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MARKT/2216: Private Lebensmittelstandards in globalen Lieferketten (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2016

Gutes Essen - schlechtes Essen
Strukturwandel wohin?

Private lebensmittelstandards in globalen Lieferketten
Eine eher skeptische Betrachtung

von Rudolf Buntzel


Lebensmittelstandards werden beherrscht von den international agierenden Supermarktkonzernen und sind ein Steuerungs- und Kontrollsystem in globalen Lieferketten. Sie erzwingen mit Marktmacht ein weltweit einheitliches Modell moderner Landwirtschaft, das zwar Nachhaltigkeit vorgibt, aber die Bäuerinnen und Bauern entmündigt.

Wer könnte etwas dagegen haben, dass sich der internationale Lebensmittelhandel freiwillig zu Nachhaltigkeit bekennt und strikte Standards für seine LieferantInnen einführt, die ökologische, soziale und ökonomische Auflagen machen und Sicherheit und Qualität der Waren garantieren sollen? Immerhin sollen inzwischen schon 80 Prozent der weltweit gehandelten Agrar- und Fischereiprodukte dem einen oder anderen Standardprogramm unterliegen. Ein edles Unterfangen, das dem hehren Ziel der "nachhaltigen Entwicklung", formuliert in den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (UN), dient? BewunderInnen des Systems streichen heraus, dass hier nachhaltige Landwirtschaft in harte betriebswirtschaftliche Kriterien gegossen werde, dass die Standards eine "Lehre" abgäben für die LandwirtInnen, gerade in Entwicklungsländern zur "guten fachlichen Praxis" (GAP) und dem Wunsch der VerbraucherInnen im Norden nachkämen, dass die Herstellung ihrer Nahrungsmittel ethisch qualifiziert sei.

Globale Standards - schwer zu fassen

So sind in den letzten 10 Jahren in der Europäischen Union (EU) weit mehr als 400 private, freiwillige Lebensmittelstandards auf dem Markt eingeführt worden. Einige sind initiiert und betrieben von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), andere von Supermarktketten oder dem Agrobusiness. Einige gehen mit Labels einher, aber bei Weitem nicht alle. Wir sprechen hier nur von überbetrieblichen Standards, also nicht von der Unzahl betrieblicher Labels, Markenprodukten oder eindimensionalen Qualitätsversprechungen, wie dem Gütesiegel der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), dem Qualitätssicherungs-System für frische Lebensmittel oder ähnlichen vagen Versprechungen. Sie gehen einher mit einem Verifizierungsmechanismus zum Nachweis der Glaubwürdigkeit, in der Regel eine unabhängige Zertifizierung mittels einer Betriebsprüfung.

Der größte und mächtigste Standard ist GlobalGAP, ein sogenannter "B2B-Standard" (zwischen Unternehmen), der von europäischen Supermarktketten und dem Agrobusiness getragen wird und ursprünglich für europäische Zulieferer entwickelt wurde (EurepGAP). Erst nach und nach erweiterte sich sein Wirkungskreis auch auf den Handel mit tropischen Produkten und den Agrarhandel mit Entwicklungsländern.

Ein koloniales System?

Die Grundsatzfrage dabei ist: Wer definiert, was "nachhaltig" ist? Dabei muss man feststellen, dass erstens die Definitionsmacht in der Hand der Standardinitiativen des Nordens liegt, zweitens die Kriterien von den Wünschen der europäischen und nordamerikanischen VerbraucherInnen abgeleitet sind und drittens den landwirtschaftlichen Verhältnissen der entwickelten Länder folgen. Sie sind eindeutig exportorientiert, ohne Mitbestimmung der ErzeugerInnen oder der Erzeugerstaaten; es handelt sich um eine quasi "koloniale" Fremdbestimmung. Die Standards gehen einher mit hohen Hürden für die KleinerzeugerInnen weltweit, an diesen Märkten teilnehmen zu können. Besonders ressourcenarme, einkommensschwache LandwirtInnen der Entwicklungsländer sind vom Ausschluss bedroht.

Die zaghaften Versuche, das globale System stärker an die regionalen Verhältnisse anzupassen, wie z.B. KenyaGAP oder ThaiGAP, werden von den europäischen AufkäuferInnen nicht wirklich akzeptiert: Warum einen regionalen Standard akzeptieren, den hier kein Mensch kennt; dann doch lieber gleich die Ware einkaufen, die dem global bekannten Standard folgt. Der internationale Agrarmarkt ist ein KäuferInnenmarkt, in dem die Marktmacht eindeutig bei den Supermarktketten liegt; sie allein bestimmen, was geht.

Marktmacht an der Spitze

Der Einzelhandel in Europa ist seit der großen Reform des Lebensmittelrechts der EU 2002 verantwortlich für die gesundheitliche Sicherheit der Lebensmittel, die er in Europa verkauft. Die Standards als internationaler Kontrollmechanismus versuchen die Risiken auf die ErzeugerInnen weltweit abzuwälzen. Dieses streng kontrollierte System dient zudem den Supermarktkonzernen dazu, ihre globalen Lieferketten besser zu managen. Die Standards sind der "Kitt", der die zerstückelten Teile globaler Lieferketten zusammenhalten soll.

