Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → ERNÄHRUNG

MARKT/1955: Hohe Weltmarktpreise - Fluch und Segen für ärmere Länder (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 356 - Juni 2012
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Fluch und Segen für ärmere Länder
Hohe Weltmarktpreise können Krisen auslösen, aber auch bäuerliche Entwicklung fördern

von Stig Tanzmann



Ein Blick auf den aktuellen FAO World Food Price Index zeigt, die Weltmarktpreise stehen wieder im Zenit. Für Lebensmittel lagen sie in den ersten vier Monaten 2012 sogar über denen von 2008. Eben das Jahr mit dem enormen Preishoch weltweit, das auch dadurch in Erinnerung geblieben ist, weil in ärmeren Ländern Ernährungskrisen ausgebrochen sind. Es bleibt abzuwarten, ob die Preise in den nächsten Jahren tatsächlich wieder auf ein für viele Produzenten schwieriges niedriges auf ein dauerhaftes ruinöses Niveau einsacken, wie etwa vor 2008.


Preisschwankungen als Bedrohung

Letztlich stehen dem die weiter steigende Weltbevölkerung und die damit steigende Nachfrage nach Lebensmitteln, der hohe Bedarf an Agrartreibstoffen, der Klimawandel und die zu Recht viel gescholtene Spekulation entgegen. Somit ist langfristig mit einem höheren Preisniveau zu rechen, als in den letzten Jahrzehnten. Gleichzeitig ist aber auch mit einer steigenden Volatilität zu rechen, wie der starke Preiseinbruch 2009 gezeigt hat. Gerade diese recht plötzlichen, dennoch mit existenz-zerstörerischen Preisstürzekurven nach unten, wie sie sich derzeit auch wieder am Milchmarkt abzeichnen, können für bäuerliche Betriebe schnell existenzbedrohend werden.


Importe werden unbezahlbar

Für die afrikanischen Staaten bedeutet diese Entwicklung, sich auf eine neue Situation einzustellen. Sie müssen die eigenen Politikmodelle in der Landwirtschaft hinterfragen, denn die Hochpreissituation bietet Risiken und Chancen. Am Beispiel Senegal lassen sich die Probleme aufzeigen. Im Jahr 2000 importierte Senegal 232.000 Tonnen Weizen und Mehl für 34,5 Millionen Euro. 2008 waren es schon 373.000 Tonnen für den Preis von 166 Millionen Euro, bei weiter steigendem Importbedarf. Andere Produkte sind gar nicht erst eingerechnet. All diese Millionen Euro gehen dem Land und insbesondere den Bäuerinnen und Bauern verloren. Langfristig sind die hohen Importausgaben für Nahrungsmittel für den Senegal nicht zu finanzieren.


Eigene Stärken erkennen

Die Bäuerinnen und Bauern sowie die Verbraucher stellen jetzt immer häufiger die Frage, warum Senegal so viel Weizen importiert, anstatt auf lokale Produkte zu setzen? Denn Weizen wächst dort kaum und gehörte früher nicht zu den dortigen Grundnahrungsmitteln. Hier setzt langsam eine dringend notwendige Umorientierung ein. Die lokale Produktion wird wieder stärker geschätzt.

Gleiches gilt für Kamerun. Dort setzt sich eine Partnerorganisation des evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) dafür ein, dass dem Weißbrot, einem Erbe aus der Kolonialzeit, mehr Mehl aus lokalen Produkten wie Maniok, Mais und Hirse beigemischt wird, um den Importbedarf an Weizen zu reduzieren. Im vergangenen Jahr gab es in Kamerun sogar zum ersten Mal eine landwirtschaftliche Messe, auf der nur heimisch produzierte Produkte präsentiert werden durften. Importeure hatten keinen Zutritt.


