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MARKT/2157: Klasse statt Masse ist keine Utopie (PROVIEH)


PROVIEH Magazin 4/2015
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Klasse statt Masse ist keine Utopie

von Sabine Ohm


Überall in Deutschland werden Fleisch und Milchprodukte als Billigware zu Schleuderpreisen angeboten. Die heimischen Erzeuger bekommen oft keine kostendeckenden Preise. Gleichzeitig steigt der Druck auf alle Tierhalter durch höhere gesellschaftliche Anforderungen an Tier- und Umweltschutz.

Strengere Gesetze und Kontrollen allein bringen in dieser Situation für das Tierwohl aber nichts, sondern nur eine Abwanderung der Erzeugung ins Ausland. Tierische Erzeugnisse zu importieren, ist auch keine Lösung, denn anderswo herrschen meist noch schlechtere Haltungsbedingungen als bei uns.

Aber wie können Gesetzesverstöße, zum Beispiel das gängige Schwanzkupieren bei Schweinen, abgestellt werden, geschweige denn eine artgerechte Tierhaltung umgesetzt werden, wenn die Tierhalter kein Geld für die notwendigen Tierwohlmaßnahmen bekommen?

Die Preise fallen immer tiefer, weil immer mehr produziert wird. Das Überangebot entsteht auch durch eine zunehmende Öffnung der Europäischen Union gegenüber dem Weltmarkt mit neuen internationalen Handelsabkommen und durch einen massiven, staatlich subventionierten Ausbau industrieller Großanlagen in einigen EU-Ländern. Die Spanier steigerten beispielsweise ihre Schweinefleischexporte im ersten Halbjahr 2015 um 12 Prozent. Die spanischen Erzeuger profitieren zusätzlich von niedrigeren Löhnen und einer laxeren Handhabung der Tierschutzvorschriften. Über den Verzicht auf das Ringelschwanzkupieren bei Schweinen wird dort noch nicht einmal nachgedacht.

PROVIEH arbeitet seit Jahren an praktikablen Lösungen wie der Initiative Tierwohl, damit künftig tier- und umweltfreundliche Tierhaltung in Deutschland möglich ist. Einiges haben wir schon erreicht, aber es muss noch mehr geschehen, wie auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats eindrücklich belegt (siehe Heft 2/2015). PROVIEH schlägt deshalb im Folgenden vier sich ergänzende Maßnahmen vor.


1. Umfassende Ursprungslandkennzeichnung

Wir brauchen eine umfassende Ursprungslandkennzeichnung für alle tierischen Erzeugnisse. Die wäre leicht umsetzbar. Die Schlachtunternehmen müssen sowieso immer die Herkunft aller ausgelieferten Waren angeben, weil diese später noch verpackt werden könnten. Bisher gilt eine gesetzliche Ursprungslandkennzeichnungspflicht nur für Eier und Rindfleisch (seit 2004 bzw. 2001) Seit April 2015 müssen auch Mast- und Schlachtland auf verpacktem frischem oder gefrorenem Schweine-, Lamm- und Geflügelfleisch angegeben werden - nicht aber bei Milch und Milchprodukten, Hackfleisch, Wurst, Schinken und anderer Verarbeitungsware.

Das mittelständische deutsche Unternehmen FRoSTA kennzeichnet seit Mitte 2015 freiwillig den Ursprung aller Hauptzutaten. Das kostet sie nach eigenen Angaben jeweils nur wenige Cent. Damit straft das Unternehmen die EU-Kommission Lügen, die behauptet, eine solche umfassende Kennzeichnung wäre viel zu teuer. Eine klare Kennzeichnung würde den intransparenten Handel mit Billigfleisch-Chargen dubioser Herkunft verhindern.


2. Aufstockung der ITW

Billigimporte konterkarieren auch die von PROVIEH mitkonzipierte freiwillige Brancheninitiative "Initiative Tierwohl" (ITW). Einige Handelsunternehmen zahlen über einen Tierwohlfonds seit 2015 Tierwohl-Boni an insgesamt 3000 geflügel- und schweinehaltende Betriebe. Sie rühmen sich in Werbeprospekten ihres Engagements für das Tierwohl, drücken aber gleichzeitig in Einkaufsverhandlungen kräftig die Erzeugerpreise. Andere Unternehmen der Branche verweigern sich ganz, zum Beispiel die Metzger und der Großhandel (Metro etc.).

