Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

INNEN/1606: Diskriminierung und Diskriminierungsschutz in Deutschland (spw)


spw - Ausgabe 4/2009 - Heft 172
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Diskriminierung und Diskriminierungsschutz in Deutschland

Von Banu Bambal


Einleitung

Für Deutschland ergibt sich aus verschiedenen internationalen und europarechtlichen Abkommen die Verpflichtung, eine Politik zur Beseitigung jeglicher Form von Diskriminierung und zur Verwirklichung gleichberechtigter Teilhabe aller zu verfolgen, ein Handeln, das sein Selbstverständnis in dem Ausdruck Antidiskriminierung findet. Ein nur erster, dennoch wesentlicher Schritt zur Realisierung dieser Politik war die Umsetzung der vier europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien in innerstaatliches Recht, der Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im August 2006. Das Gesetz zielt darauf, Benachteiligungen aufgrund der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Viele potentiell von Diskriminierung Betroffene verfügen überhaupt erstmals über einen direkt einklagbaren Gleichbehandlungsschutz. Indes wird die effektive Umsetzung dieser gesetzlichen Regelung entscheidend davon abhängen, wie noch bestehende rechtliche Hürden z.B. die häufig schwierige Beweislage, das Fehlen eines Verbandsklagerechts oder die mangelnde Infrastruktur von Beratungsstellen verändert werden können, [damit] die/der Einzelne ihr/sein Recht auf Gleichbehandlung durchsetzen kann.

Auch oder gerade unter der Geltung des AGG bleibt die (Beratungs-)Arbeit der unabhängigen Antidiskriminierungsbüros und -stellen unverzichtbar. Diesen Stellen, wie sie im Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) organisiert sind, kommt bei der konsequenten Um- und Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes eine Schlüsselfunktion zu. Die Mitgliedsorganisationen des advd erkennen an, dass Diskriminierung sowohl ein strukturelles als auch ein individuelles Phänomen ist und allein durch die gesetzliche Zubilligung gleicher Rechte nicht behoben werden kann. Der Auf- und Ausbau eines bundesweiten Kooperationsverbundes zur Etablierung einer Antidiskriminierungskultur in Deutschland ist daher ein wichtiges Anliegen des Antidiskriminierungsverbandes Deutschland (advd). Im Mai 2007, im Europäischen Jahr der Chancengleichheit, wurde mit Förderung der Europäischen Union der advd gegründet, ein bundesweiter Zusammenschluss unabhängiger Antidiskriminierungsbüros/-stellen, Selbstorganisationen und wissenschaftlicher Einrichtungen vornehmlich aus der Antirassismus- und Antidiskriminierungsarbeit. Der advd bündelt das fachliche Wissen, die langjährigen Erfahrungen und Expertisen seiner Mitgliedsorganisationen in einem Dachverband und setzt sich u.a. für die Etablierung einer umfassenden Antidiskriminierungsgesetzgebung und -rechtsprechung sowie deren effektive Rechtsdurchsetzung und Monitoring ein.


Diskriminierung mehr als nur ein subjektives Empfinden

In Anlehnung an das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung von 1966 definiert der Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) Diskriminierung als Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.

Diskriminierung trifft Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Nationalität, ihres Aufenthaltsstatus, ihrer Hautfarbe oder äußeren Erscheinung, ihres Geschlechts, ihrer Religion und Weltanschauung, ihres sozialen Status, ihres Familienstandes, ihrer Behinderung, ihres Alters und ihrer sexuellen Identität. Juristisch bestimmen die EG-Gleichbehandlungsrichtlinien und das AGG unterschiedliche Formen von Diskriminierung. Die Definition des advd umfasst diese und geht darüber hinaus. So ist für den advd gerade auch staatliches Handeln, wie es sich z.B. in den Vorschriften und Regelungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatlern (etwa Asylbewerberleistungsgesetz, Residenzpflicht) oder in der Existenz der sog. Deutschen-Rechte im Grundgesetz manifestiert, in höchstem Maße diskriminierend.

Diskriminierendes Verhalten und/oder diskriminierende Bestimmungen finden auf verschiedenen Ebenen statt und treten in unterschiedlichen Formen in Erscheinung.

In der Beratungspraxis der Mitgliedsorganisationen des advd lassen sich bestimmte Bereiche herauskristallisieren, in denen diskriminierende Vorfälle, Praktiken und Strukturen gehäuft und wiederkehrend auftreten. Diese betreffen vornehmlich:

• Öffentliche Institutionen und Behörden wie Ausländerbehörden, Agentur für Arbeit, Standes-, Wohnungs- und Ordnungsamt sowie diplomatische Vertretungen;

• den Bereich der Beschäftigung z.B. Stellenausschreibungen, Bewerbungsverfahren, Auswahlgespräche und -kriterien, Einstellungs-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, Entlohnung, beruflicher Aufstieg, Mobbing und Bossing;

• Ungleichbehandlungen im Primärbereich, Sekundarbereich I und II über das Hochschulwesen bis hin zu diskriminierenden Praktiken privater und öffentlicher Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung;

• Diskriminierungen, die sich in öffentlichen Verkehrsmitteln, beim Zugang zum Gesundheitswesen, in der Gesundheitsversorgung selbst, im Unterhaltungs- und Freizeitgewerbe, in Gaststätten sowie während der Inanspruchnahme von sonstigen kommerziellen und sozialen Diensten ereignen;

• Diskriminierungsvorkommnisse bei der Wohnungssuche bzw. -anmietung, zwischen Mietparteien und Hausverwaltungen;

• Vorfälle rassistischer und diskriminierender Beschimpfungen/Beleidigungen im öffentlichen Raum, bei Personal-, Verkehrs- und Handtaschenkontrollen;

• diskriminierende Berichterstattung in und durch Medien.

