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HUNGER/251: Hungerbekämpfung als Business Case (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2011


Hungerbekämpfung als Business Case
Unternehmen als zentrale Akteure im Kampf gegen Hunger?

Von Benjamin Luig


BASF, Danone, Heinz & Co. treten zunehmend als zentraler Akteur im Kampf gegen Hunger auf. Insbesondere die Produktion nährstoffangereicherter Nahrungsmittel (food fortification) versucht die Ernährungsindustrie als neues Paradigma der Hungerbekämpfung durchzusetzen. Ihre Argumente werden kaum hinterfragt.


Bislang stellte die Ernährungspolitik ein zwar vernachlässigtes, aber genuin staatliches Politikfeld dar. Seit einigen Jahren jedoch verschiebt sich dieser Diskurs. Auf internationaler Ebene wurde dies spätestens auf dem 3.Welternährungsgipfel in Rom 2009 deutlich, wo Lobbyisten von Agribusiness und Ernährungsindustrie stark präsent waren. Parallel zum Ernährungsgipfel formulierten Vertreter der Privatwirtschaft eine "Erklärung von Mailand", in der sie von den Staaten spezifische Rahmensetzungen zur privaten Hungerbekämpfung forderten. Auch in Deutschland werden Großkonzernen von Seiten der Regierung zunehmend Foren geboten, in denen sie ihren vermeintlichen Beitrag zur Hungerbekämpfung herausstellen und mit Forderungen an die staatliche EZ verknüpfen können. Im Januar 2010 veranstaltete das BMELV eine Tagung zum Thema "Beiträge der Wirtschaft zur Sicherung der Welternährung". Im Juni letzten Jahres stellte der Beitrag der Konzerne zur Hungerbekämpfung einen Schwerpunkt des BMELV Dialogs "Politiken gegen Hunger" dar.

Ein die Diskussionen und Abschlusserklärungen dieser Foren dominierendes Paradigma ist die Annahme, das Nahrungsmittel verarbeitende Konzerne Hunger durch den Verkauf von angereicherten Nahrungsmitteln an arme KonsumentInnen direkt bekämpften. Vielzitierte "Erfolgsbeispiele" in diesem Zusammenhang sind das "Minute Maid Kids+" Getränk von Coca-Cola, das besondere Kalzium und Vitamin-Anreicherungen enthält, oder die mit Eisen angereicherten Maniok-Kekse von Unilever. Die Argumentation, dass private Unternehmen innerhalb ihres Kerngeschäfts einen positiven sozialen Beitrag gegen Armut leisten können, indem sie arme Menschen als neues Kundensegment für sich entdecken, geht auf C.K. Prahalads Buch "Fortune at the Bottom of the Pyramid" von 2004 zurück. Prahalad argumentiert darin nicht nur, dass die breite Masse der ärmsten Menschen weltweit über eine aggregierte Kaufkraft verfüge, die privaten Anbietern signifikante Profite ermögliche, sondern auch, dass insbesondere multinationale Großkonzerne aufgrund ihrer Skalenvorteile in der Lage seien, diese Kaufkraft zu nutzen.


Eine Globale Allianz für wen?