Insgesamt wird viel zu wenig Geld bereitgestellt, um alle für die ITW angemeldeten Betriebe aufzunehmen und mehr Tierwohlmaßnahmen wie die Ringelschwanzprämie zu finanzieren. Eine Erhöhung ihrer Beiträge zum Fonds verweigern die Teilnehmer bisher aber hartnäckig. PROVIEH fordert eine sofortige Aufstockung des Tierwohlfonds, damit alle Betriebe auf der Warteliste in die ITW aufgenommen werden und weitere folgen können (siehe Heft 2/2015).


3. Haltungskennzeichnung

Deutschland sollte - unabhängig von der EU - auch die Kennzeichnung nach Haltungssystem für alle tierischen Erzeugnisse verpflichtend einführen. Als Vorbild gilt die Eierkennzeichnung mit dem Zahlencode, die leicht angepasst werden kann: "0" stünde für Bio, die "1" für Zugang zum Freien, die "2" für mehr Platz und eine strukturierte Haltungsumwelt und die "3" für nach gesetzlichem Mindeststandard produzierte Ware (vgl. Heft 3/2015). Natürlich ist ein Haltungssystem noch keine Garantie für Tierwohl im Stall, das auch entscheidend vom Management abhängt. Es wäre aber Aufgabe der staatlichen und privaten Zertifizierungsunternehmen, endlich mit tierschutzwidrigen Verhältnissen konsequent aufzuräumen. Und die Verbraucher könnten beim Einkauf endlich zeigen, welche Erzeugungsform sie bevorzugen - wie bei den Eiern, wo sich zeigte, wie erfolgreich die Kennzeichnungspflicht ist: Käfigeier wurden vom Handel inzwischen weitgehend ausgelistet und der Anteil von Bioeiern in Deutschland stieg zwischen 2010 und 2013 um 30 Prozent, so dass im Jahr 2013, zehn Jahre nach Einführung der Kennzeichnungspflicht, hierzulande statt drei Viertel nur noch 12,5 Prozent der Hennen in Käfighaltung lebten.


4. Tierwohlabgabe

Angesichts der begrenzten Reichweite der ITW und dem hohen Nachbesserungsbedarf in Sachen Tierwohl bei allen Nutztierarten, fordert PROVIEH vom Gesetzgeber die Einführung einer staatlichen Tierwohlabgabe. Sie sollte auf alle konventionellen tierischen Erzeugnisse aus dem In- und Ausland, die in Deutschland verkauft werden, erhoben werden. Eine solche steuerähnliche Abgabe kann mit dem im Grundgesetz verankerten Staatsziel Tierschutz und mit den teilweise hohen Kosten begründet werden, die der Allgemeinheit zum Beispiel wegen der Trinkwasserverunreinigung durch Nitratbelastung aus Gülle entstehen.

Wie beim "Erneuerbare-Energien-Gesetz", mit dessen Hilfe seit der Jahrtausendwende der Umbau unserer Energiewirtschaft vorangetrieben wird, könnten durch eine solche Abgabe tier- und umweltgerechte Haltungsbedingungen staatlich auf breiter Basis gefördert werden.


Unsere Zukunftsvision

So könnte in Deutschland künftig Klasse statt Masse produziert werden. Wir sind im internationalen Vergleich ein rohstoffarmes Hochlohnland mit hohen Futter-, Boden- und Energiepreisen sowie relativ strengen Arbeits-, Umwelt- und Tierschutzstandards. Das macht tierische Erzeugung in Deutschland vergleichsweise teuer. Wir können erfahrungsgemäß weder im Inland noch auf dem Weltmarkt mit billig produzierter, ausländischer Massenware konkurrieren.

Tierische Erzeugnisse "Made in Germany" können und müssen deshalb künftig anders gefördert, produziert und vermarktet werden. Dazu brauchen wir besondere Qualitätsmerkmale, darunter hohe Tierwohlstandards und weitgehende Antibiotikafreiheit. Sonst gibt es in fünf bis zehn Jahren wohl vorwiegend tierische Erzeugnisse von im Ausland unter fragwürdigen Zuständen gehaltenen und geschlachteten Tieren.

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Quelle:
PROVIEH Magazin 4/2015, Seite 36-38
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2016

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