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AUSSEN/490: Krieg in Gaza - Gleichgewicht der Schwäche (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 07.01.2009
(german-foreign-policy.com)

Gleichgewicht der Schwäche


GAZA/BERLIN - Berliner Außenpolitiker schließen einen Einsatz deutscher Militärs im Gazastreifen nicht aus. Unter bestimmten Bedingungen solle Deutschland Soldaten für eine multinationale Gaza-Truppe zur Verfügung stellen, verlangt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Die Forderung nach einer deutschen Militärpräsenz im unmittelbaren Umfeld Israels war in Berlin bereits 2002 erhoben worden und wird seitdem zielstrebig umgesetzt, insbesondere über den Einsatz der Bundesmarine vor der libanesischen Küste. Eine mögliche Gaza-Intervention soll nicht nur dazu dienen, weitere Kämpfe zu verhindern, sondern wie der Libanon-Einsatz auch genehme Kräfte stärken - auf beiden Seiten. Mit dieser Absicht sind Berlin und die EU seit Jahren in den Palästinensischen Autonomiegebieten aktiv und verfügen auch in Israel über einflussreiche Strukturen. Einstweilen bemüht sich die Bundesregierung, über vermeintlich unparteiische "Mittler" aus dem Konflikt Vorteile zu ziehen. Vorgeschoben werden die Türkei und arabische Gefolgschaftsstaaten. Wie schon seit der Gründung Israels geht es um ein kriegerisches Gleichgewicht zwischen den verfeindeten Parteien, die von den westlichen Industrienationen gegeneinander ausgespielt werden. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz (CDU), zieht einen Einsatz der Bundeswehr im Gazastreifen in Betracht. Polenz entspricht damit einem Vorschlag des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert, der in dem Kriegsgebiet ein "Überwachungssystem" etablieren möchte. Auf diese Weise solle ein Waffenstillstand verifiziert und "Waffenschmuggel" verhindert werden. Gemeint ist die Unterbrechung von Nachschubwegen und die noch lückenlosere Kontrolle des von Israel hermetisch abgeschnürten palästinensischen Territoriums. Weder von Land noch über See oder den Luftraum erlaubt Tel Aviv den Gaza-Bewohnern eine eigenständige Versorgung. Das "Überwachungssystem" hat der israelische Premier bereits mit der deutschen Bundeskanzlerin und dem amtierenden US-Präsidenten erörtert - beide befürworten die Monopolisierung der palästinensischen Hoheitsrechte durch Israel und seine Bündnispartner. "Wenn es einen multilateralen Einsatz gibt, wo die deutsche Beteiligung ähnlich wie beim Unifil-Einsatz im Libanon gewünscht wird, dann sollte sich Deutschland auch beteiligen", umschreibt Polenz den geplanten Eingriff in die (faktisch inexistente) palästinensische Souveränität.[1] Außenpolitiker der SPD schließen die Entsendung deutscher Soldaten in den Gazastreifen ebenfalls nicht aus.[2]

Entsorgung der Geschichte

Die Absicht, im unmittelbaren Umfeld Israels militärisch präsent zu sein, hat die Bundesregierung bereits im Jahr 2002 geäußert. Damals erklärte der deutsche Kanzler (Gerhard Schröder, SPD) unter Zustimmung aus fast allen Bundestagsparteien, er "wolle und könne" eine Intervention der Bundeswehr im Nahen Osten "prinzipiell nicht ausschließen".[3] Kurz zuvor war auf einer prominent besetzten Konferenz der Bertelsmann-Stiftung ein Strategiepapier vorgestellt worden, in dem ein EU-Militäreinsatz in Nahost vorgeschlagen wurde - als eine sogenannte Peacekeeping-Mission.[4] Es gebe "sowohl unter Palästinensern wie auch - erstaunlicherweise - unter Israelis viel Sympathie" für eine Intervention deutscher Soldaten, erklärte im Sommer 2002 der damalige Nahostexperte und heutige Leiter der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes.[5] Warnende Stimmen waren in der Minderheit. Dass es Deutschland nicht möglich sei, Soldaten an die Grenzen Israels zu entsenden, "sollte jedem fühlenden Menschen klar sein", hatte etwa der Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, Wolfgang Benz, geurteilt und angesichts der Regierungspläne für Nahost eine "Entsorgung der Geschichte" konstatiert.[6]