Im Gegensatz zu anderen EU-Staaten ist in Deutschland die öffentliche und politische Sensibilität für Diskriminierungssachverhalte äußerst gering ausgeprägt. Diskriminierungen werden am ehesten in Form gewaltsamer körperlicher und verbaler Übergriffe auf ethnische Minderheiten oder Homosexuelle, meist verursacht von rechtsextremistisch orientierten Gruppierungen wahrgenommen. Dabei wird allzu oft verkannt, dass Rassismus und Diskriminierung schon längst keine Randerscheinungen mehr sind, sondern aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Während für eine Vielzahl von Menschen Diskriminierungen zum Alltag gehören, wird durch die Kritiker und Gegner des AGG (Parteien des konservativ-liberalen Lagers, Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände, Anwaltsvereinigungen etc.) bis heute die Notwendigkeit eines umfassenden Diskriminierungsschutzes bezweifelt und gleichzeitig auf die in Deutschland bereits existierenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften gegen Diskriminierung verwiesen.

Die Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung in jedweder Form, so auch in Form von institutioneller und struktureller Benachteiligung, ist und bleibt eine dauerhafte gesellschaftliche Herausforderung, die stärker als bisher zu einer gesamtgesellschaftlichen Querschnittsaufgabe gemacht und als wichtiges politisches Handlungsfeld erkannt werden muss. Denn nicht zuletzt wird eine umfassende bundesdeutsche Antidiskriminierungspolitik durch die Behandlung des Themas im politischen Kontext und in der Öffentlichkeit bestimmt.


Fazit und Ausblick

Deutschland ist noch weit davon entfernt, eine ernst gemeinte und umfassende Politik zur Beseitigung jeglicher Form von Diskriminierung zu verfolgen und so die gleichberechtigte Teilhabe aller in Deutschland lebenden Menschen an allen politischen und gesellschaftlichen Bereichen zu verwirklichen. Das AGG allein wird und kann nicht zwangsläufig jegliche Form von Benachteiligung und Diskriminierung verhindern. Ein solches Gesetz schafft jedoch den gesetzlichen Rahmen für eine grundlegende Beobachtung, Analyse und Veränderung der Realität.

Der advd sieht nach fast dreijährigem Bestehen des AGG einen erhöhten Handlungsbedarf auf Seiten des Bundes, der Länder und der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und fordert daher im Interesse der von Diskriminierung Betroffenen:(1)

• Entwicklung eines Bundesprogramms für die Schaffung und Etablierung einer Antidiskriminierungskultur in Deutschland;

• Etablierung einer flächendeckenden Beratungsinfrastruktur sowie deren finanzielle Absicherung durch Bund, Länder und Kommunen;

• Anerkennung von Antidiskriminierungspolitik als
Querschnittsaufgabe mit oberster Zuständigkeit;

• Unterstützung des Vorschlags der Europäischen Kommission vom 03.07.2008 für eine neue Antidiskriminierungsrichtlinie, die ein einheitliches Schutzniveau für alle Diskriminierungsmerkmale gewährleisten soll;

• Erleichterung der Rechtsmobilisierung durch: Einführung einer echten Beweislastumkehr, Einführung eines Auskunftsrechts für Betroffenen bzw. der sie vertretenden Antidiskriminierungsstellen, Einführung eines echten Verbandsklagerechts, Rechtshilfefonds für Betroffene usw.


Banu Bambal ist Vorstandsmitglied des
Antidiskriminierungsverbandes Deutschland (advd).


(1) [Vgl. hierzu: Stellungnahme des Antidiskriminierungsverbandes Deutschland (advd) zum zweijährigen Bestehen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) www.antidiskriminierung.org]


*


Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 4/2009, Heft 172, Seite 15-17
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
Abo-/Verlagsadresse:
spw-Verlag / Redaktion GmbH
Postfach 12 03 33, 44293 Dortmund
Telefon 0231/202 00 11, Telefax 0231/202 00 24
E-Mail: spw-verlag@spw.de
Internet: www.spw.de
Redaktionsadresse:
Müllerstraße 163, 13353 Berlin
Telefon: 030/469 22 35, Telefax 030/469 22 37
E-Mail: redaktion@spw.de
Internet: www.spw.de

Die spw erscheint mit 7 Heften im Jahr.
Einzelheft: Euro 5,-
Jahresabonnement Euro 39,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2009