Food fortification ist ein neues Geschäftsfeld der Ernährungsindustrie geworden. In den letzten Jahren ist eine Vielzahl von einflussreichen Netzwerken entstanden, die food forticifation verbreitet und als Kernstrategie zur Hungerbekämpfung in urbanen Räumen propagiert. Die "Global Alliance for Improved Nutrition" (GAIN)(1) veranschaulicht die Funktion, aber auch die Problematik freiwilliger Initiativen im Ernährungsbereich. GAIN agiert auf zwei Ebenen: International fungiert es als Plattform für den Austausch von Informationen zwischen Privatwirtschaft und Geberorganisationen und tritt ein für die Harmonisierung von nationalen Politiken zur Nahrungsmittelanreicherung. Auf Länderebene fördert und finanziert GAIN PPPs zwischen Privatwirtschaft, Staaten und NGOs zu konkreten Beimischungsinitiativen und technischer Beratung. Laut eigenen Statuten verfolgt GAIN das Ziel, weltweit die Kindersterblichkeit zu verringern, die ökonomische Produktivität armer Bevölkerungen zu steigern, sowie die Kosten für öffentliche Gesundheitsdienstleistungen zu senken. Nach Aussage eines GAIN Mitarbeiters liegt der Hauptanreiz zur Beteiligung an GAIN für Konzerne wie Danone, Unilever und der Tata Group im Marktzugang und der Durchsetzung von "beimischungsfreundlichen" Regelungen auf Länderebene.(2) Es wird deutlich, dass Hungerreduzierung durch den direkten Verkauf von angereicherten Nahrungsmitteln an arme KonsumentInnen von der Privatwirtschaft vornehmlich als attraktives Geschäftsfeld angesehen wird. Dabei erscheinen vor allem drei Punkte problematisch: Erstens verkürzt GAIN die Problematik der Mikroernährung auf die Strategie der Beimischung. Laut FAO, die eine Mitgliedschaft bei GAIN ablehnt, bräuchte es hingegen eine Mehrfachstrategie: Neben der Beimischung sind Maßnahmen wichtig, die auf die sehr viel kostengünstigere Diversifizierung der Nahrungsmittel zielen, auf die kurzfristige Ergänzung von Nahrungsmitteln, beispielsweise durch Injektionen von Vitamin A in akuten Notfällen, sowie auf Reformen eines öffentlichen Gesundheitswesens, das die Bekämpfung von verstecktem Hunger ("hidden hunger") als eines seiner Kernaufgaben begreift. Die einseitige Ausrichtung auf fortification ist auch deshalb problematisch, weil die GAINMaßnahmen nicht nur private Gelder, sondern über PPPs auch einen großen Anteil öffentlicher Gelder binden, die dann in anderen Bereichen, wie beispielsweise der Förderung einer diversifizierten bäuerlichen Landwirtschaft fehlen. Zweitens drohen Investitionen in Anreicherungsinitiativen in Entwicklungsländern kleinere Unternehmen und Händler zu verdrängen. Der Verarbeitungsschritt der Anreicherungen wird von den Konzernen in Fabriken vorgenommen, und nicht innerhalb lokaler Produktions- und Vermarktungsstrukturen. Drittens verschwimmt bei GAIN die Grenze zwischen Wohltätigkeit und Lobbyismus endgültig. Für Konzerne besteht über GAIN die Möglichkeit, das "rule making" entlang der gesamten Wertschöpfungskette zentral mitzugestalten: Standards und Qualitätskontrollen zur Nahrungsmittelbeimischung in Entwicklungsländern können mitentwickelt und Weiterbildungen von Mitarbeiterinnen politischer Kontrollinstanzen können selbst durchgeführt werden.


An den armen KonsumentInnen vorbei

Bei GAIN und weiteren Initiativen dieser Art geht es nicht um wohltätige CSR-Initiativen wie kostenfreie Schulspeisungen, sondern um den Absatz eigener Produkte über den Markt. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit Konzerne KonsumentInnen mit geringer Kaufkraft überhaupt erreichen können. Einer empirischen Studie aus dem Jahr 2007 zufolge würde eine indische Familie aus der untersten urbanen Einkommensgruppe mit dem Kauf eines Päckchens Waschpulver und einer 1 Liter Flasche "fortified"-Cola bereits 40% ihres monatlichen Einkommens verbrauchen. Eine ausreichende Selbstversorgung mit dem Grundnahrungsmittel Reis hingegen ist bei stabilen Marktpreisen gut möglich. Erst in der Mittelschicht kann man sich angereicherte Markenartikel leisten. Initiativen wie GAIN zielen somit eher auf aufstrebende Mittelschichten in Schwellenländern wie Brasilien, China und Indien, nicht aber auf den echten "bottom of the pyramid". Hunger ist eine Frage der Kaufkraft. Dies wird deutlich an einem von Prahalad selbst gewählten Beispiel: Hindustan Lever Ltd., das indische Tochterunternehmen von Unilever, verkauft Annapurna-Salz mit aufwendig angereichertem Jod-Gehalt zu 7,5 Rupien pro kg, wohingegen diverse regionale Produzenten ebenfalls Salz, dem Jod auf einfache Weise beigemischt ist, für lediglich 2 Rupien pro kg verkaufen.(3)

Um die Auswirkungen der Ernährungsindustrie auf die Ernährungssicherheit zu bewerten, ist ein umfassender Blick auf die Nahrungsmittelpolitik der letzen zwanzig Jahre notwendig. In Indien führte die Liberalisierung des Nahrungsmittelsektors gepaart mit hohen Wachstumsraten und steigenden Einkommen in den 1990er Jahren zu einer Diversifizierung des Nahrungsmittelkonsums. Die städtischen Konsumenten aßen im Durchschnitt weniger Weizen, vor allem aber weniger Reis, und dafür mehr Fleisch, Fisch und Eier, sowie Obst und Gemüse. Zugleich aber stieg der Anteil urbaner Haushalte, die an chronischer Kalorienunterversorgung litten, zwischen 1987 und 2002 von 37% auf 51% an. Viele der Haushalte, die über zu wenig Nahrungsmittel verfügten, lagen dabei oftmals über der offiziellen Armutsgrenze.(4) Dies weist darauf hin, dass der Zugang zu Nahrungsmitteln für bestimmte Gruppen durch Veränderung auf der Angebotsseite, insbesondere durch die Ausbreitung von Supermärkten auf Kosten von Wochenmärkten, erschwert wurde. Zwar wirft die Nahrungsmittelindustrie weltweit jährlich 15.000-20.000 neue Produkte auf den Markt(5), doch es handelt sich dabei um keine wirklich kosten- und damit preissenkenden Innovationen, sondern um die ewige Wiederholung des Immergleichen. Nach wie vor wendet die urbane Bevölkerung in Indien im Durchschnitt nur 5% ihrer Nahrungsmittel-Ausgaben für verarbeitete Produkte auf.(6) Solange also die Armut der Masse zu groß ist, bleibt auch das Marktpotenzial für Wal-Mart, Metro und Co. beschränkt. Dass Konzerne aufgrund ihrer ungeheuren Marktmacht auch Aufgaben der Politikgestaltung ("Rule Making") für sich beanspruchen, ist alles andere als legitim, aber nachvollziehbar. Konzerne wie Unilever oder die Metro AG agieren in Afrika, Lateinamerika oder Asien nur in seltenen Fällen auf "freien Märkten"; ihnen geht es um die weitreichende Kontrolle vor- und nachgelagerter Stufen der Wertschöpfungskette. Die Darstellung der eigenen Operationen als Hungerbekämpfung legitimiert die eigene Expansion. Auf diese Weise ist äußerst fraglich, ob die an sich hilfreiche Technologie der Nahrungsmittelanreicherung zur Unterstützung des Königswegs gegen Mangelernährung, der Diversifizierung der Nahrungseinnahme, eingesetzt wird.


Der Autor ist Referent für Agrarpolitik bei Misereor Die von ihm verfasste Studie "Hungerbekämpfung als Business Case. Die fragwürdigen Beiträge von Agribusiness und Ernährungsindustrie zur Welternährung" erscheint in Kürze in der Schriftenreihe des Forums Umwelt und Entwicklung.


Anmerkungen:

(1) Mitglieder bei GAIN sind u.a. die Gates-Stiftung, USAID, die WHO, Coca-Cola, BASF und TetraPak. Weitere wichtige, mit GAIN eng verbundene Initiativen sind das Iodine Network, die Flour Fortification Initiative und in jüngster Zeit die breite Allianz "Scaling up Nutrition". In Deutschland gibt es bislang nur eine nennenswerte food fortification-Initiative: SAFO, ein PPP zwischen BASF und der GIZ.

(2) Vgl. C.Kaan / A.Liese (2010), Public-Private-Partnerships in Global Food Governance: business engagement and legitimacy in the global fight against hunger and malnutrition, in: Agriculture and Human Values 27, 5.

(3) Vgl. A.Karnani (2007), The Mirage of Marketing at the Bottom of the Pyramid, in: California Management Review 49/4, 94; sowie C.K. Prahalad (2006), The Fortune at the Bottom of the Pyramid. Eradicating Poverty through Profits, Upper Saddle River, 181.

(4) Vgl. R.Ray (2007), Changes in Food Consumption and the Implications for Food Security and Undernourishment. India in the 1990s, in: Development and Change 38(2), 341.

(5) Vgl. Omahen (2003) zit. nach R. Patel (2007), Stuffed and Starved. The Hidden Battle for the World Food System, London, 253.

(6) Vgl.Warnholz (2007), Poverty reduction for profit? (Oxford Working Paper 160), 10.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2011, S. 9-10
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2011