Eine deutliche Standarddrift

Vielleicht könnten die entwicklungspolitischen BeobachterInnen sich noch damit trösten, dass es sich nur um den Standard für die Agrarexporte handelt, also der Binnenabsatz davon nicht betroffen ist, und danach nur begrenzte Wirkung hat. Doch dem ist beileibe nicht so. Es ist eine deutliche "Standarddrift" in Entwicklungsländern zu beobachten. Die Exportstandards weiten sich auch auf den anspruchsvolleren Binnenabsatz aus, wie z.B. auf die nationalen Supermärkte in Entwicklungsländern. Nach und nach geben sie eine generelle agrarpolitische Orientierung vor. Die Ausdehnung basiert auf dem kommerziellen Siegeszug des Supermarktmodells auch in Entwicklungsländern. Aber auch die Angst der nationalen PolitikerInnen, dass die eigene Ernährungswirtschaft die nationalen lukrativen Lebensmittelmärkte an die Importkonkurrenz verlieren könnte, bewirkt die politische Unterstützung für die Standardanpassung. Wenn ein Land erst einmal die hohen Anforderungen gesetzlicher und institutioneller Rahmenbedingungen, die für die Standarderfüllung im Exportgeschäft nötig sind, erfüllt hat, wird die standardisierte Landwirtschaft schnell zum Mainstream auch des Binnenmarkts. Was die Entwicklungszusammenarbeit in all den Dekaden nicht geschafft hat, nämlich die Landwirtschaft der armen Länder auf Modernisierungskurs zu trimmen, erfüllen jetzt die Märkte mit Schützenhilfe des europäischen Lebensmittelrechts im Handumdrehen.

Ausschluss von KleinerzeugerInnen

Für landwirtschaftliche KleinerzeugerInnen ist es sehr schwer, die 220 Kontrollpunkte, z.B. von GlobalGAP im Gemüsebereich, zu erfüllen. Dazu kommen noch viele anspruchsvolle Voraussetzungen, um überhaupt als potentieller Lieferbetrieb gelistet werden zu können. Die Kosten der Zertifizierung selbst, die der Betrieb zu tragen hat, sind vielleicht noch das Wenigste, obwohl schon sehr hoch. Die umfangreichen Dokumentierungspflichten aller Betriebsabläufe sind für halb-alphabetisierte Bäuerinnen und Bauern die größte Hürde. Die Auflagen sind einem Methodengefüge der Landwirtschaft entliehen, das sich von traditionellen Anbaumethoden teilweise stark unterscheidet und sie auf einen Kurs einer agrarchemischen Modernisierungsstrategie festlegt. Teilweise machen die Auflagen für tropische Armutsverhältnisse einfach keinen Sinn.

Duale Agrarentwicklung

Deswegen geht mit den globalen Standardprogrammen eine Tendenz der Dualisierung der Landwirtschaften des Südens einher: Ein kleiner, aber sich stark ausdehnender Sektor einer zertifizierten, weltmarktorientierten Landwirtschaft und die Masse der Kleinbäuerinnen und -bauern müssen auf "informellen Binnenmärkten" ihr Auskommen fristen. Diese vernachlässigten informellen Märkte sind so gut wie gar nicht reguliert, die hygienischen Bedingungen von den Straßenmärkten sind katastrophal und die Intransparenz führt zu Schummelei und Betrug. Dabei werden auf diesen Märkten der armen ErzeugerInnen die Nahrungsmittel für die armen VerbraucherInnen getauscht; ginge es um Ernährungssicherheit, müsste hier angesetzt werden.

Die etwas anderen Standards

2 Siegelbereiche sind allerdings von der Kritik ausgenommen: Fairtrade und biologische Landwirtschaft. Was sie von den anderen globalen Standards unterscheidet, ist die Möglichkeit der Mitbestimmung durch die ProduzentInnen, auch in Entwicklungsländern. Fairtrade und Biolandwirtschaft werden begleitet von zivilgesellschaftlichen Bewegungen, denen es nicht nur um ein Geschäft geht, sie wollen eine wirkliche Transformation in ihrem Bereich: Den Welthandel insgesamt fairer machen oder die Landwirtschaft weltweit ökologisch umkrempeln. Diese Bewegungen beobachten kritisch, was sich im Geschäftsbereich der Labels tut und mahnen eventuell Korrekturen an.

Die Politik muss sich ändern

Diese eher kritische Einschätzung von Lebensmittelstandards lässt keine Schlussfolgerung für das Verhalten der KonsumentInnen in Europa zu. Die Handlungsebene ist ausschließlich eine politische. Zum einen muss die Entwicklungspolitik ihre Vergötterung der globalen Wertschöpfungsketten zugunsten binnenmarktorientierter Lebensmittelvermarktung aufgeben. Zum anderen brauchen wir in Europa dringend einen Rechtsrahmen, der das Operieren von privaten Standards regelt und die Standards einer Registrierung und Bewertung unterwirft.


Autor Rudolf Buntzel ist promovierter Volkswirt und Agrarökonom mit Schwerpunkt auf globaler Landwirtschaft und Entwicklungsländern. Zusammen mit Francisco Mari hat er das Buch 'Gutes Essen - Arme Erzeuger. Wie die Agrarwirtschaft mit Hilfe von Standards die internationalen Lebensmittelmärkte beherrscht' (2016) geschrieben.

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Quelle:
Rundbrief 4/2016, Seite 8 - 9
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
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Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. März 2017

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