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ASYL/1159: Fünf Landesflüchtlingsräte fordern ein Aufenthaltsrecht für auszubildende Geflüchtete (Flüchtlingsrat Niedersachsen)


Flüchtlingsrat Niedersachsen - Pressemitteilung vom 5. Mai 2017

Sicheren Aufenthalt für auszubildende Geflüchtete schaffen!


In einem Positionspapier zur sog. "Ausbildungsduldung" oder auch "3+2-Regelung" genannt, fordern der Flüchtlingsrat Niedersachsen sowie die Landesflüchtlingsräte Berlin, Brandenburg, Hessen und Sachsen Aufenthaltserlaubnisse für Flüchtlinge in Ausbildung sowie mit Ausbildungszusage.

Die derzeitige Regelung ermöglicht lediglich einen Anspruch auf Duldung während der Ausbildung. Bei einer verbindlichen Zusage eines Ausbildungsplatzes vor Beginn der Ausbildung wird eine Duldung lediglich nach Ermessen erteilt. Nach Ansicht der Flüchtlingsräte braucht es stattdessen ein Aufenthaltsrecht, dass eine Aufenthaltserlaubnis für Auszubildende vorsieht. Nur so würde der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers Rechnung getragen. Die "Ausbildungduldung" wird inzwischen faktisch zu Gunsten einer restriktiven Flüchtlingspolitik von einzelnen Landesregierungen ausgehebelt. Berechenbarkeit von Recht und Gesetz sieht jedoch anders aus.

Die im Integrationsgesetz 2016 verabschiedete, so genannte "Ausbildungsduldung" kann in ihrem Kern nicht funktionieren. Denn als Duldung setzt die Regelung lediglich die Abschiebung aus. In der Folge bewerten einige Bundesländer oder gar einzelne Ausländerbehörden den politischen Willen zu hohen Abschiebezahlen höher als Integrationsbemühungen - höher als die Bestrebungen von Arbeitgeber:innen, Fachkräfte zu gewinnen. Zwar setzt die niedersächsische Landesregierung über einen Erlass die sog. "3+2-Regelung" im Vergleich zu vielen anderen Bundesländern wenig restriktiv und im Sinne des Gesetzgebers um, nichts desto trotz kommt es in der Praxis immer wieder zu Verunsicherungen sowohl auf Seiten der Flüchtlinge als auch auf Seiten der Ausbildungsbetriebe bzw. -einrichtungen.

Es ist daher an der Zeit, den halbherzigen Versuch, geflüchtete Menschen in Ausbildung zu bringen, durch eine klare Rechtslage zu korrigieren.

In ihrem Positionspapier skizzieren die Flüchtlingsräte die in der Praxis auftretenden und offensichtlich werdenden Unzulänglichkeiten der gegenwärtigen "3+2-Regelung". Politische Vorgaben einiger Landesregierungen führen dazu, dass die Intention der Ausbildungsduldung unterlaufen wird. Nach Ansicht des Flüchtlingsrates Niedersachsen sind die politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen gegeben, um eine gesetzliche Regelung umzusetzen, die sowohl den Flüchtlingen als auch den Ausbildungsbetrieben Rechtssicherheit gibt.

Das Positionspapier mit der Bitte um Unterstützung einer eindeutigen gesetzlichen Bleiberechtsregelung für Flüchtlinge in Ausbildung geht an die niedersächsische Landesregierung, niedersächsische Bundestagsabgeordnete und weitere Arbeitsmarktakteure wie Kammern und Gewerkschaften.

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05. Mai 2017

Positionspapier und Appell der Landesflüchtlingsräte in Niedersachsen, Berlin, Brandenburg, Hessen und Sachsen
Aufenthaltserlaubnis statt Ausbildungsduldung - Lernen aus den Hürden der Praxis

Die unterzeichnenden Flüchtlingsräte setzen sich für eine effektive Arbeitsmarktintegration von nach Deutschland geflohenen Menschen ein, und setzen dies in verschiedener Weise um.