Präzedenzfall

Tatsächlich hat die Bundesrepublik seit 2002 ihre Präsenz im Nahen Osten deutlich ausgebaut. Militärisch ist sie am UN-Einsatz im Libanon (UNIFIL) beteiligt und nutzt ihn, um die libanesische Armee auszurüsten und zu trainieren. Unter Anleitung und mit Geräten der deutschen Kriegsmarine, der Bundespolizei und des deutschen Zolls hat der Libanon seine Landesgrenzen hochgerüstet, unter anderem, um den Einfluss Syriens zurückzudrängen und damit die westlichen Positionen zu stärken.[7] Unter deutscher Beteiligung trainiert die EU Polizisten in den Palästinensischen Autonomiegebieten (EUPOL COPPS), Ausrüstung wird ebenfalls geliefert.[8] Auch am Grenzübergang Rafah hatten Berlin und Brüssel Polizisten stationiert (EUBAM Rafah); die Maßnahme ist jedoch ausgesetzt.[9] Vor einem Jahr hatte die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) erklärt, der Libanon-Einsatz könne "als Präzedenzfall für ähnliche maritime Missionen in ähnlichen regionalen Szenarien dienen".[10] Als Beispiel nannte sie die "Küste des Gaza-Streifens".

Bedingung

Ein Bundeswehreinsatz im Gazastreifen, der die bisherige deutsche Militärpräsenz an den israelischen Grenzen deutlich erweitern würde, scheint jetzt in greifbare Nähe zu rücken. Am gestrigen Dienstag hat die deutsche Kanzlerin erstmals "internationale Unterstützung" für die Unterbrechung von Nachschubwegen in das Kriegsgebiet befürwortet.[11] Damit setzt die Bundesregierung ihre bisherige Nahost-Politik fort, die kooperationswillige Kräfte wie die palästinensische Fatah unterstützt, widerspenstige Organisationen wie die palästinensische Hamas oder die libanesische Hisbollah jedoch offensiv bekämpft. Mehrfach hatten deutsche Politiker in den vergangenen Jahren dafür plädiert, in direkte Opposition zu den USA und Israel zu gehen und mit der Hamas zu verhandeln [12] - bisher ohne Erfolg: Mit dem Festhalten an den westlichen Bündnisstrategien erfüllt die Bundesregierung die Bedingung für die Intervention deutscher Militärs im Nahen Osten.

Kein Interesse

Die Rolle des "Mittlers" zwischen den Konfliktparteien, die Berlin gerne nutzt, um seine Positionen zu stärken, bleibt ihm im Nahen Osten wegen dieser Parteinahme verwehrt. In den vergangenen Tagen hat die Bundesregierung deshalb versucht, die Türkei und Ägypten als "Mittler" in Stellung zu bringen und über sie Einfluss zu nehmen. "Tatsächlich ist die auf regionale Konflikte bezogene Agenda der Türkei, Saudi-Arabiens oder auch Ägyptens in den vergangenen Jahren häufiger sehr viel pragmatischer gewesen als die mancher westlicher Akteure", urteilt der Leiter der SWP. Die drei Staaten würden bei Bedarf auch mit der Hamas verhandeln, sollte dies für einen Waffenstillstand nötig werden. Vor allem aber hätten "diese strukturell konservativen Mächte kein Interesse an einer Revolutionierung der Verhältnisse im Nahen und Mittleren Osten" - die größte Befürchtung des westlichen Wirtschafts- und Militärblocks, der zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn seit Jahrzehnten ein kriegerisches Gleichgewicht befördert, um die Ausbeutung der regionalen Rohstoffvorkommen in einem Zustand gegnerischer Schwäche zu realisieren.[13]


Anmerkungen:

[1] Hamas droht Israelis mit Anschlägen in aller Welt; Der Tagesspiegel 06.01.2009

[2] "Wenn es dem Frieden dient"; Der Tagesspiegel 06.01.2009

[3] s. dazu Kanzler erwägt Bundeswehreinsatz im Nahen Osten
tp://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/22580

[4] s. dazu Deutsche Außenpolitik entwirft Strategie für europäischen "Friedenseinsatz" in Israel
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/22756

[5] s. dazu "Sympathie" für deutsche Soldaten in Israel
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/26541

[6] s. dazu Kanzler erwägt Bundeswehreinsatz im Nahen Osten
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/22580

[7] s. dazu Zur Zusammenarbeit bringen
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57074
und Eigenständige Präsenz
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57144

[8], [9], [10] s. dazu Eigenständige Präsenz
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57144

[11] Bundeskanzlerin Merkel zutiefst besorgt wegen der Lage in Gaza. Telefonate mit Erdogan und Bush; Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 06.01.2009

[12] s. dazu Die Stunde der Europäer
tp://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57278

[13] Volker Perthes: Der Weg führt über Jerusalem; Süddeutsche Zeitung 02.01.2008


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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2009