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INTERNATIONAL/147: Bolivien - Indigene Frauen setzen auf urbane Landwirtschaft (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. November 2015

Bolivien: Sucres Außenbezirke werden grün - Indigene Frauen setzen auf urbane Landwirtschaft

von Franz Chávez


Bild: © Franz Chávez/IPS

Frauen der 'Vereinigung Urbaner Produzenten von Sucre'
Bild: © Franz Chávez/IPS

SUCRE, BOLIVIEN (IPS) - Im Gewächshaus von Celia Padilla sprießt saftig grüner Mangold. Auch Salat und anderes Gemüse hat sie auf einem kleinen Fleck von acht Quadratmetern angepflanzt. Sie versorgt damit ihre Familie, verkauft aber auch einiges auf einem nahen Markt und verdient damit ein wenig zusätzliches Haushaltseinkommen. Jetzt träumt sie von einem richtig großen Gewächshaus von mindestens 500 Quadratmetern.

Padilla ist Quechua-Indigene aus dem bolivianischen Bundesstaat Potosí. Zusammen mit ihrem Mann zog sie vor 15 Jahren nach Sucre um, die Hauptstadt von Bolivien. Hier lebt sie im Stadtteil Bicentenario auf den Hügeln oberhalb der Stadt, wo die ärmere Bevölkerung wohnt.

Seit einem Jahr ist sie Mitglied der 'Vereinigung Urbaner Produzenten von Sucre', ein von der Regierung gefördertes Projekt für indigene Frauen wie Padilla, die aus ländlichen Gebieten in die Städte ziehen und hier häufig keine Arbeit finden. Das Projekt soll ihnen zum einen ein kleines Einkommen ermöglichen, vor allem aber der Mangelernährung vieler indigener Zugezogener entgegenwirken.

"Die Männer, die aus den indigenen Dörfern in die Städte kommen, arbeiten in der Regel auf dem Bau. Die meisten Frauen aber - 78 Prozent - finden keine Arbeit, vor allem, weil sie kaum oder gar keine Schulbildung haben", erzählt Lucrecia Toloba, zuständig für die Abteilung 'Produktive Entwicklung und Plurale Wirtschaft' der Regierung des südöstlichen Departments Chuquisaca, in dem auch die Bundeshauptstadt Sucre liegt.

"Die Frauen, die in den Städten Arbeit finden, arbeiten als Wäscherinnen oder Marktfrauen", erzählt Toloba, die selbst den Quechua angehört und sich traditionell kleidet: Sie trägt einen runden Filzhut, einen weiten Faltenrock und hat die Haare zu zwei festen Zöpfen geflochten. Mit der Initiative soll "null Prozent Mangelernährung" erreicht werden, sagt Toloba.

Viele der Gärten liegen rund fünf Kilometer von Tolobas Büro in der Innenstadt Sucres entfernt in den Stadtteilen Litoral und 25 de Mayo. Aus den Früchten ihres eigenen Anbaus haben sie heute Gemüsesuppe und Tortillas aus Maismehl, die sie mit unterschiedlichen Gemüsesorten gefüllt haben, zubereitet.


Gärten und Gewächshäuser

Insgesamt 680 Frauen in 83 Stadtvierteln nehmen am Projekt urbaner Produzenten teil. Viele der Frauen haben einfache Gärten angelegt, andere züchten ihre Pflanzen in Gewächshäusern. Sucre - rund 420 Kilometer südlich von La Paz, dem eigentlichen politischen Zentrum des Landes entfernt - liegt auf 2760 Metern über dem Meeresspiegel und erreicht in der Regel Temperaturen zwischen zwölf und 25 Grad Celsius. In den Gewächshäusern klettern die Temperaturen manchmal bis auf 30 Grad. Es gibt Zeiten, in denen es darin so heiß wird, dass die Frauen die Türen öffnen, um die Gewächshäuser etwas herunterzukühlen.


Bild: © Franz Chávez/IPS

Zwei Mitglieder der 'Vereinigung Urbaner Produzenten von Sucre' zeigen ihr Gewächshaus
Bild: © Franz Chávez/IPS

Laut der Welternährungsorganisation FAO pflanzen die Frauen der Initiative insgesamt 17 verschiedene Gemüsesorten an. Jede Gärtnerin baut durchschnittlich neun verschiedene Sorten an. In den Gewächshäusern der Initiative werden im Durchschnitt jeweils 500 Kilogramm Gemüse pro Jahr geerntet, verteilt auf drei Erntesaisons. 60 Prozent des Ertrages werden in der Regel von den Familien der Gärtnerinnen konsumiert, den Rest verkaufen sie. Manche Mitglieder organisieren den Verkauf alleine, andere im Kollektiv mit Kollegen, wieder andere über die Vereinigung. Das Jahreseinkommen einer Familie steigt durch das Gewächshaus um rund 660 US-Dollar.

Celia Padilla freut sich, dass sie ihren Mann nicht mehr nach Geld fragen muss, sondern selbst welches mit nach Hause bringt. Und für Gemüse muss sie keines mehr ausgeben. Ihr Mann unterstützt sie bei ihrer Idee, ein größeres Gewächshaus zu bauen.

Das einzige Problem ist die Bewässerung. Wasser hier ist kostbar und nicht immer verfügbar. Doch die Frauen haben Unterstützung von der Politik bekommen: Die Kommunalverwaltung hat mehrere 2000-Liter-Wassertanks gekauft, um während der Regensaison Wasser auffangen zu können, zu sammeln und in regenarmen Zeiten die Gärten mit Tröpfchenbewässerung versorgen zu können.


Garten oder Garage?

Die Entscheidung, Mitglied der Vereinigung urbaner Produzenten zu werden, ist nicht für alle Hinzugezogenen einfach. Alberta Limachi musste ihren Ehemann erst von der Idee überzeugen. Auf dem freien Grundstück neben ihrem Haus wollte er lieber eine Garage bauen als einen Garten anlegen. Am Ende konnte sich Alberta Limachi jedoch durchsetzen.

Das Gemüse, dass die Frauen anbauen, kommt ohne Pestizide oder Insektizide aus. Ein Komitee aus Produzentinnen und Konsumenten überwacht den Anbau und garantiert, dass sich alle Bäuerinnen an die Abmachung halten.

"Die Frauen nutzen statt chemischem Dünger biologischen Kompost", erklärt Yusuke Kanae, der für die FAO in Sucre arbeitet. Er unterstützt die Frauen mit technischem Know-how und zeigt ihnen, wie aus alten Behältnissen nützliche Pflanzentöpfe gewonnen werden können.

Kanae ist auch für die Gewinnung neuer Kooperationspartner zuständig. Die Besitzer des vegetarischen Restaurants 'Cóndor Café' hat er davon überzeugt, die Erzeugnisse der Frauen zu kaufen und in ihrer Küche zu verarbeiten. Restaurantmanager Roger Sotomayor erklärt: "Wir finden es gut, urbane Landwirtschaft zu fördern, die die Umwelt schont." Die Kooperation bietet ihm noch einen weiteren Vorteil: Die Erzeugnisse der Frauen sind 20 Prozent günstiger als konventionelles Gemüse, so Sotomayor. (Ende/IPS/jk/25.11.2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/10/native-women-green-the-outskirts-of-the-city-feed-their-families/
http://www.ipsnoticias.net/2015/10/huertos-periurbanos-germinan-en-manos-de-mujeres-bolivianas/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 25. November 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2015

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