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LANDWIRTSCHAFT/1550: Schweine-Mastställe von Tierschutzlabel "light" in der Kritik (AbL Ni)


Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. - Landesverband Niedersachsen
Pressemitteilung vom 4. Februar 2013

Schweine-Mastställe von Tierschutzlabel "light" in der Kritik



Vor dem Hintergrund einer kritischen ARD-Report-Sendung zum neuen Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbunds und des VION-Fleischkonzerns bei Mastschweinen hat die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) dringlich davor gewarnt, mit "Tierschutzsiegeln light" falsche Verbrauchererwartungen zu wecken. Dies könne zu erheblichen Vertrauensverlusten in solche Siegel insgesamt und zu einer Enttäuschung bei beteiligten engagierten Landwirten führen und sogar den gesamten Nutztierschutz beeinträchtigen. Die AbL äußerte zwar Verständnis für das Bestreben des Tierschutzbunds, über eine "Einstiegsstufe" einen breiteren Nutztierschutz zu ermöglichen - im Interesse des Verbrauchervertrauens sei jetzt aber dringend eine grundlegende Verbesserung dieser Label-Kriterien bei Mastschweinen geboten.

Die Sendung "Report Mainz" werde am Dienstag nicht nur über einzelne höchst kritikwürdige Zustände berichten, sondern auch die geringen Standards in der "Einstiegsstufe" des Siegels kritisieren, die vom Deutschen Tierschutzbund mit einem silbernen "Tierschutzstern" zertifiziert würden. Nach allen Erfahrungen reiche es nicht aus, den Tieren etwas mehr Platz zu geben und bei Weiterbestehen des Spaltenbodens lediglich eine Gummimatte auf einen besser belüfteten Liegeplatz zu legen. Dadurch könnten Klauenverletzungen auf den Spaltenböden und Lungenschäden durch die Gülle unter den Spalten nicht beseitigt werden und vor allem auch nicht das Schwanzbeißen der haltungsgestressten Mastschweine.

Trotz eindeutiger Vorgaben der EU, die das Abschneiden (Kupieren) der Ringelschwänze untersagten, werde dies in Deutschland über so genannte "Ausnahmegenehmigungen" weiter bei ca. 90% der Schweine so praktiziert. Man wolle so den Umbau auf eine artgerechte Tierhaltung mit Stroh vermeiden. Schweine bräuchten aber einen festen Boden mit Stroheinstreu zum stressfreien Wühlen und Spielen. Bei den modernen und arbeitsrationellen Strohhaltungssystemen von Bioverbänden (wie Bioland oder Demeter) und konventionellen Programmen wie "Neuland" komme ein begrenzter Auslauf dazu, damit die Tiere draußen "ihr Geschäft erledigten" und der Stall selbst trocken bleibe. Bei diesen mit dem Zweistern-"Goldlabel" zertifizierten Programmen bleibe der Ringelschwanz als sichtbares Zeichen für das Wohlbefinden der Tiere dran.

Es sei dagegen kaum vermittelbar, dass das "Einstiegsstufen"-Tierschutzlabel in einer zweijährigen Übergangszeit sogar das Kupieren der Schwänze erlaube und damit noch hinter die EU-Vorgaben zurückfalle. Die EU-Richtlinie verlange auch ausdrücklich den Zugang der Schweine zu Stroh als Einstreu - die Metallröhre in den gelabelten Ställen, aus der die Tiere sich gepresste Strohtabletten zum Kauen ziehen könnten, erfülle diese Vorgabe nicht. Wenig nachvollziehbar sei auch, dass das Einstiegs-Label nicht einmal Reduktions-Vorgaben hinsichtlich der Antibiotika mache und gentechnikfreies Futter erst nach 3 Jahren vorschreiben wolle.

Ein solches "Tierschutzsiegel light", so die AbL, nütze bäuerlichen Betrieben nicht, sondern schade ihnen sogar. Bio- und Neulandbauern befürchteten zu Recht, dass die Konkurrenz des Billig-Siegels ihren Absatz und ihre Standards gefährde. Die am Label-Programm beteiligten, bisher nur 15 Betriebe bekämen zwar den Umbau der Ställe gefördert, aber keine kostendeckenden Erzeugerpreise. Die Mäster würden durch dieses Programm zudem an den VION-Konzern gebunden, der vom ISN-Schweinehalter-Verband seit längerem wegen seiner Preisdrückerei heftig angeprangert werde. Der in die Krise geratene VION-Konzern wolle sich offensichtlich mit seiner minimalen "Billigtierschutz-Marketingblase" vor allem ein besseres Image verschaffen.

