzum: Kontrollieren wir die Kontrolleure. Andernfalls bekommen wir nur die Journalisten, die die Berliner Republik (noch) nicht verdient.


Albrecht von Lucke (* 1967) ist Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik in Berlin. Im Februar erscheint im Wagenbach Verlag sein neues Buch: Die gefährdete Republik. Von Bonn nach Berlin: 1949-1989-2009.
albrecht.vonlucke@blaetter.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1+2/2009, S. 50-53
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2009