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VERBAND/1747: "(K)eine Zukunft für Nutztierhaltung und Fleischgenuss" (DBV)


Deutscher Bauernverband - Pressemitteilung vom 6. Oktober 2011

"(K)eine Zukunft für Nutztierhaltung und Fleischgenuss"

Statement von DBV Präsident Gerd Sonnleitner
4. Oktober 2011, Katholische Akademie in Berlin


Der Evangelische Dienst auf dem Lande (EDL), die Katholische Landvolkbewegung (KLB), der Deutsche Bauernverband (DBV) und der Deutsche LandFrauenverband (dlv) haben in Berlin zu einer Fachtagung unter dem Titel "(K)eine Zukunft für Nutztierhaltung und Fleischgenuss" geladen. Nachfolgend die Rede von DBV Präsident Gerd Sonnleitner:


Prälat Jüsten, sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin sehr dankbar, dass wir heute im Vorfeld der Übergabe der Erntekrone an den Bundespräsidenten das Thema über die Zukunft der Nutztierhaltung für diese Fachtagung gewählt haben.

Und wie der Besuch zeigt, besteht an dem Diskurs ja auch sehr großes Interesse.

Als DBV haben wir das Thema Nutztierhaltung und Lebensmittel schon in 2003 auf dem Deutschen Bauerntag in Freiburg nach einem Vortrag des Moraltheologen Prof. Schockenhoff von der Universität Freiburg intensiv diskutiert.

Schockenhoff der heute stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates ist, sagte damals: "Der Mensch darf zum Zweck seiner eigenen Ernährung auf das tierische Leben zurückgreifen, aber er hat kein Recht, um eine kostengünstigen Fleischproduktion willen das Gebot einer tiergerechten Aufzucht zu missachten."

Der Moraltheologe hat uns Bauern ein Selbstverständnis zugeschrieben, wonach sich der Bauer für das Schicksal der Tiere verantwortlich fühlt.

Bauern würden sich nicht in einem Interessengegensatz zum Tier verstehen, sondern seien in einer "Schicksalsgemeinschaft" mit ihm.

Wenn sie nicht so tierschonend und tiernah wie möglich produzierten, sei dies dem Markt geschuldet, der für eine solch artgerechte Tierhaltung keine kostendeckende Preise ermögliche, - soweit die Aussagen des Moraltheologen.

Nun hat sich in der Praxis unsere Landwirtschaft in den zurückliegenden Jahrzehnten äußerst dynamisch entwickelt.

1949 gab es in Deutschland 1,65 Millionen Höfe und fast 5 Millionen Menschen, die in der Landwirtschaft gearbeitet haben - damals ernährte 1 Landwirt 10 Mitbürger.

Heute sind es nur noch 330.000 landwirtschaftliche Betriebe mit 850.000 Erwerbstätigen - ein Landwirt ernährt 140 Mitbürger.

Der Strukturwandel hatte in der Landwirtschaft über Jahrzehnte auch einen schwerlichen Verlust an Bäuerlichkeit in Deutschland zur Folge.

Mit jedem von Bauernfamilien bewirtschafteten Betrieb, der seine Tore schloss, ging auch ein Stück Selbstständigkeit und unternehmerische Unabhängigkeit in unserer Gesellschaft verloren.

Und doch ist in einer sich stetig weiter verändernden Landwirtschaft das Gros unserer Landwirte bäuerlich verankert geblieben und zeigt Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft; fühlt sich - wie Schockenhoff sagt - in einer Schicksalsgemeinschaft mit den Tieren.

Es ist aber auch erkennbar, dass der Strukturwandel an Grenzen der gesellschaftlichen Akzeptanz stößt.

Dies alles wird auch in der diesjährigen gemeinsamen Erklärung unseres Gesprächskreises DBV, EDL, KLB und dlv sehr deutlich.

So wie Ochs, Esel und Schaf in der Bibel allgegenwärtig sind, gehören auch Menschen und Tiere heute noch zu den meisten Bauernhöfen.

Aktuell nimmt unsere deutsche Landwirtschaft im europäischen und auch internationalen Vergleich eine Spitzenposition sowohl in der Milchvieh-, der Schweine- und in der Geflügelhaltung ein.

Wir haben uns in der Schweinehaltung derart erfolgreich entwickelt, dass wir mittlerweile zur Exportnation bei Fleisch geworden sind.

Bei Legehennen sind wir Vorreiter in der EU mit dem Verbot der Käfighaltung.

Doch mit diesem Vorausgehen im Tierschutz wurde das Tierschutzproblem exportiert.

Heute finden Sie unsere aussortierten Käfige in Osteuropa, wird in Übersee fleißig in die Käfighaltung investiert.

Bei Importen achtet der Verbraucher offenbar weniger auf den Tierschutz, wir haben in Deutschland enorme Marktanteile bei Eiern seit dem einseitigen Verbot der Käfighaltung verloren.

Wir können die Augen davor nicht verschließen, wenn die Entwicklung zu größeren Tierbeständen heute in der Gesellschaft auf Skepsis und Ablehnung stößt .

Das Wort "Massentierhaltung" wird schnell zum Totschlagargument, behindert die Suche nach gesellschaftlichem Konsens, dokumentiert wohl auch eine gewisse Intoleranz.

Neuerlich wird fast jeder Stallneubau bekämpft, mancherorts sogar mit krimineller Gewalt und Feuer buchstäblich bekriegt.

Tierhalter werden bedroht, wie zuletzt in Niedersachsen; Redaktionen, die sich für die Tierhaltung einsetzen, unter Druck gesetzt, wie zuletzt beim Weser-Kurier.

Ich bin deshalb froh, dass wir in unserem Kirchengesprächskreis hier das Thema diskutieren wollen.

Unseren Anspruch an moderne Tierhaltung haben wir in dem Gesprächskreis Bauernverband, Landfrauen und Kirchen in gemeinsamen Erklärungen sowohl Ende der 1990iger Jahre und auch 2005 formuliert.

2005 übrigens nach einer gemeinsamen Information im Lehr- und Forschungsgut Ruthe und nach einer Diskussion mit dem Leiter, Dr. Sürie, den ich heute hier begrüßen darf.

Ich hoffe, Ihr Beitrag baut heute wie damals die Brücken, so dass wir nach unserer Veranstaltung die gemeinsame Erklärung aus 2005 aktualisiert und weiterentwickelt fortschreiben können.

Lassen mich deshalb drei Thesen aufstellen:

1. Der Tierschutz in unseren Ställen ist besser als der öffentliche Ruf.

Aus unserer Sicht wird in der medialen und öffentlichen Diskussion übersehen, dass die Tierhaltung in den zurückliegenden 60 Jahren mit ständiger Begleitung von Wissenschaft, Forschung und Beratung kontinuierlich weiterentwickelt und verbessert worden ist.

Ökonomie, Ökologie, Tiergesundheit, Lebensmittelsicherheit und Tierschutz sollten zur Deckung gebracht werden.

Letztendlich hat dieser Weg genau zu der Tierhaltung geführt, die wir jetzt in der Praxis vorfinden.

Früher war der Stall klein, häufig nass und eng.

Heutige moderne Ställe sind hell, klimatisiert mit einem angemessenen Platzangebot.

Denken Sie an den früheren Anbindestall und den heutigen Boxenlaufstall, an die schmutzigen Schweinekoben von früher und an den hygienisch einwandfreien, dafür durch sein steriles Aussehen nicht mehr emotional zusagenden Sauenstall.

Dass mit dem Boxenlaufstall erhöhter Arbeitsschutz für die Tierhalter und damit eine Enthornung notwendig ist, zeigt, wie schwierig Tierhaltungsprobleme zu lösen sind.

Meine feste Überzeugung: Gegenüber früheren Haltungsbedingungen haben wir heute erhebliche Verbesserungen erreicht.

Gibt es Fehlentwicklungen, müssen sie geändert werden, dies gilt grundsätzlich für Haltungsformen wie auch für einzelne persönliche Verfehlungen.


2. Tierhaltung erfordert ständige Investitionen in Tier- und Arbeitsschutz.

Leider geht nicht nur in kirchlichen Kreisen schnell unter, dass in neue bessere Ställe, in mehr Tierschutz, nur investiert werden kann, wenn vorher Geld verdient wurde.

In den vergangenen Jahren hatten unsere Tierhalter mit extremen Marktschwankungen sowohl beim Erlös als auch bei den Futterkosten zu kämpfen.

Allein in diesem Jahr sind die Futterkosten für die Schweinehalter gegenüber dem Vorjahr zeitweise um 40 Prozent gestiegen.

Vielen Ferkelerzeugern fehlt aufgrund der wiederholten preislichen Tiefschläge das Geld, um in die ab 2013 vorgeschriebene Gruppenhaltung von Sauen zu investieren - ein Haltungssystem, womit das Tierwohl weiter vorangebracht wird - hier stehen wir vor einem regelrechten Strukturbruch.

Man kann die Standards für mehr Umwelt - und Tierschutz nicht ständig erhöhen oder ein neues Label "Tierwohl" einführen, andererseits den Bauern aber weniger für ihre Schweine bezahlen.


3. Problembereiche über die Zeit lösen

Wir Landwirte können und werden uns nicht auf dem bisher Erreichten im Tierschutz ausruhen, sondern erkannte neuen Herausforderungen entschlossen angehen.

Ich meine hierbei insbesondere Ferkelkastration, Schwänze kürzen, Enthornen, modernen Stallbau und den Einsatz von Medikamenten.

Als Beispiel möchte ich in diesem Zusammenhang unsere Düsseldorfer und die europäische Erklärung zur Ferkelkastration nennen: Mit der Lebensmittelkette arbeiten wir daran, bis 2018 aus der Ferkelkastration auszusteigen.

Hier wurde auch gemeinsam mit dem Deutschen Tierschutzbunde der richtige Weg beschritten.

Heute ist es auch möglich, alternativ Eber zu mästen und deren Fleisch als Lebensmittel zu verwerten.

Wenngleich noch immer nicht zu unserer 100%igen Zufriedenheit: die elektronische Nase fehlt noch, um beim Braten übelriechendes Eberfleisch vorher zu identifizieren.

Sie sehen, wir wollen und müssen über die Zeit mit Hilfe des technischen Fortschritts und der Wissenschaft und der Verbraucherschaft Veränderungen vornehmen.

Wir haben auf dem Bauerntag in Koblenz das Leitbild des Deutschen Bauernverbandes verabschiedet.

Wir werfen unsere bäuerlichen Werte nicht über Bord.

Wir beziehen uns auch auf die christlichen Grundwerte.

Aber als bäuerliche Unternehmer und als Interessenverband müssen wir den Umweltschutz und den Tierschutz auch mit den Realitäten in offenen Märkten abgleichen - sonst gibt es in Deutschland keine Bauern und keine Tierhaltung mehr.

Deshalb bin ich gespannt mit welchen Vorschlägen und Vorstellungen die heutigen Referenten dieser Tagung und die Praktiker hier im Saal unsere Nutztierhaltung und den Tierschutz voranbringen wollen.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 6. Oktober 2011
Deutscher Bauernverband, Pressestelle
Claire-Waldoff-Straße 7
10117 Berlin
Tel.: 030 / 31 904 239
Mail: presse@bauernverband.net
Internet: www.bauernverband.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2011