Ziel ist es, Menschen mit Aufenthaltsgestattung, Duldung oder Aufenthaltserlaubnis mit Zugang zum Arbeitsmarkt, aber unabhängig von ihrem Herkunftsland bei der Integration in Arbeit, Ausbildung oder bei der Erlangung eines Schulabschlusses zu unterstützen. Die Identifizierung von strukturellen Problemen und Maßnahmen zur Strukturverbesserung gehören zu unserem Aufgabenprofil, um die Arbeitsmarktintegration der Zielgruppe zu erreichen und Ausbildungs- bzw. Beschäftigungsverhältnisse zu stabilisieren.

Die "so genannte" Ausbildungsduldung

Am 6. August 2016 wurde die sogenannte Ausbildungsduldung - auch Anspruchsduldung oder 3+2-Regelung genannt - eingeführt (mit in Kraft treten der gesetzlichen Regelung des Aufenthaltsgesetzes § 60 a Abs. 2 Satz 4ff). Diese Ausbildungsduldung sollte abgelehnten Asylsuchenden und geduldeten Ausländer*innen, welche bereits in Ausbildung sind oder eine solche konkret anstreben, eine Bleibeperspektive in Deutschland eröffnen. Eine Intention, die insbesondere aus humanitären Gründen begrüßenswert ist. Eine Forderung der Unternehmen sollte hier erfüllt werden: mehr Planungs- und Rechtssicherheit bei der Ausbildung von Geflüchteten zu gewährleisten.

Probleme in der Umsetzung

Leider wird die angestrebte Zielsetzung durch die derzeitige Form und Umsetzung der Ausbildungsduldung nicht flächendeckend erreicht. Die Innenministerien der Bundesländer kommen zu teils sehr unterschiedlichen rechtlichen Interpretationen und daraus abgeleiteten Umsetzungsanweisungen an die Behörden. Eine restriktive Auslegung der Regelung durch Ländererlasse, aber auch deutlich selektive Zulassungskriterien durch Ausländerbehörden lassen die Regelung oftmals ins Leere laufen und widersprechen deren politischer Intention (wie etwa in Bayern).

Darüber hinaus werden bei der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis, die der Erteilung der Ausbildungsduldung vorausgeht, zunehmend Versagungsgründe wie aufenthaltsbeendende Maßnahmen (AufenthG § 60a Abs. 2 Satz 4) oder ein Arbeitsverbot (AufenthG § 60a Abs.6) als primäre Entscheidungskriterien genutzt, um damit den Zugang zur Ausbildungsduldung zu verhindern. Im Gesetz ist zwar ein Ermessen hinsichtlich der Erteilung der Beschäftigungserlaubnis seitens der Ausländerbehörde vorgesehen (§ 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG), der Gesetzgeber intendierte mit der Ausbildungsduldung aber das Schaffen von Planungs- und Rechtssicherheit. Wenn das Ermessen "beliebig" ausgeübt wird, wird diese Intention unterlaufen.

Manche Bundesländer hingegen machen bei der Frage, wann aufenthaltsbeende Maßnahmen konkret bevorstehen, weniger restriktive Vorgaben. Und auch der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages stellt fest, dass im Sinne der Regelung mit einer "... Vorbereitungsmaßnahme (für eine Abschiebung) die tatsächliche Aufenthaltsbeendigung nicht nur eingeleitet, sondern auch absehbar wird." Gemeint ist, dass es eindeutiger Vorbereitungshandlungen im Hinblick auf eine Abschiebung bedarf, damit eine Aufenthaltsbeendigung als "absehbar" gilt und ein Ablehnungsbescheid nicht als abschiebevorbereitende Maßnahme zu interpretieren ist.

Rechtlich unklar ist zudem, ab welchem Zeitpunkt im Kontext der Regelung eine Ausbildung beginnen kann bzw. muss. Für die Wartezeit, die sich aus dem unterschiedlichen Beginn von Ausbildungen ergeben, gibt es die Möglichkeit, eine so genannte "Ermessensduldung" zu erteilen. Auch hier ist die Regelungspraxis quasi von Bundesland zu Bundesland und auch noch von Ausländerbehörde zu Ausländerbehörde unterschiedlich. Einige Bundesländer wie Niedersachsen oder Thüringen passen ihre Regelungen an die Rahmenbedingungen der Ausbildungsgänge an und verpflichten auch bei einer längeren Wartezeit die Erteilung einer Ermessensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Andere Bundesländer legen hingegen Maßstäbe an, die den Strukturen des Ausbildungsmarktes nicht entsprechen und schließen damit viele eigentlich Begünstigte von dieser Bleiberechtsregelung aus.

