Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → ERNÄHRUNG


INTERNATIONAL/0171: In Polen etwas Neues - Direktverkauf landwirtschaftlicher Produkte (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2016

Gutes Essen - schlechtes Essen
Strukturwandel wohin?

In Polen etwas Neues
Änderungen im Direktverkauf von landwirtschaftlichen Produkten

von Waldemar Fortuna


Nach über 5 Jahren Kampf um die rechtlichen Vorschriften, die den Verkauf ab Hof erleichtern sollen, gibt es endlich eine gute Nachricht: Das polnische Parlament hat am 16. November 2016 mit großer Mehrheit ein Gesetz gebilligt, das den Bäuerinnen und Bauern den Direktverkauf eigener Lebensmittel erleichtert. Die Vorschriften treten ab 1. Januar 2017 in Kraft. Die Bauern- und Verbraucherorganisationen haben einen Sieg errungen.

Polen hat 38,5 Millionen EinwohnerInnen. Fast 40 Prozent der Bevölkerung wohnt auf dem Land. 98,4 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe sind private Familienhöfe. Der durchschnittliche polnische Hof ist 10,4 Hektar groß. Betriebe mit einer Fläche von über 50 Hektar machen nur ein Drittel der polnischen Höfe aus, während dieser Anteil in vielen Ländern der Europäischen Union (EU) 80 bis 90 Prozent beträgt. Die meisten Betriebe sind klein, fast die Hälfte von ihnen bewirtschaftet weniger als 5 Hektar.

Familienbetriebe sind die Grundlage einer gesunden Gesellschaft, in welcher die Lebensmittel im Einklang mit der Natur hergestellt werden. Auch das Komitee für Ernährungssicherheit der Vereinten Nationen, das im Juni 2015 in Rom tagte, weist in seinem Abschlussdokument ausdrücklich darauf hin, dass die Kleinbäuerinnen und Kleinhersteller einen leichteren Zugang zu den Märkten haben sollten. Leider wollten die rechtschaffenden polnischen BeamtInnen und PolitikerInnen dies seit vielen Jahren nicht verstehen und verboten den Direktverkauf ab Hof. Nun gibt es eine positive Änderung.

Hinter der Direktvermarktung ab Hof steckt die Idee einer kurzen Lieferkette, die den kleinbäuerlichen Betrieben den Verkauf ihrer Produkte ohne Zwischenhandel ermöglicht. Sie können dadurch einen zusätzlichen ökonomischen Nutzen erzielen. Bauernverbände und Kooperativen haben seit Jahren Erleichterungen für diese Verkaufsform gefordert. Eine der Hauptfiguren dieser Bataille ist die politisch engagierte Öko-Landwirtin aus Pommern, Edyta Jaroszewska-Nowak, die mehrere Proteste organisierte und den polnischen Abgeordneten viele konstruktive Vorschläge machte. Auch die Warschauer Kooperative 'Dobrze' ("Gut") war auf diesem Feld sehr aktiv.

Wo ist der Haken?

Das Hauptproblem sind Vorschriften, die den Bäuerinnen und Bauern den Direktverkauf von kleinen Mengen eigener Produkte (verarbeitetes Obst und Gemüse, Milch-, Fleisch- und Getreideprodukte) verbieten, ohne ein Unternehmen zu registrieren und die hygienischen Anforderungen zu erfüllen, die für die großen Verarbeitungsstätten vorgesehen sind. "Aufgrund der großen Erwartungen der gesellschaftlichen Partner scheint es nicht sinnvoll, solche Einschränkungen einzuführen, die den Konsumenten den Zugang zu solchen Lebensmitteln schwermachen", sagte dazu Jan Ardanowski aus der Partei Recht und Gerechtigkeit und Vizepräsident des parlamentarischen Ausschusses für Landwirtschaft, als er dem 'Sejm' (Parlament der Republik Polen) einen Vorschlag zur Änderung des Gesetzes einreichte.