Keine Investitionssicherheit

All dies spricht für eine Stärkung der lokalen Grundnahrungsproduktion. Es hatte sich schon 2008 gezeigt, dass viele Bäuerinnen und Bauern bereit sind, wieder mehr für den lokalen Markt zu produzieren und zu investieren, wenn die Preise stimmen. Leider wurden sie bereits im Folgejahr von den drastischen Preiseinbrüchen massiv bestraft. Hier haben sich u.a. die von den Spekulanten verursachten volatilen Preise als Gift für die Investitionen der Kleinbauern erwiesen. Letztlich machen die hohen Preise für viele Produzenten den Einstieg in die Produktion für die lokalen und regionalen Märkte erst wieder attraktiv. Hier liegt eine große Chance für eine Renaissance der afrikanischen Landwirtschaft. Gleichzeitig ist die stärkere Produktion für den eigenen Markt auch zwingend notwendig, denn wie die Zahlen aus dem Senegal zeigen, ist es zu teuer geworden, Grundnahrungsmittel auf dem Weltmarkt zu kaufen. Hier liegt dann auch das größte Risiko für die Entwicklungsländer. Gelingt es in den nächsten Jahren nicht, die Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten stark zu reduzieren, droht vielen von ihnen eine Verstärkung von Armut und Hunger.


Regionale Ausrichtung

Eine große Gefahr besteht aber darin, dass eben wegen einer positiven Preisentwicklung auf schnelle und hohe Erträge versprechende Produktionsmethoden gesetzt wird. Diese energieintensiven Ansätze der Grünen Revolution für Afrika bieten für Afrika keinen Weg aus der Ernährungskrise. Denn der stark gestiegene und weiter steigende Ölpreis zieht kontinuierlich an und wird wie auch schon in den letzten Jahren die Nahrungsmittelpreise beeinflussen bzw. verteuern und die Einnahmen der Produzenten reduzieren. Nur wenn frühzeitig auf agrarökologische Ansätze gebaut wird und die lokalen Vermarktungs- und Lagerungsstrukturen gestärkt werden, kann sich die Ernährungssituation entspannen und Bäuerinnen und Bauern haben die Chance, von den hohen Preisen zu profitieren. Damit diese Chancen genutzt werden können, müssen dringend die politischen Rahmenbedingungen verändert werden. In Afrika muss das länderübergreifende Programm "CAADP" (Comprehensive Africa Agriculture Development Programme) viel stärker an den Erkenntnissen des Weltagrarberichts orientiert werden. Dies bedeutet vor allem, agrar-ökologische Anbaumethoden zu fördern, statt auf erdölbasierte Ansätze zu setzen. Gleichzeitig muss das sogenannte "Maputo Versprechen", dem sich alle afrikanischen Staaten verpflichtet haben, umgesetzt werden. Das heißt, mindestens zehn Prozent des nationalen Budgets sind für landwirtschaftliche Belange auszugeben. Ganz wichtig ist es aber auch, die lokale Produktion dauerhaft vor Billigimporten zu schützen und dennoch einen ausgleichenden Umgang mit den zurzeit notwendigen Importen zu finden, so dass sie die lokale Produktion stimulieren und nicht wie bisher erdrücken.


Europäische Verantwortung

Hier kommt auch die Reform der europäischen Agrarpolitik ins Spiel. Diese geht im Bereich "Greening" erste zaghafte Schritte in die richtige Richtung. Eine Antwort auf die Peak-Oil Frage ist dennoch in den aktuellen Vorschlägen noch lange nicht ausreichend formuliert. Die internationale Verantwortung ist in der GAP bisher noch sehr schwach verankert. Es wird weiter auf Exportorientierung gesetzt und die Ernährungskrise wird vornehmlich als Chance für mehr Exporte gesehen, denn als Herausforderung für mehr Kooperation und Verteilungsgerechtigkeit. Hier wartet noch viel politische Überzeugungsarbeit.

Stig Tanzmann, Agrarexperte beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED)

*

Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 356 - Juni 2012, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de
 
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,30 Euro
Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2012