Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → ERNÄHRUNG


VERBAND/2410: Präsident des Bauernverbands zur Vorlage der Farm-to-Fork Strategie (DBV)


Deutscher Bauernverband - Pressemitteilung vom 20. Mai 2020

"Das ist ein Generalangriff auf die europäische Landwirtschaft"

DBV-Präsident Joachim Rukwied zur Vorlage von Farm-to-Fork Strategie und Biodiversitätsstrategie


Die von der EU-Kommission vorgelegten Strategiepapiere zur Farm-to-Fork- und Biodiversitätsstrategie im Rahmen des European Green Deal sieht der Präsident des Deutschen und Europäischen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, äußerst kritisch:

"Wir wollen den Weg hin zu einer umweltfreundlichen Landwirtschaft weitergehen und weiterentwickeln. Aber dieser Vorschlag ist der falsche Weg. Er ist ein Generalangriff auf die gesamte europäische Landwirtschaft."

In den vorgelegten Strategiepapieren seien dringend notwendige Anpassungen, ausgelöst durch die Corona-Pandemie, nicht berücksichtigt worden. "Die Ernährungs- und Versorgungssicherheit der Menschen in Europa mit heimischen Nahrungsmitteln muss in den Mittelpunkt dieser Strategie gerückt werden." Um eine produktive, wettbewerbsfähige und ressourcenschonende Landwirtschaft zu erreichen, müsse statt auf neue Auflagen verstärkt auf Kooperation gesetzt werden.

Rukwied: "Die europäische und deutsche Landwirtschaft ist bereit, ihren Teil zu einem verbesserten Umwelt- und Biodiversitätsschutz beizutragen und eine Transformation der Lebensmittelerzeugung hin zu noch mehr Nachhaltigkeit mitzugestalten."

Nur in Kooperation mit dem Sektor und unter Beteiligung der Verbraucher seien die ambitionierten Ziele des Green Deals erreichbar. Allgemeine politische Reduktionsziele für Pflanzenschutzmittel und andere Betriebsmittel seien dabei kontraproduktiv und verlassen die Grundlage der guten fachlichen Praxis. "Die Bäuerinnen und Bauern dürfen mit den Kosten für mehr Umwelt- und Klimaschutz nicht allein gelassen werden. Die Konsequenz wäre eine zunehmende Abwanderung der europäischen Lebensmittelproduktion in Drittstaaten und vor allem die Aufgabe einer großen Zahl an landwirtschaftlichen Betrieben in der Europäischen Union", so Bauernpräsident Rukwied.

Als Präsident des europäischen Bauernverbandes COPA vertritt Joachim Rukwied rund 60 europäische Bauernverbände und damit mehr als 10 Millionen landwirtschaftliche Betriebe in der Europäischen Union.


Erste Reaktion in 16 Punkten zur Farm-to-Fork-Strategie und zur Biodiversitätsstrategie der EU-Kommission im Rahmen des European Green Deal.

1. Eine gute und sichere Ernährung durch europäische Bauern ist Grundlage für ein stabiles Europa.

Eine eigenständige, wettbewerbsfähige und qualitativ hochwertige Erzeugungvon Lebensmittelnaus den Händen europäischer Bauern ist von existenziellem Interesse für alle EU-Bürgerinnen und Bürger. Die Erfahrungen der Corona-Krise unterstreichen die Bedeutung der Ernährungssicherheit als Gemeinwohlziel. Dies muss grundlegend in der Farm-to-Fork-Strategie verankert werden.

Hervorgehoben werden muss in diesem Zusammenhang zum Beispiel, dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln oft gesundheitliche Risiken bei der Ernteware vermeidet und dadurch gleichzeitig zu mehr Lebensmittelsicherheit und Versorgungssicherheit beiträgt.


2. Mehr Investitionen bedürfen einer zusätzlichen Finanzierung.

Herausforderungen wie der wirtschaftliche Wiederaufbau nach Corona und der Green Deal bedeuten auch für die Landwirtschaft und die ländlichen Räume einen großen Bedarf an neuen Investitionen. Dies kann nicht im Rahmen bestehender GAP-Mittel geleistet werden, weil es die bestehenden Betriebe wirtschaftlich schwächen würde. Zusätzliche Finanzmittel sind erforderlich.


3. Honorierung der Erzeuger für höhere Standardssicherstellen.

Die Landwirte sind oftmals das schwächste Glied in der Lebensmittelkette. Statt die Kosten gesellschaftlicher Anforderungen auf die Landwirte abzuwälzen, muss ein Ausgleich bzw. Einkommen für zusätzliche Leistungen im Ressourcenschutz und für mehr Tierwohl geschaffen werden. Nächster wichtiger Schritt ist die Einführung eines Kennzeichnungssystems für höhere Standards in der gesamten EU. Die Bezahlung dieser höheren Standards im Vergleich zum Weltmarkt muss wettbewerbsrechtlich, beihilferechtlich und handelspolitisch abgesichert werden.


