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INTERNATIONAL/157: Kanada - Weites Land in Nordamerika (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 398 - April 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Weites Land in Nordamerika
Die Landwirtschaft in Kanada ist so vielfältig wie ihre politischen Anliegen - ähnlich wie bei uns

Von Claudia Schievelbein


Dean Harder ist gut im Mobilisieren. Der jungenhafte Mittdreißiger ist ein bisschen chaotisch, aber wenn es darum geht, pointiert zu reden und mitzureißen, ist er brilliant. "Wir von der NFU vertreten Farmer, die gar nicht wissen, dass sie von uns vertreten werden", ruft er dem Auditorium an der Universität von Manitoba in Winnipeg zu, in dem zum größten Teil junge, dynamische Durchstarter-Farmersöhne mit der Perspektive 10.000er Hektar sitzen, die von der kanadischen National Farmers Union (NFU) eigentlich gar nicht vertreten werden wollen. Aber dann berichtet Harder davon, dass nur die NFU - die Interessenvertretung der kleineren Familien-, Bio- und über den Tellerrand-Gucker-Betriebe - sich bei der Umsetzung einer neuen Saatgutgesetzgebung dafür eingesetzt hat, dass eigener Nachbau auch weiterhin auf den Betrieben gelagert werden darf. "Alle, auch der 'große' Bauernverband hatten die Formulierung zuvor abgenickt, nach der zwar der Nachbau weiterhin erlaubt ist, nicht aber die Lagerung der Ernte bis zur Aussaat im nächsten Jahr." Harder redet sich in Schwung: "Es war der Versuch der Saatgutkonzerne, das Landwirteprivileg abzuschaffen und fast wäre es ihnen gelungen!" Nun hören auch die Farmersöhne zu, gehen den Bogen mit, den Harder zum Handelsabkommen CETA spannt, welches ein Angleichen der Saatgutstandards zwischen Kanada und der EU erst nötig machte. Nur um CETA-kompatibel zu werden, unterzeichnete Kanada im vergangenen Jahr eine aktuelle Version des internationalen Pflanzenzüchtungsabkommens UPOV, in der die Züchterrechte gegenüber denen der Bauern und Bäuerinnen deutlich gestärkt wurden.

Abhängigkeiten

In Europa fand dieser Prozess bereits vor zwanzig Jahren statt und führte in letzter Konsequenz zu den Nachbaugebühren. Hören kanadische Bauern und Bäuerinnen davon, sind sie erst einmal entsetzt und sehen sofort die Zusammenhänge mit der Abhängigkeit der Bauern und Bäuerinnen von Saatgutkonzernen, wie sie im Gentechnik und Patente-Kontext in Kanada viel präsenter sind als bei uns. Die NFU hat als Mitglied bei Via Campesina immer schon einen Blick gehabt für Vorgänge in der Welt, die für die kanadische Landwirtschaft eine Relevanz haben. Gerade weil Kanada groß, die Bevölkerung dünn gesät ist und viele der landwirtschaftlichen Erzeugnisse in den Export gehen, ist dieser Blick allerdings wichtiger denn je. Langsam schleicht sich diese Erkenntnis auch in die Köpfe der dynamischen Landwirtschaftsstudenten in Winnipeg, die erste Frage aus dem Auditorium lautet: "Wann werden in Europa Gentechnikpflanzen gesellschaftlich akzeptiert?" Und eigentlich ist dem jungen Burschen mit dem Bürstenhaarschnitt klar, dass es eine rhetorische Frage ist, vielleicht sogar eine salomonische. Die Befürchtung, dass nach dem kanadischen Gensojamarkt für die menschliche Ernährung in Asien auch der für die Futtertröge Europas mittel- bis langfristig schwinden könnte, ist nicht mehr abwegig.