Deutliche Kritik äußerte die AbL auch an der viel zu hohen Obergrenze des Labels. Erlaubt seien Ställe bis zu 3.000 Schweinen - während bei der Novellierung des BundesBauGesetzbuchs eine Obergrenze schon bei 1.500 Mastplätzen debattiert werde. Eine futterflächen-gebundene und artgerechte Tierhaltung ohne Antibiotika-Abhängigkeit könnten nur Bauernhöfe umsetzen. Nur eine klare Abgrenzung zu Agrarfabriken könne verhindern, dass weiterhin mittelständisch-bäuerliche Betriebe durch die ruinöse Überschussproduktion von weiteren Großmastanlagen vom Markt verdrängt würden. Dies entspreche auch der Forderung des bundesweiten Netzwerks "Bauernhöfe statt Agrarfabriken", dem der Tierschutzbund beigetreten sei und das auf ein EU-weites Verbot von Agrarfabriken und Stresshaltung dränge. Es wäre fatal, so die AbL, wenn sich Bürgerinitiativen besorgter Anwohner auch gegen Großställe des Tierschutz-Labels richten müssten.

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Position der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) zu Tierschutz- oder Tierwohl-Labeln in der Schweinehaltung

Tierschutzlabel auf nationaler oder auch internationaler Ebene können Verbrauchern mehr Sicherheit beim Kauf von Produkten bieten, die aus artgerechter Tierhaltung stammen. Deshalb sind Initiativen zu solchen Labeln zu unterstützen - insbesondere solange es auf EU- und Bundesebene eher Blockaden bei der Einführung gesetzlicher Siegel gibt.

Allerdings können Positiv-Kennzeichnungen eine umfassende Deklaration nicht ersetzen, die - nach dem Vorbild von Schaleneiern - auch nicht artgerechte Tierhaltungsformen (Käfighaltung) klar kenntlich machen. Eine solche verbindliche Deklaration fehlt derzeit vor allem bei Produkten mit Verarbeitungseiern als auch bei Fleisch. Eine wirklich artgerechte Tierhaltung kann man schon heute durch die Siegel bestimmter Bio-Verbände (wie Demeter oder Bioland) erkennen, ebenso durch Siegel im konventionellen Bereich wie z.B. Neuland oder Thönes-Natur. Diese Siegel sind von Bauern und auch Tierschützern (u.a. dem Deutschen Tierschutzbund) sorgsam erarbeitet worden. Sie sind beileibe keine Luxusprogramme, sondern ein Mindest-Kompromiß zwischen Tierschutz und Wirtschaftlichkeit. Diese Betriebe praktizieren bspw. einen - wenn auch begrenzten - Auslauf für die Tiere und moderne rationelle Strohhaltungs-Systeme - denn eine artgerechte Tierhaltung funktioniert nicht ohne Stroh zum Wühlen und Spielen. Jeder Kompromiss unterhalb dieses Niveaus muss erhebliche und kaum vermittelbare Abstriche beim Tierschutz machen.

Das bundesweite "Netzwerk Bauernhöfe statt Agrarfabriken" von mittlerweile 200 Bürgerinitiativen und Verbänden als stärkster Ausdruck einer starken gesellschaftlichen Bewegung verhindert derzeit nicht nur Tierfabriken vor Ort, sondern hat bereits durch seinen starken politischen Druck gesetzliche Veränderungen bewirkt. Die Novelle des Bundes-Bau-Gesetzbuchs und der Niedersächsische Tierschutzplan werden - bei Aufrechterhaltung des politischen Drucks - zu einer Begrenzung des Baus von Agrarfabriken und zu neuen Vorgaben der Tierhaltung führen.

Nur ordnungsrechtliche Vorschriften können EU-weit eine flächenbundene, artgerechte Tierhaltung ohne Antibiotika-Abhängigkeit in mittelständisch-bäuerlichen Strukturen ohne Wettbewerbsverzerrungen und konkurrierenden Preisdruck gewährleisten. Nur die dadurch zu erreichenden fairen Erzeugerpreise auch im konventionelleln Bereich können Bio- oder Neuland-Programme vom Billigpreis-Druck befreien. Tierschutzsiegel können und müssen diese Entwicklungen und Bewegungen unterstützen und verstärken - dürfen aber keinesfalls dahinter zurückfallen. Etliche der neu vorgestellten Tierwohl-Label erfüllen diese Anforderung nicht oder nur unzureichend. Dies gilt auch für das Tierschutz-Label des Deutschen Tierschutzbundes, das derzeit in Kooperation mit dem VION-Fleischkonzern umgesetzt werden soll.

