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INTERNATIONAL/110: Südbrasilien gründet erste Bauernuniversität (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 373 - Januar 2014
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Südbrasilien gründet erste Bauernuniversität

von Annemarie Volling, Netzwerk gentechnikfreie Landwirtschaft



In den zehn Jahren Gentechnik-Anbau in Brasilien, wo hauptsächlich gentechnisch veränderter Mais, Soja und Baumwolle angebaut werden, haben wir festgestellt, dass die großen Versprechen der Agrar- oder Chemieindustrie nicht eingehalten worden sind," resümiert Professor Antônio Andrioli, renommierter Gentechnik-Kritiker und Vizerektor der Bundesuniversität Fronteira Sul (UFFS), auf seiner gerade beendeten Vortragsreise durch Deutschland und Österreich. Der Einsatz von Gentechnik hat dazu geführt, dass der Pestizideinsatz gestiegen ist, sowohl bei der Unkraut- als auch bei der Schädlingsbekämpfung. "Brasilien ist jetzt auch trauriger Weltmeister im Pestizidverbrauch: 5,2 Liter pro Einwohner pro Jahr", so der Experte. Gleichzeitig haben sich die Saatgutkosten um 246 Prozent erhöht. Anfangs waren die Gentechnik-Sorten billig und sind v. a. in den Süden eingeschmuggelt worden. Heute bekommen die Bauern im Süden fast gar keine gentechnikfreien Sorten mehr. Anders als versprochen sind die Erträge nicht gestiegen. Stattdessen kämpfen die brasilianischen Bauern zunehmend mit Schädlingen und Unkrautproblemen. Über 20 Unkräuter haben mittlerweile eine Resistenz gegen den Wirkstoff Glyphosat. Die erste Generation der RoundupReady-Soja-Sorten hat ihre Wirkung fast verloren. Aktuell soll die zweite GV-Soja-Generation auf den Markt kommen, die gegen eine Reihe von Pestiziden aber auch Schädlinge resistent sein soll. Neben Glyphosat sollen die GV-Pflanzen zusätzlich gegen das weitaus giftigere Glufosinat und 2,4-D, ein Wirkstoff im Entlaubungsmittel Agent Orange, resistent sein. Auch der Bt-Mais ist - anders als erwartet - wenig erfolgreich. Dieser GV-Mais soll ein Gift produzieren, das gegen Fraßschädlinge wirkt. Wie schon aus Amerika und Indien bekannt, sind auch in Brasilien Schädlinge resistent geworden oder es konnten sich "neue" Schädlinge entwickeln. Besonders die Baumwollkapseleule macht derzeit so große Probleme, dass Brasilien den Notstand ausgerufen hat und zur Rettung der Ernte den Import eines Insektizids zugelassen hat, welches in Brasilien eigentlich nicht zugelassen ist. "Man versucht jetzt also Probleme zu lösen, die erst durch den Einsatz der Gentechnik entstanden sind. Und das wiederum mit Spritzmitteln und Monokulturen, statt aus den Fehlern der ersten Gentechnik-Generation zu lernen," kritisiert Prof. Andrioli, der mittlerweile Mitglied in der Biosicherheitskommission Brasiliens ist. Interessant ist, dass im Norden und Zentrum Brasiliens, im Staat Mato-Grosso, die mittelständischen und großen Bauern derzeit zur gentechnikfreien Soja zurückkehren. Dort investieren die großen Sojaproduzenten zusammen mit den Regierungen wieder in die gentechnikfreie Sojazüchtung. Aktuell werden von den insgesamt 81 Mio. Tonnen Soja, 16 Mio. Tonnen gentechnikfreie Soja erzeugt.