Das Konzept der EU

Seit 2002 hat die EU ihren Ansatz im Bereich der Lebensmittelvorschriften verändert, insbesondere bezüglich der Sicherheit; seither wird das Vorsorgeprinzip auf allen Stufen der Produktion, der Verarbeitung und des Vertriebs von Lebens- und Futtermitteln angewandt. 2004 ging die EU einen Schritt weiter. Die Rechtsvorschriften über Lebensmittelhygiene wurden neu geordnet und der Begriff "Direktvertrieb" als "die direkte Abgabe kleiner Mengen von Primärerzeugnissen durch den Erzeuger an den Endverbraucher oder an örtliche Einzelhandelsunternehmen, die die Erzeugnisse direkt an den Endverbraucher abgeben", definiert.

Die polnische Interpretation

Die oben genannten rechtlichen Bestimmungen werden allerdings in verschiedenen EU-Ländern unterschiedlich interpretiert. Unterschiede in der Herangehensweise an den "Direktvertrieb" gibt es auch im Zusammenhang mit der Herkunft von Primärerzeugnissen.

In Polen kann man die verarbeiteten Erzeugnisse tierischen Ursprungs, die im Rahmen der Produktion hergestellt und als "marginal, lokal und beschränkt" eingestuft wurden, verkaufen. Zugelassen ist das Inverkehrbringen von Rohmilch und Milchprodukten, Eiern und nicht verarbeiteten Bienenprodukten sowie von Fisch und Fischprodukten, Fleisch und Fleischwaren. Solche Artikel können an nichtgewerbliche KundInnen, das heißt EndverbraucherInnen oder an andere Handelsunternehmen, die Konsumwaren an LetztverwenderInnen absetzen, verkauft werden. Im Falle von pflanzlichen Erzeugnissen darf man nur mit primären Produkten (nicht verarbeitet, mit Ausnahme von Trocknung oder Säuerung) handeln. Sie müssen von den eigenen Höfen der LandwirtInnen stammen. Vor allem aber muss eine Wirtschaftstätigkeit registriert werden und die gesetzlich festgelegten Hygieneanforderungen müssen erfüllt werden.

Die traditionellen heimischen Spezialitäten von KleinherstellerInnen werden in Polen immer beliebter. Sie werden von KundInnen nachgefragt, die auf hochwertige und schmackhafte Lebensmittel großen Wert legen und die sich von industriell hergestellten Produkten unterscheiden. Die Möglichkeit des direkten Einkaufs von ErzeugerInnen, die eigene Primärerzeugnisse verarbeiten, ist für immer größer werdende KundInnenkreise attraktiv. Diese Form des Verkaufs ist vor allem für kleinere Bauernhöfe und Biohöfe interessant, da sie ihnen ein zusätzliches Einkommen ermöglicht.

Wie sieht das neue Gesetz aus?

Die neuen Regeln sollten den LandwirtInnen den Verkauf von eigenen Produkten erleichtern. Jetzt wird es möglich, aus den Erzeugnissen, die aus eigenem Pflanzenanbau und eigener Tierhaltung stammen, diverse Produkte (Schinken, Würste, Pasteten, Butter, Käse, Marmelade, Sauergurken, Piroggen oder Öle) herzustellen und sie an die EndverbraucherInnen, wie TouristInnen oder Kleinläden, abzusetzen.

Der Gesetzentwurf definiert den Begriff "Landwirtschaftliche Direktvermarktung" und zeigt die staatliche Veterinärinspektion als verantwortliche Behörde für die Überwachung der Sicherheit von Erzeugnissen tierischen Ursprungs und Mischprodukten (z. B. Piroggen mit Fleischfüllung), die in Rahmen der landwirtschaftlichen Direktvermarktung produziert werden.