Nischen

Umso wichtiger und ein zentrales Betätigungsfeld der NFU ist es, die zu stärken, die etwas anderes machen. Dabei war bislang von großer Bedeutung, dass es in Kanada nach wie vor eine öffentliche Pflanzenzüchtung an Forschungseinrichtungen der Universitäten gibt, die am Ende lizenzfreie Sorten auf den Saatgutmarkt bringen können. Nach dem Abschluss von UPOV fürchtet die NFU nun - und die Marktentwicklungen bestätigen die Befürchtungen - dass die Saatgutkonzerne verstärkt versuchen, auch in diese öffentlichen Marktsegmente vorzudringen, um Lizenzen abzukassieren. Nachbaugebühren wären dann der nächste Schritt. Bäuerliche Nischen wie die der NFU-Mitglieder Larry und Pat Pollock, die auf 300 Hektar als einzige Verkaufsfrucht Dinkel anbauen und diesen selbst vermehren, aber auch entspelzen, aufbereiten und dann an einen Bäckereifilialisten für 230 Euro den Doppelzentner weiterverkaufen, würden in Mitleidenschaft gezogen. Die Pollocks leben in einem der wenigen Backsteinhäuser hier, einst ein erster Außenposten in der Prärie von Manitoba. Beim Blick aus ihrem Küchenfenster erwartet man geradezu, eine plötzlich in der Ferne vorbeidonnernde Büffelherde zu sehen, gejagt von federgeschmückten Indianern. Das Leben hier ist immer noch vielfach eines, welches sich ums Überleben in endlosen Weiten mit wilden Tieren, Unbilden der Natur und wenig anderen Menschen dreht. "Ein Schwarzbär hinterm Garten ist gut, er hält die Kojoten und die Wölfe von den Hühnern fern", erklärt Rozanne Nevaksonov ungerührt, auch sie engagiert sich ehrenamtlich in der NFU.

Neue Nischen

Ihr Mann ist der Umweltminister der Provinzregierung von Manitoba, sein größtes Problem sind die Überflutungen nach der Schneeschmelze. Jedes Jahr werden sie mehr, Klimawandel und menschlicher Raubbau an natürlichen Schutzmechanismen lassen grüßen. Problematische Reststoffe im Oberflächenwasser wie das noch zulässige Pestizid Atrazin und Medikamente aus menschlicher und tierischer Gesundheitsbehandlung findet die Universität und forscht zum Ölrettich-Zwischenfruchtanbau und dessen phytosanitärer Wirkung. Der Leiter der örtlichen Versuchsfarm hat nebenbei noch eine Mutterkuhherde und vermarktet das Fleisch direkt aus Kühltruhen in seiner Scheune. Fleisch ohne Hormone ist ein Produkt, das zunehmend nachgefragt wird, ebenso wie der Markt für Bioprodukte wächst. Zu spät für Bäuerin Karen Dube, die über sieben Jahre in einer CSA "den Menschen in der Stadt ihre guten Lebensmittel subventionierte", wie sie ohne Groll sagt. Es sei eine gute Zeit mit tollen Beziehungen gewesen, aber eben nicht wirtschaftlich tragfähig, obwohl ihre Produkte schon 40 Prozent teurer als Organic Food im Supermarkt waren. Jetzt wäre es vielleicht etwas anderes, seit es auch in Kanada ein wachsendes Interesse der Bevölkerung an der Frage gibt, wie Lebensmittel produziert werden. Woran es noch mangelt, sind stärkere gesellschaftliche Bündnisse à la "Meine Landwirtschaft" in Deutschland. Aber mindestens in der NFU gibt es ein Bewusstsein dafür, dass es genau in diese Richtung weitergehen muss. Ihren größten Erfolg, das Quasi-Moratorium für Gentechnik-Luzerne, konnte sie auch nur mit Hilfe engagierter Gärtner und Verbraucher durchsetzen.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Black Angus gehen auch bei Minus 20 Grad noch ganz gerne in die kanadische Prärie - der Bauer sieht zu, dass er schnell wieder ins Warme kommt.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 398 - April 2016, S. 7
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2016

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