4. Pflanzenschutz bleibt notwendig, um Ernten zu sichern.

Der Schutz der Kulturpflanzen hinsichtlich Ertrags und Qualität bleibt unverzichtbar. Dafür muss der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im gebotenen Maß möglich bleiben. Ein allgemeinespolitisches Reduktionsziel wird als kontraproduktiv abgelehnt. Besser ist es, einen kontinuierlichen Optimierungsprozess bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln zu beschreiten.

Ausreichend Wirkstoffe müssen verfügbar sein, um einen wirksamen Pflanzenschutz zu gewährleisten, auch unter den Aspekten des Klimawandels, invasiver Arten und neuer Schädlinge. Ein europaweit einheitliches und verlässliches Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel ist dafür notwendig. Durch erleichterte Zulassungsbedingungen innovativer Pflanzenschutzmittel sowie krankheitsresistenten Saatguts können weitere Anreize zur Reduktion geschaffen werden. Der Einsatz von digitalen Techniken sowie biologischen und mechanischen Pflanzenschutzmitteln ist zu bevorzugen, wenn sie eine ausreichende und vergleichbare Wirksamkeit haben. Hier ist mehr praxistaugliche Forschung anzustoßen.


5. Weg für Innovationen freimachen.

Die Verfügbarkeit und Anwendung von Neuen Züchtungsmethoden (NBTs) birgt erhebliches Potential für eine noch ressourcenschonendere Landwirtschaft. Dazu muss die EU auch aus handels- und geopolitischer Sicht einen passenden rechtlichen Rahmen schaffen, basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die Forschung und Entwicklung in diesem Bereich müssen vorangetrieben werden. Dann können NBTs wesentlich zur Erreichung hoher Umwelt- und Klimaambitionen beitragen.


6. Klimaneutrales Europa 2050 ist nur mit der Land- und Forstwirtschaft möglich.

Die Landwirtschaft kann und wird durch eine weitere Steigerung der Klimaeffizienz ihre Emissionen weiter reduzieren. Die Land- und Forstwirtschaft ist der einzige Sektor, der im Zuge des Produktionsprozesses einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz leisten kann, indem CO2 aus der Atmosphäre durch Pflanzenwachstum gebunden wird. Zur Steigerung der CO2-Bindung in landwirtschaftlichen Böden durch Humusaufbau müssen Fördermaßnahmen entwickelt und die Senkenleistung der Land- und Forstwirtschaft in der Treibhausgasbilanz gutgeschrieben werden. Über erneuerbare Energien und nachwachsende Rohstoffe muss die Vermeidungsleistung im Sinne des Klimaschutzes weiter gesteigert und honoriert werden.


7."Carbon Leakage" vermeiden - EU-Klima- und Handelspolitik müssen Verlagerung der Erzeugung verhindern.

Zur Vermeidung möglicher Produktionsverlagerung in Drittländer wegen erhöhter Klimaschutzkosten muss ein CO2-Grenzausgleichmechanismus nicht nur für Industriegüter, sondern auch für Agrarprodukte eingeführt werden.


8. Gemeinsame Herkunfts- und Haltungsformkennzeichnung in der EU.

Das hohe Standard-Niveau europäischer Agrarprodukte muss für die Verbraucher besser sichtbar werden. Deshalb benötigt die EU einen Rahmen für Vermarktungsstandards in Verbindung mit einer verpflichtenden Herkunfts- und Haltungsformkennzeichnung bei tierischen Produkten. Beispielsweise muss bei Schweinefleisch die gesamte Kette von der Ferkelerzeugung bis zur Mast bezüglich der Haltungsformen und der Herkunft gekennzeichnet werden. Dies sollte für Verarbeitungserzeugnisse und Fleischwaren im Handel und ebenso für Großverbraucher und Gastronomie gelten.


9. Tierwohl in Europa stärker vereinheitlichen.

Die gesetzlichen Anforderungen an die Tierhaltung müssen innerhalb der EU endlich stärker vereinheitlicht werden. Dies ist auch sinnvoll, um einer Verlagerung der Erzeugung in Mitgliedstaaten mit niedrigen Standards entgegenzuwirken. Hierzu sind auch Tierwohlindikatoren heranzuziehen, die auf wissenschaftlicher Basis definiert werden.


10. Eine Tiergesundheitsstrategie auf wissenschaftlicher Grundlage.

Gesunde Tiere sind die Grundlage für das Wohl der Tiere und den Erfolg des Tierhalters. Auch zukünftig müssen kranke Tiere behandelt werden können; dazu gehört auch die Anwendung von antibiotischen Wirkstoffen. Die Entwicklung neuer antibiotischer Wirkstoffe ist nötig. Auch muss das Niveau von Hygiene und Biosicherheit weiterentwickelt werden. Ein weiterer Bestandteil der Strategie sollte ein Tiergesundheitsmonitoring sein, mit dessen Daten die Debatte um die Weiterentwicklung der Tierhaltung versachlicht werden kann.