Lebensmittel nichttierischen Ursprungs werden weiterhin von der staatlichen Sanitärinspektion überwacht. Eine andere Behörde, die "Inspektion der Handelsqualität von Landwirtschaftlichen Produkten", wird die Lebensmittelqualität in der landwirtschaftlichen Direktvermarktung überwachen. Der Landwirtschaftsminister wird zusammen mit dem Gesundheitsminister die Details in entsprechenden Verordnungen festlegen: die Größe eines Unternehmens und die Hygieneanforderungen für die Unternehmen sowie die Erzeugnisse tierischen Ursprungs oder die Verarbeitung von Mischprodukten.

Das Gesetz führt auch einige Steuerpräferenzen für landwirtschaftliche Handelsunternehmen ein. Steuerbefreit werden die LandwirtInnen, die im Jahr einen Ertrag unter 20.000 Zloty (ca. 4.500 Euro) erzielen. Die Einnahmen oberhalb dieses Betrags werden der Pauschalsteuer von 2 Prozent unterliegen.

Die guten Seiten der neuen Vorschriften

Zum ersten Mal sind die LandwirtInnen und KonsumentInnen mit vielen Bestimmungen zufrieden. Es werden dabei vor allem 3 Punkte genannt:

Erstens - werden Mindesthygienevorschriften und der Ausschluss der landwirtschaftlichen Direktvermarktung aus den sanitären und hygienischen Auflagen, die für große Verarbeitungsfirmen vorgesehen sind, angewendet.

Zweitens - wird die AbnehmerInnengruppe um Restaurants, Kantinen und Läden ausgedehnt. Dies bedeutet, dass LandwirtInnen, die die notwendigen Anforderungen erfüllen, ihre Produkte nicht nur ab Hof, auf den Messen oder Ausstellungen, sondern auch an die Restaurants, Schulmensen, Firmenkantinen oder Lebensmittelgeschäfte verkaufen können. Über diese Lösung freuen sich vor allem die Kooperativen, die frisches und preiswertes Gemüse und Obst direkt von ErzeugerInnen kaufen. Solche kollektiven Einrichtungen gibt es bereits in vielen Städten Polens, darunter Warschau, Lodz, Krakau, Posen, Lublin, Thorn und Danzig.

Drittens - sind die Bäuerinnen und Bauern froh, dass sie keine Wirtschaftstätigkeit registrieren müssen, was zusätzliche Kosten bedeuten würde.

Was wurde nicht erreicht?

Das Gesetz hat jedoch seine Nachteile. In erster Linie wird die sehr niedrige Höhe von steuerfreien Erträgen beklagt (20.000 Zloty jährlich). Die Bauernorganisationen hatten zuerst 75.000 Zloty vorgeschlagen, aber waren in den letzten Versionen des Gesetzes mit 40.000 Zloty einverstanden.

Zudem bestimmt das Gesetz weiterhin nicht, wie die hygienische Aufsicht über die Nahrungsmittelproduktion aussehen soll. Die Verantwortung für die Qualität der Produkte wird nach wie vor von der staatlichen Veterinärinspektion und Sanitärinspektion getragen. Es wird befürchtet, dass die Regulierungen zu restriktiv sein könnten und die Bedingungen der Verarbeitung in kleinem Maßstab (z. B. in der eigenen Küche) nicht berücksichtigen werden. Die gleichen Sanitärauflagen für ProduzentInnen, die ihre Primärerzeugnisse nur im kleinen Stil verarbeiten, und für industrielle Verarbeitungsbetriebe bereiten den polnischen Kleinbäuerinnen und -bauern nämlich die größten Kopfschmerzen.


Autor Waldemar Fortuna ist Koordinator der Projekte für Landwirtschaft im Institut für Globale Verantwortung in Warschau, staatlich anerkannter Kontrolleur für den ökologischen Landbau und Experte in internationalen Projekten im Bereich ökologischer Landwirtschaft.

*

Quelle:
Rundbrief 4/2016, Seite 12 - 13
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang