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ASYL/757: Bundesverfassungsgericht prüft Asylbewerberleistungsgesetz auf Verfassungswidrigkeit (Pro Asyl)


Pro Asyl - Pressemitteilung vom 18. Juni 2012

Bundesverfassungsgericht prüft das Asylbewerberleistungsgesetz auf seine Verfassungswidrigkeit

Mündliche Verhandlung am 20. Juni 2012 - dem Internationalen Tag des Flüchtlings

Die Landesflüchtlingsräte, PRO ASYL und Campact fordern die sofortige Abschaffung des diskriminierenden Asylbewerberleistungsgesetzes[1]



Seit Jahren protestieren Flüchtlinge gegen ihre Unterbringung in Sammellagern, die Versorgung mit Essenspaketen oder -gutscheinen und die medizinische Mangelversorgung, die aus dem im November 1993 in Kraft getretenen Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) resultieren. Flüchtlinge, die diese Leistungen in bar ausbezahlt bekommen, erhalten Leistungen, die um 40 Prozent[2] unter Hartz-IV-Niveau liegen. Die Höhe der Leistungen wurde 1993 willkürlich festgesetzt und seitdem nie angehoben, obwohl die Preise mittlerweile um 35 Prozent gestiegen sind[3]. Nicht einmal die Euro-Umstellung ist in das AsylbLG eingegangen.

Nun steht das Asylbewerberleistungsgesetz auf dem Prüfstand. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen kam zu dem Ergebnis, dass das AsylbLG verfassungswidrig ist und legte es dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Prüfung vor. Es bezog sich auf das BVerfG-Urteil vom 9. Februar 2010 zu den Hartz-IV-Regelsätzen, nach dem die Höhe der staatlichen Sozialleistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums transparent und nachvollziehbar ermittelt und bedarfsdeckend sein muss. Dies sei beim AsylbLG nicht der Fall. Geklagt hatten Flüchtlinge aus Nordrhein-Westfalen, die die Leistungen nach dem AsylbLG in Form von Bargeld erhalten.

Noch gravierender sind die Einschränkungen des Existenzminimums etwa in Bayern oder Baden-Württemberg, wo die Flüchtlinge regelmäßig in Sammellager eingewiesen werden, minderwertige Kleidungs- und Essenspakete als "Sachleistung" erhalten und dazu einen "Barbetrag" gemäß AsylbLG von nur 40,90 Euro/Monat. Von diesem Barbetrag von 2,33 Euro am Tag muss der gesamte persönliche Bedarf an ÖPNV-Tickets, Telefon, Porto, Rechtsanwalt, Internet, Schreibmaterial, Bildung, Kultur, Freizeit usw. sowie alles Notwendige, was nicht in den Paketen ist, bezahlt werden.

Auch die Höhe des "Barbetrags" steht in Karlsruhe auf dem Prüfstand. Für den entsprechenden Bedarf ist im ebenfalls unzureichenden Hartz-IV-Regelsatz[4] das Dreifache als Existenzminimum angesetzt.[5]

Dass das AsylbLG verfassungswidrig ist, hat die zuständige Bundesministerin für Arbeit und Soziales Ursula von der Leyen bereits am 10. November 2010 in einer Antwort auf eine Bundestagsanfrage mitgeteilt. Das AsylbLG entspreche "nicht den Anforderungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts" zu Hartz IV und werde daher von der Bundesregierung überprüft.[6] Doch seitdem ist nichts geschehen.

PRO ASYL, die Landesflüchtlingsräte und Campact fordern, dass in Deutschland lebende Flüchtlinge endlich menschenwürdig behandelt werden. Ein längst überfälliger Schritt dorthin könnte übermorgen am Weltflüchtlingstag eingeleitet werden.


Anmerkungen:

[1] Kirchen und BAGFW (Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege) schließen sich dieser Forderung an. Vgl. Stellungnahmen zur Anhörung im Bundestag am 7.02.2011,
www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_neue_meldungen.php?sid=521 bzw.
www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a11/anhoerungen/Archiv/Asylbewerberleistungsgesetz/index.html

[2] Regelsatz Hartz IV = 374 Euro/Monat, Regelsatz § 3 AsylbLG = 440 DM (bzw. 224,97 Euro)/Monat

[3] www.destatis.de → Preise → Verbraucherpreisindizes → Tabellen → Monatswerte. Der Verbraucherpreisindex betrug im November 1993 83,8 und im April 2012 112,8. Das ergibt eine Steigerung um 34,61 %.

[4] Vgl. Rechtsgutachten Münder/Becker, August 2012, www.boeckler.de/37799_37810.htm

[5] Der Anteil für den persönlichen Bedarf im Hartz-IV-Regelsatz liegt bei etwa 126 Euro/Monat, vgl. Classen, Das AsylbLG und das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum,
www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/asylblg/Classen_AsylbLG_Verfassung.pdf, S. 16.

[6] Bundestagsdrucksache 17/3660, S. 4,
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/036/1703660.pdf

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Quelle:
Pro Asyl - Pressemitteilung vom 18. Juni 2012
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Internet: www.proasyl.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2012