Das Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbunds verlangt für die so genannte "Einstiegsstufe" bei Mastschweinen (ausgelobt mit einem Silberstern)

  • ein Drittel mehr Platzangebot,
  • neben dem weiter bestehenden Spaltenboden einen befestigten und belüfteten Liegebereich mit "Minimaleinstreu" oder einer weichen Matte (2 Jahre Übergangszeit),
  • einen "Beschäftigungsautomaten" mit Stroh,
  • Luftkühlung oder Wasservernebelung,
  • eine "Strukturierung der Bucht",
  • ein Verbot des Schwänzekürzens (aber erst nach 2 Jahren),
  • das Verbot der betäubungslosen Kastration,
  • eine Transportdauer von maximal 4 Stunden,
  • eine sichere Betäubung am Schlachthof,
  • "tierbezogene Kriterien im Betrieb und auf dem Schlachthof",
  • die Verfütterung von gentechnisch unveränderten Futtermitteln (aber erst nach 3 Jahren),
  • eine Bestandsobergrenze von 3000 Mastplätzen.

Die sofort und nicht erst nach 2018 vorgeschriebene betäubungslose Kastration, die Begrenzung der Transportdauer und die sichere Betäubung am Schlachthof sind zu begrüßen. Eine artgerechte Tierhaltung gewährleistet dieses Programm dennoch nicht.

Die AbL drängt aus folgenden Gründen massiv auf rasche und gravierende Änderungen und Verbesserungen an diesem Programm:

1. Hinter dem VION-Tierschutzlabel steht keine wirklich artgerechte Schweinehaltung

Derzeit werden den Schweinen die Ringelschwänze abgeschnitten, weil sie sich sonst unter den Stressbedingungen gegenseitig die Schwänze abbeißen. Eine EU-Richtlinie hat dieses Kupieren bereits vor 9 Jahren untersagt und setzt jetzt die EU-Mitgliedsstaaten unter Druck, diese Richtlinie umzusetzen. Wenn man den Schweinen die Ringelschwänze nicht mehr abschneiden darf, muss man die Tiere artgerecht und ohne Stress halten.

Dazu gehört nicht nur mit etwas mehr Platz wie im VION-Programm, sondern unbedingt auch Stroheinstreu zum Wühlen und ein begrenzter Auslauf. Spaltenböden über den Gülle-Kanälen führen zu Klauenverletzungen und Lungenschäden. Bei festem Boden und Stroheinstreu gibt es diese Probleme nicht. Bei Neuland bleibt das Stroh im Stall sauber, weil die Tiere einen begrenzten Auslauf haben und draußen koten und urinieren. Beim VION-Programm wird selbst das angestrebte Management einer trockenen Liegefläche bei benachbartem Spaltenboden nur einem Teil der Betriebe gelingen. Ein Drittel mehr Platz, eine andere Lüftungsführung und eine Gummimatte auf den Spaltenböden im Liegebereich der Tiere werden den Stress der Tiere und damit das Schwänzebeißen definitiv nicht abstellen können.

Auch die EU-Schweinehaltungs-Richtlinie verlangt ja ausdrücklich auch den Zugang der Schweine zu Stroh - als Einstreu. Eine Metallröhre, aus der die Tiere ab und an eine gepresste Strohtablette ziehen können, ist kein "Zugang zu Stroh".

Der Tierschutzplan des Landes Niedersachsen hat das Ziel gesetzt, dieses Schwänze-Kupieren bis 2016 zu beenden. Die EU-Richtlinie untersagt dies seit 9 Jahren. Zumindest in der zweijährigen Übergangszeit (ohne Kupierverbot) fällt das Tierschutzsiegel also hinter die EU-Vorgaben zurück.

2. Das Tierschutzsiegel nützt bäuerlichen Betrieben nicht und schadet ihnen sogar

Bauern in Bioverbänden (wie Bioland oder Demeter) oder Neuland-Bauern halten ihre Tiere nach klaren Tierschutz-Standards, die der Deutsche Tierschutzbund mit entwickelt hat. Viele dieser Bauern befürchten zu Recht, dass die Konkurrenz des Billig-Tierschutz-Siegels ihren Absatz gefährdet, wenn Kunden im Vertrauen auf das neue Siegel billiger einkaufen wollen.

