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ENTWICKLUNGSHILFE/413: Milleniumsentwicklungsziele - Fragile Staaten auf Gipfel ignoriert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. September 2010

ENTWICKLUNG: "Keine MDGs ohne uns" - Fragile Staaten auf Gipfel ignoriert

Von Matt Crook


Dili, 23. September (IPS) - Die fragilen Staaten werden aller Voraussicht nach kein einziges der acht Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) bis Ablauf der Frist 2015 erreichen. Dennoch sind ihre Empfehlungen, den Rückstand aufzuholen, auf dem dreitägigen MDG-Gipfeltreffen ungehört verhallt. "Ohne uns", so die Botschaft der Ländergruppe, "werden sich die Ziele zur Armutsbekämpfung jedoch nicht erreichen lassen".

"Das internationale System kommt nur schwerlich in Bewegung", räumte Asbjorn Wee vom Internationalen Netzwerk für Konflikt und Fragilität der Organisation für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) der reichen Staaten ein.

Im April hatten sich die fragilen Staaten in Osttimor getroffen und sich mit der Frage auseinandergesetzt, warum sie die Millenniumsziele nicht erreichen, obwohl sie dafür Milliarden US-Dollar an Entwicklungshilfegeldern erhalten haben. Die Mittel müssten besser kanalisiert und auf die Bedürfnisse der Empfängerländer abgestimmt werden, lautete ihr Fazit.

Die fragilen Staaten firmieren unter der Bezeichnung g7+ (g kleingeschrieben) in Anlehnung an die Namensgebung G7 für die Gruppe der sieben stärksten Industrienationen. Gründungsmitglieder sind Afghanistan, Côte d'Ivoire, die Demokratische Republik Kongo (DRC), Haiti, Osttimor, Sierra Leone und die Zentralafrikanische Republik. Inzwischen gehören dem Staatenbund 17 Länder an.


Schritt für Schritt

"Die Hilfe orientiert sich an den MDG-Kriterien. Doch wir haben festgestellt, dass wir die Ziele erst dann erreichen können, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Das sind Frieden und Stabilität", sagte die osttimorische Finanzministerin Emilia Pires in Dili im Gespräch mit IPS. Leider sei davon im MDG-Fahrplan nichts zu lesen.

Die MDGs sind acht übergeordnete und messbare Ziele zur Armutsbekämpfung, auf die sich die internationale Gemeinschaft auf dem New Yorker UN-Millenniumsgipfel im Jahr 2000 festgelegt hatte. Sie sehen vor, Armut und Hunger zu halbieren, die Gleichstellung und Stärkung der Rolle der Frau voranzubringen, die Kindersterblichkeit zu senken und die Gesundheitsversorgung von Müttern zu verbessern. Darüber hinaus beinhalten sie die Bekämpfung schwerer Krankheiten wie HIV/Aids und Malaria, die Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit und den Aufbau einer globalen Entwicklungspartnerschaft zwischen den Ländern des Nordens und Südens.

Obwohl zwei Drittel der Frist für das Erreichen dieser Ziele um ist, machen die g7+-Staaten, in denen immerhin ein Drittel der weltweit Armen zu Hause ist, trotz umfangreicher finanzieller Zuwendungen keine Umsetzungsfortschritte. Im Jahr 2007 belief sich die offizielle Entwicklungshilfe für die fragilen und konfliktgeschädigten Länder auf 37,2 Milliarden US-Dollar.

Das erdölreiche Osttimor bildet die Speerspitze der g7+. In dem kleinen Land, das seit seiner Unabhängigkeit 2002 alle zwei Jahre von einer Serie der Gewalt heimgesucht wurde, ist inzwischen Ruhe und Stabilität eingekehrt. Bis zur Unabhängigkeit stand es 24 Jahre lang unter indonesischer Besatzung und wurde zwei Jahre lang von den UN verwaltet.


Bedarfsorientierte Entwicklungshilfe gefordert

Die fragilen Staaten sind der Meinung, dass die Art und Weise, wie die Gebergelder zum Aufbau ihrer Länder verwendet werden müssen, nur allzu oft den Prioritäten der Geber genügen. Die Richtlinien stellten die Kapazitäten der Empfängerländer auf eine harte Probe und seien ungeeignet, den betreffenden Ländern Frieden und Stabilität zu bringen, die sie so sehr benötigten.

"Rund acht Milliarden Dollar sind zwischen 1999 und 2007 nach Osttimor geflossen. Nach Angaben der Weltbank hat sich die Armut in jener Zeit dennoch verdoppelt", rechnete Osttimors Finanzministerin vor. "Ich weiß genau, wie hoch die finanziellen Injektionen für die Wirtschaft waren. Sie lagen bei 1,5 Milliarden Dollar."

Ein anderer Bericht der Weltbank kommt zu dem Schluss, dass zwischen 2007 und 2009 die Armut in dem südostasiatischen Land um neun Prozent zurückgegangen ist. "Offenbar tut sich was ", kommentierte Pires, die seit dem Amtsantritt der Koalitionsregierung 2008 im Amt ist.

Auf dem MDG-Gipfel vom 20. bis 22. September in New York hatte Staatspräsident José Ramos-Horta den Geberstaaten eine Mitteilung der g7+ überbracht. Mit fast 350 Millionen Erdenbürgern stehe die g7+ als einzige unabhängige Ländergruppe auch weiterhin entschlossen hinter den MDG-Versprechen, versicherte er. Außerdem kündigte er an, die g7+-Staaten mit 500.000 Dollar zu unterstützen.


Bürokratievorwurf

Allerdings bedauerte er, dass nur allzu oft das internationale Engagement viel zu schleppend voran komme und den Empfängerländern viel zu viele bürokratische Steine in den Weg gelegt würden. Dies wirke sich nachteilig auf Effektivität und das Echt-Zeit-Engagement aus, die erforderlich seien, um Unsicherheit, Konflikten, Zerstörung und dem Verlust von Menschenleben entgegenzusteuern. Es sei wichtig, die Prioritäten im Interesse der MDGs um Staats- und Friedensbildung zu erweitern. Der Appell der g7+-Staaten fand allerdings keinen Eingang in das Abschlussdokument des MDG-Gipfels.

Auch Sierra Leone tritt bei der Umsetzung der MDGs auf der Stelle. Bis 2002 tobte in dem westafrikanischen Land ein Bürgerkrieg. Doch anstatt sich zunächst auf Maßnahmen für Sicherheit und Frieden zu konzentrieren, sprang der Staat auf den MDG-Zug auf, ohne Erfolge vorweisen zu können.

"Es steht fest, dass Sierra Leone in den ersten zehn Jahren der MDG-Agenda in die falsche Richtung gefahren ist", meinte dazu der Staatspräsident Ernest Bai Koroma. "Um die MDGs bis 2015 doch noch zu erreichen, müssen die Investitionen erhöht, innovative Programme und Maßnahmen für den wirtschaftlichen und sozialen Übergang entwickelt und rasch umgesetzt werden."

Die Umsetzung der MDGs in fragilen und Postkonfliktstaaten wird nach Ansicht von Ramos-Horta innerhalb der dafür vorgesehenen Zeitspanne nicht gelingen. "Je eher wir die Realität akzeptieren und Kurskorrekturen vornehmen, umso besser", erklärte er kürzlich vor der UN-Vollversammlung in New York. (Ende/IPS/kb/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2010