Hoffnungsvolle Entwicklung

Es gibt aber auch Anlass zum Optimismus. Zwar bekommen nach wie vor die Großgrundbesitzer in Brasilien einen Großteil der Agrarfördergelder und die Wirtschaftspolitik ist weiterhin auf Export ausgerichtet. Für Prof. Andrioli ist der Gegenpol das wahrscheinlich Hoffnungsvollste was derzeit in Brasilien stattfindet: denn gleichzeitig gab es noch nie so viel Unterstützung der bäuerlichen Familienlandwirtschaft durch die Regierung wie in den letzten zehn Jahren. Durch den Zugang zu Mikrokrediten hatten die Kleinbauern die Möglichkeit, Land und Betriebsmittel zu kaufen. Hinzu kommen Programme, mit denen die Regierung die regional erzeugten Produkte aufkauft und staatliche Einrichtungen, wie Schulen, Universitäten und Gefängnisse, mit Nahrungsmitteln versorgt. 30 Prozent der Schulessen stammen derzeit aus regionalen Produkten der Kleinbauern. Im Oktober hat Brasilien den nationalen Plan zur Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft gestartet mit einem Volumen von drei Mrd. Euro. Hiermit sollen regionale Vermarktung und Verarbeitung sowie Umstellung auf ökologischen Landbau gestärkt werden.


Wertschöpfung fördern

Zusätzlich investiert die Regierung viel Geld in Bildung und Wissenschaft. Neu daran ist, dass dies auch in den ländlichen Regionen passiert. Im Süden Brasiliens, also dort wo die meisten Kleinbauern leben, werden staatliche Universitäten aufgebaut, nicht zuletzt um die Landflucht einzudämmen und jungen Menschen eine Zukunftsperspektive vor Ort zu geben. Viele Wissenschaftler kehren in ihre Herkunftsregionen zurück. Die neuen Universitäten zeichnen sich auch dadurch aus, dass von Anfang an Bauern an der Definition von Forschung und dem Aufbau der Studiengänge beteiligt werden. In den Beiräten der Universitäten sitzen VertreterInnen von Via Campesina und den Kleinbauerngewerkschaften. Schwerpunkte der neuen Universitäten sind Agrarökologie, Genossenschaftswesen, Vermarktung und Verarbeitung regionaler Produkte, aber auch Ausbildung von Lehrern für die ländlichen Räume, ganzheitliches Gesundheitswesen sowie Energiesouveränität. Ziel ist es, auch die Wertschöpfung in der Landwirtschaft zu erhöhen und die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Familienbetriebe zu fördern. Ganz im Sinne der FAO und des Weltagrarberichts, die dies als einzige Chance sehen, um die Bevölkerung in der Welt gesund und Ressourcen sparend zu ernähren. Agrarökologie versucht ganzheitlich Landwirtschaft zu betrachten, indem es nicht nur um Produktionssteigerung geht, sondern es geht um die Eigenversorgung der Bauern mit vielfältigen, qualitativ hochwertigen Produkten. Die Erfahrungen der traditionellen Bewirtschaftung der Bauern und Indianervölkern werden aufgenommen, kritisch hinterfragt, unter Beteiligung der Bauern weiterentwickelt und in der Praxis ausprobiert. So wird neues Wissen aus traditionellem Wissen generiert.


Zugang zu Saatgut

Wichtig ist es für Andrioli, dass man die Bauern nicht dominiert oder entmachtet, indem man sie von der Wissensentwicklung ausschließt und ihnen dann das Wissen teuer verkauft. Neben Zugang zu Saatgut, Wasser und Boden braucht es auch freien Zugang zu Wissen. Bäuerliches Wissen ist kollektives Wissen, das in der Tradition der Bauern entstanden ist, die Bauern tauschen sich unter einander aus. Dieses Wissen ist nicht patentierbar. Wissen ist dann nicht mehr abhängig von Konzernen und Wissenstransfer der Forschungsinstitute, die die Agrarberater der Genossenschaften ausbilden, die Bauern etwas verkaufen wollen, was sie gar nicht brauchen. "Mit unserer Universität wollen wir praxisorientierte Wissenschaft mit den Bauern vor Ort betreiben und eine andere Agrarberatung aufbauen, die die Erhaltung der kleinbäuerlichen Familienbetriebe und ein nachhaltiges Wirtschaften in den Fokus setzt," so Andrioli optimistisch.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 373 - Januar 2014, S. 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2014