Die Erzeugerpreise für Schweinehalter liegen seit vielen Jahren unterhalb der Kosten. Auch die Teilnehmer am Tierschutz-Siegel-Programm erzielen keine Gewinne, weil sie ja höhere Kosten haben und ihnen nur diese höheren Kosten erstattet werden. Dies ist der Hauptgrund, weshalb nur 15 Betriebe am Tierschutz-Siegel-Programm teilnehmen. Diese Betriebe werden zudem vollständig an den VION-Schlachtkonzern gebunden. Der Verband der deutschen Schweinehalter (ISN) prangert gerade aktuell die VION-Preisdrückerei gegenüber den Schweinehaltern an. Der in die Krise geratene und auch wegen Werkvertrags-Lohndrückerei kritisierte VION-Konzern will sich offensichtlich mit einer "Tierschutz"-Marketingblase ein besseres Image verpassen.

Das Tierschutzsiegel zieht Obergrenzen erst bei 3.000 Mastschweinen - also in einer Dimension, die bisher nur von einer absoluten Minderheit von wachsenden agrarindustriellen Schweinehaltungsbetrieben praktiziert wird. Vor allem diese gefährden die Akzeptanz der Landwirtschaft bei Anwohnern und in der Gesellschaft und sorgen zudem mit ihrer massiven Überschussproduktion für den ruinösen Verfall der Schweinepreise und somit für die Verdrängung vieler bäuerlicher Schweinehalter. Eine artgerechte Tierhaltung mit Stroh und begrenztem Auslauf ist kaum in agrarindustriellen Dimensionen möglich und nur in bäuerlichen Strukturen wirklich praktikabel. Nicht ohne Grund haben die Trägerverbände von Neuland (AbL, BUND und Tierschutzbund) deutlich niedrigere Bestandsobergrenzen verankert.

Diese Regelung des Labels ist deshalb kontraproduktiv und schädlich - gerade in einer Zeit, da der Bundestag bei der Novelle zum BBGB darüber diskutiert, dass die Gemeinden Ställe schon ab 1.500 Mastplätzen verhindern können - auch wegen der Immissionsbelastung der Anwohner und der Umwelt. Bei diesen Größenordnungen wird es Bürgerinitiativen gegen Ställe des Tierschutzsiegels geben.

3. Die "Übergangszeiten" des Tierschutzsiegels sind nicht nachvollziehbar

Das Tierschutzsiegel verlangt erst nach 3 Jahren gentechnikfreies Futter und erst in zwei Jahren die Beendigung des Schwanz-Kupierens. Dies ist nicht nachvollziehbar, weil die Bio-Betriebe und viele konventionelle Betriebe bereits ganz bewusst gentechnikfreies Futter kaufen und verfüttern. Eine Schweinehaltung ohne Schwanzkupieren ist sofort möglich, wenn man die Illusion einer strohlosen Haltung aufgibt. Dass es bezeichnenderweise auch keine Begrenzung beim Antibiotika-Einsatz im Tierschutzlabel gibt, ist auf diesem Umstand zurückzuführen.

Die in der "Übergangszeit" zu erwartenden Misstände oder sogar Skandale gefährden nicht nur die Akzeptanz aller anderen oder künftigen Tierschutzsiegel, sondern sogar generell das Vertrauen in einer artgerechte Tierhaltung

4. Für ein wirkliches und unterstützendes Tierschutzsiegel!

Das "Netzwerk Bauernhöfe statt Agrarfabriken", dem der Deutsche Tierschutzbund ja auch beigetreten ist, setzt bewusst auf ein baldiges Verbot der Stress- und Qualhaltung - und auf Ställe mit Stroh und begrenztem Auslauf. Ein Tierschutzsiegel sollte dies unterstützen und nicht dahinter zurückbleiben.

Der Gold- bzw. Zweisterne-Standard des Tierschutzsiegels (Bio bzw. Neuland) darf nicht durch ein "Billig-Einstiegs-Siegel" gefährdet werden.

Der Wunsch der Deutschen Tierschutzbunds nach einem Einstiegs-Siegel für mehr und billigeren Tierschutz ist ehrenwert und durchaus nachvollziehbar - aber das vorliegende Siegel kann diesen Anspruch nicht einlösen. Billig-Tierschutz bzw. Tierschutz-light ist in der Schweinehaltung ganz offensichtlich nicht praktikabel und sogar kontraproduktiv.

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Quelle:
Pressemitteilung vom 04.02.2013
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V.
Landesverband Niedersachsen/Bremen
Pressesprecher: Eckehard Niemann
Varendorferstr. 24, 29553 Bienenbüttel
Telefon: 0151 - 11 20 16 34
E-Mail: eckehard.niemann@freenet.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2013