Grotesk wirkt es schließlich, dass die Bundesagentur für Arbeit mit einem internen Hinweis an die Regionaldirektionen bereits in Ausbildung befindlichen Asylsuchenden einen unverzüglichen Zugang zur Ausbildungsförderung, insbesondere zur Berufsausbildungsbeihilfe, versagt, sofern die Personen nicht aus den "Top 6" Herkunftsländern (Eritrea, Irak, Iran, Somalia, Syrien und Jemen) kommen. Hier wird tatsächlich unterstellt, dass bei diesen Auszubildenden kein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten sei. Damit wird der Regelung des § 60 a Abs. 2 Satz 4ff zur Anspruchsduldung fulminant widersprochen.

Insgesamt erleben wir eine Verwaltungspraxis, die - zum Teil in rechtswidriger Weise - die Abschiebediktion deutlich höher bewertet, als das Bemühen um Integration. So werden Asylsuchende, die bereits während des Asylverfahrens in einer Ausbildung waren, nach negativem Abschluss ihres Asylgesuches trotz der genannten Regelung aus der Ausbildung herausgerissen und - wenn dann möglich - abgeschoben. Solches Vorgehen stellt nicht nur einen inhumanen Akt dar, sondern zeigt, dass trotz gegenteiliger Interessensbekundung die 3+2-Regelung im Bundesintegrationsgesetz die damit versprochene Sicherheit für Betroffene und deren Ausbildungsbetriebe nicht gewährleistet.

Insgesamt zeigt sich, dass die Konstruktion einer Ausbildungsduldung in der Praxis vielen Interpretationsmöglichkeiten Raum gibt und der Wille des Gesetzgebers, nämlich mehr Planungs- und Rechtssicherheit für die Auszubildenden und ihre Ausbildungsbetriebe bezüglich des Status ihres Auszubildenden zu schaffen, nicht erreicht wird. Vielmehr werden auch hier entgegenwirkend Ermessensspielräume eröffnet, um jeweilige Positionen durchzusetzen. Das geht diametral am Willen des Gesetzgebers vorbei. Die Verwaltungspraxis kommt einem Ermessensmissbrauch gleich, womit Sinn und Zweck der vom Gesetzgeber normierten Anspruchsduldung ignoriert werden.

Lösungsvorschlag

Eine Lösung dieser Problemstellungen wird es nicht geben, solange die Ausbildung selbst unter dem ordnungsrechtlichen Edikt einer "Aussetzung der Abschiebung" (- Duldung) steht. Ein politisch offenbar mehrheitsfähiger Wunsch, Menschen in Ausbildung eine Bleibeperspektive in Deutschland zu ermöglichen, kann nur dann umgesetzt werden, wenn diesen Menschen bereits in der Ausbildung auch tatsächlich ein Aufenthaltsrecht eingeräumt wird. Das kann beispielsweise durch die Einführung einer den §§ 25 a und b AufenthG nachgebildeten Aufenthaltserlaubnis geschehen.

Appell

In diesem Sinne appellieren die unterzeichnenden Flüchtlingsräte an ihre jeweilige Landesregierung sowie an Bundestagsabgeordnete, sich für ein Aufenthaltsrecht zur Ausbildung einzusetzen. Damit würde rechtlich wie administrativ den betroffenen Menschen eine echte und vertrauenswürdige Grundlage für ihr weiteres Leben angeboten. Gleichzeitig würde den Betrieben bei der Ausbildung von Schutzsuchenden ein Großteil der Auseinandersetzungen mit Behörden erspart bleiben und ihnen echte Planungssicherheit geboten.

Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Hessischer Flüchtlingsrat e.V.
Flüchtlingsrat Brandenburg e.V.
Flüchtlingsrat Berlin e.V..
Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.

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Quelle:
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Röpkestr. 12, 30173 Hannover
Mo-Fr: 10.00 bis 12.30, Di+Do: 14.00 bis 16.00
Telefon: 0511/98 24 60 30, Fax: 0511/98 24 60 31
E-Mail: nds@nds-fluerat.org
Internet: www.nds-fluerat.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2017

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