11. Ökolandbau marktgerecht ausbauen.

Der Ökolandbau muss vor allem über die Nachfrage wachsen. Dies kann durch eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung (siehe Punkt 8.) und Verbraucheraufklärung befördert werden. Zur nachhaltigen Entwicklung des Ökolandbaus sind Ertragssteigerungen notwendig. Dazu bedarf es vor allem mehr Investitionen in Pflanzenzüchtung, Digitalisierung und die Schließung von Nährstoffkreisläufen. Klassische und ökologische Landwirtschaft können dabei voneinander lernen. Eine politische Vorgabe von 25 Prozent Flächenanteil des Öko-Landbaus und damit eine Verdreifachung bis 2030 geht hingegen an den Marktrealitäten vorbei und birgt das Risiko eines steigenden Preisdrucks für dieses Marktsegment.


12. Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft stärker in den Fokus nehmen.

Eine erfolgreiche Energiewende kann nur gelingen, wenn die technologieoffene Energieerzeugung aus erneuerbarer Biomasse für Strom, Wärme und Verkehr eine stärkere Bedeutung erlangt. Bioenergie aus der Land- und Forstwirtschaft verdient weiter Unterstützung als wichtiger Baustein für Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft und für die ländliche Wirtschaft. Vor allem bei Importen muss die Nachhaltigkeit stärker beachtet werden. Mit Blick auf das Langfristziel 2050 kann die Land- und Forstwirtschaft neben dem Recycling zunehmend erneuerbaren Kohlenstoff für die stoffliche Nutzung bereitstellen, u.a. für Verpackungen, Werkstoffe und chemische Industrie.


13. Biodiversitätsschutz kooperativ ausgestalten.

In der Biodiversitätsstrategie setzt die EU-Kommission vor allem auf mehr Schutzgebiete und Auflagen. Diese Vorgehensweise würde Landnutzungskonflikte anheizen und den wirtschaftlichen Druck auf die Land- und Forstwirtschaft noch erhöhen. Notwendig ist aber mehr Qualität statt flächenmäßiger Quantität im Naturschutz. Der DBV fordert, den kooperativen Ansatz als vorrangige Strategie für die Förderung der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft zu stärken. Bekundungen hinsichtlich der wichtigen Rolle der Landwirte genügen nicht, die EU muss hier konkret und vorrangig auf den Vertragsnaturschutz und damit auf Anreize, Anerkennung und Freiwilligkeit setzen. Kommunen, Haus- und Gartenbesitzer können weitere Beiträge leisten.


14. Hemmnisse beim Biodiversitätsschutz abbauen.

Die EU muss ein Programm zum Abbau von Hemmnissen und für mehr Flexibilität bei Agrarumweltmaßnahmen vorlegen. Eine wertschätzende, einkommensrelevante und standortgerechte Agrarumweltförderung ist für den Erfolg der Biodiversitätspolitik dringend erforderlich. Biodiversität muss produktionsintegriert innerhalb landwirtschaftlicher Produktionssysteme gefördert werden können. Die GAP-Kommissionsvorschläge aus 2018 können in punkto Vereinfachung nur ein Anfang sein.


15. Ökologische Anforderungen überwirtschaftliche Anreize umsetzen.

Der European Green Deal muss wirtschaftliche Anreize dafür schaffen, ökologische Leistungen durch Landwirte umzusetzen. Eine weitere Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit und die Verlagerung der heimischen Nahrungsmittelproduktion in Drittstaaten (Leakage) muss verhindert werden.


16. Biodiversitätspolitik auf faktenbasierter Grundlage.

Es ist bedenklich, wenn die EU-Kommission in der Biodiversitätsstrategie den Eindruck erweckt, dass Naturschutzgebiete neuen Zoonosen vorbeugen könnten. Ernstzunehmende Strategien zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten basieren auf Hygieneregeln und Impfungen. Der DBV kritisiert, dass in einem offiziellen Papier der EU-Kommission nicht auf epidemiologische Erkenntnisse zurückgegriffen wird, sondern vermeintliche Selbstheilungskräfte von natürlichen Ökosystemen in den Vordergrund gestellt werden.

*

Quelle:
Pressemitteilung vom 20. Mai 2020
Deutscher Bauernverband, Pressestelle
Claire-Waldoff-Straße 7, 10117 Berlin
Tel.: 030 / 31 904 0, Fax: 030 / 31 904 431
Mail: presse@bauernverband.net
Internet: www.bauernverband.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Mai 2020

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang