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GENTECHNIK/441: Wie Gentechnik-Riesen uns zu ihren Opfern machen (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 03 / 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Wie Gentechnik-Riesen uns zu ihren Opfern machen

Von Sievert Lorenzen und Sabine Ohm


Milchbauer Gottfried Glöckner aus Wölfersheim (Hessen) wollte den Fortschritt. Er wollte den damals frisch zugelassenen Genmais Bt-176 der Firma Novartis (später Syngenta) anbauen und an seine Milchrinder verfüttern. Die Zulassungsbehörde hatte den Genmais als unbedenklich und "substantiell äquivalent" zum konventionellen Mais eingestuft. Dem Saatgut des Genmais waren drei Gene in den Zellkern eingeschleust worden. Ein Gen von Bacillus thuringiensis (Bt) macht den Mais zu Bt-Mais und ermöglicht ihm, ein Gift gegen den Maiszünsler (eine Motte) zu produzieren; ein zweites Gen macht den Mais resistent gegen das Herbizid "Basta"; das dritte Gen produziert eine Resistenz gegen das Antibiotikum Ampicillin und dient der gentechnischen Kontrolle, ob die beiden anderen Gene erfolgreich installiert wurden.

Von 1997 bis 2000 steigerte Glöckner die Anbaufläche für Bt-Mais von 0,5 auf 10 Hektar. Er freute sich über den üppigen Wuchs der Pflanzen, die einheitliche Reifung der Maiskolben und den erfreulich hohen Proteingehalt. Die Kühe vertrugen das neue Futter zunächst gut, doch nach zweieinhalb Jahren begannen die Probleme. Wasser sammelte sich in den Gelenken, und die Blutgefäße erweiterten sich und färbten, wenn sie im Euter oder in der Niere platzten, die Milch und den Harn rot von Blut. Jedes Tier reagierte anders, aber alle reagierten krankhaft bis hin zum Tode. 135 Rinder verlor Glöckner bis 2004.

Die Aufklärung der Katastrophe ergab: Entgegen der Beteuerung von Syngenta blieben das Bt-Gift und womöglich auch andere unerwünschte Substanzen in der Maissilage erhalten, erreichten über die Fütterung viele Organe der Kühe, wurden zum Teil wieder ausgeschieden und gelangten mit der Gülle auf die Weiden. In einem gerichtlichen Vergleich zahlte Syngenta Schadensersatz an Glöckner. Bt-176 Mais darf seit März 2000 nicht mehr landwirtschaftlich angebaut werden, Glöckner sei Dank.


Skandal um MON 810

Auch das global agierende Unternehmen Monsanto bietet Bt-Mais an, z.B. unter den Handelsnamen MON 810 und MON 863. Seit April 1998 ist der Anbau von MON 810 in der Europäischen Union (EU) erlaubt. Im April 2007 lief die Erstgenehmigung wie vereinbart aus, doch Monsanto hatte fristgerecht einen Antrag auf Erneuerung der Zulassung gestellt. Deshalb darf MON 810 bis zum nächsten Bescheid auch weiterhin in der EU angebaut werden.

Mittlerweile haben Österreich, Griechenland, Ungarn, Frankreich, Luxemburg und - seit 2009 - auch Deutschland den Anbau von MON 810 in ihren Ländern aus Sicherheitsgründen verboten, denn die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat bei der Risikobeurteilung von MON 810 versagt. Das deckten Greenpeace und Global 2000 in einer im Juli 2009 veröffentlichten Studie auf: Das Bt-Gift dringt aus der Maiswurzel in den Boden ein. MON 810 bildet neuartige RNA- und DNA-Fragmente, die zur Bildung neuartiger Proteine führen. Die neuartigen Substanzen werden nach Verfütterung im Blut der Tiere wiedergefunden. Laut EFSA seien Auswirkungen des Bt-Gifts und der neuartigen Substanzen auf Pflanzen, Tiere und Bakterien noch nicht untersucht oder nicht nachgewiesen worden. Deshalb wurden sie als unbedenklich bezeichnet nach dem logisch falschen Motto "Risiken nicht bekannt = Risiken ausgeschlossen". Doch es gibt Hinweise, dass die neuartigen Substanzen zu unerwünschten Antworten des Immunsystems führen können, z.B. zu Allergien. Mit falscher Logik und anderen Fehlern also hat die EFSA den Bt-Mais MON 810 als unbedenklich für Mensch, Tier und Umwelt erklärt.


Skandal um MON 863

Monsanto gab nicht auf und beantragte 2002 in Deutschland die Zulassung für den Import von Bt-Mais MON 863 in die EU. Die Körner sollten als Futtermittel für das Vieh und als Nahrungsmittel für den Menschen dienen. Monsanto ließ in einem 90-tägigen Versuch Ratten mit Körnern von MON 863 füttern und schloss aus dem Ergebnis, MON 863 sei genau so sicher wie konventioneller Mais. Die EFSA stimmte zu. Greenpeace wurde skeptisch und verlangte im Mai 2004 von der deutschen Bundesregierung die Herausgabe des Protokolls. Die Bundesregierung stimmte zu, Monsanto lehnte ab. Greenpeace und die Bundesregierung erstritten die Herausgabe verwaltungsrechtlich im Juni 2005. Die Lektüre des Protokolls offenbarte den Grund für Monsantos ablehnende Haltung: Die Verfütterung von MON 863 an die Versuchsratten führte in nur 90 Tagen zu gesundheitlichen Schäden, zu denen krankhafte Veränderungen von Blutbild, Leber und Niere gehören, und zu signifikanten Anomalien im Wachstum. Unabhängige andere Prüfer kamen zu gleichen Ergebnissen.

Bundesagrarministerin Ilse Aigner und Bundesumweltminister Siegmar Gabriel handelten deshalb richtig, im April 2009 den Anbau von MON 810 in Deutschland zu verbieten. Bundeswissenschaftsministerin Annette Schavan war empört. Die Forschung in der grünen Gentechnik werde gefährdet, und die EFSA hätte MON 810 als unbedenklich eingestuft! Schavan verschweigt, was längst alle wissen: Die EFSA ist nicht unabhängig und führt keine eigenen Studien durch. Sie prüft nur die von den Konzernen eingereichten Unterlagen - und das tut sie offensichtlich fehlerhaft und ungenau.


Gentechnik-Riesen gehen mit Teufelsspiralen zu Werke

Die Zulassungsgremien der EFSA werden von linientreuen Gentechnikanhängern dominiert, denen in der Vergangenheit schon mehrfach Interessenkonfl ikte nachgewiesen werden konnten. Nachdem das Zulassungsmoratorium (keine weiteren Genehmigungen für den Anbau und die Vermarktung gentechnisch veränderter Pflanzen) im Jahre 2004 aufgehoben wurde, winkte die EFSA praktisch alle Anträge durch, auch den Verlängerungsantrag für MON 810. Wenn neuere Studien Anlass zu Bedenken geben, bleiben sie unberücksichtig.

Aufgeschreckt von den Leichtsinnigkeiten forderte der Umweltministerrat im Dezember 2008 einstimmig, das EU-Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) müsse dringend verbessert werden. Aber Vorschläge sind vor 2010 nicht zu erwarten. Bis dahin sollen schnell noch die drei insekten- und herbizidresistenten und von der EFSA abgesegneten Genmaissorten MON 88017, MON 89034 und 59122xNK603 als Futter- und Nahrungsmittel zugelassen werden. Die Anträge scheiterten im Juni 2009, weil sich im "Ständigen Fachausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit" der EU keine qualifizierte Mehrheit für Zustimmung oder Ablehnung bildet.

Deshalb sollen die Anträge am 17. Oktober 2009 dem Ministerrat zur Abstimmung vorgelegt werden. Offensichtlich warten die Gentechnikanhänger Kommissionspräsident Barroso und Agrarkommissarin Fischer Boel die Wahlen in Deutschland ab, um die heiße Wahlkampfphase der Konservativen nicht mit einem umstrittenen Thema zu belasten. Danach aber wollen sie und Kommissionspräsident Barroso, auch ein Gentechnikanhänger, das GVO-Genehmigungsverfahren in der EU möglichst bald beschleunigen. Hierfür sprachen sich auf der Ratssitzung am 7. September auch die EU-Landwirtschaftsminister aus und verlangten eine baldige "technische Lösung", weil die Futtermittelkosten so hoch seien. Die Front gegen die schleichende Einführung von GVO in unsere Nahrungskette droht zu bröckeln. Noch gilt in der EU die Nulltoleranz für Futtermittelimporte, die mit GVO verunreinigt sind, die in der EU nicht zugelassen sind. Kommt also eine Charge Soja aus den USA an, die Spuren eines bei uns verbotenem Genmais enthält, wie MON 88017 in einem Fall, muss das Schiff samt Ladung zurückgeschickt werden.

Das geschah im Sommer 2009 schon sechsmal, sehr zum Ärger der Agrarindustrie und des europäischen Bauernverbandes COPACOGECA, die gemeinsam Druck machen zur Aufhebung der Nulltoleranz. Sie würde die Futtermittelpreise in unerträgliche Höhen und die "Veredelungsindustrie" wegen mangelnder Rentabilität in den Ruin treiben. Dann müssten wir Fleisch, Milch und Eier aus dem EU-Ausland importieren, wo die Tiere mit allen möglichen GVO gefüttert werden. Überdies seien GVO-freie Futtermittel bald sowieso kaum noch oder nur zu horrenden Preisen zu bekommen, weil die Haupterzeugerländer USA, Brasilien und Argentinien weitgehend auf GVO umgestiegen sind.

Doch die Argumentationskette enthält einen Denkfehler. Wo es eine Nachfrage gibt, da gibt es auch ein Angebot! Deshalb werden eindeutige EU-Bestimmungen dem GVO-freien Futtermittelmarkt Auftrieb geben.

Was wir zurzeit aber erleben, ist eine Teufelsspirale zum Vorteil der Gentechnik-Riesen. Sie zermürben uns mit Sachzwängen, denen wir uns unterwerfen sollen. Sie arbeiten mit der alten Lüge, mit GVO lasse sich der Hunger in der Welt besiegen. Sie schaffen Monopole, die nicht unserem Wohl, sondern unserer Ausbeutung dienen. Der Rendite wegen gefährden sie die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier. Die USA treiben ihre GVO-Agenda munter voran: Die Lebensmittelaufsichtsbehörde FDA hatte diesen Sommer sogar erwogen, GVO künftig auch in Bioerzeugnissen zu erlauben. Die Obama-Regierung hat mit Michael Taylor einen Monsanto-Lobbyisten in die FDA berufen und mit Tom Vilsack einen Gentechnikfreund zum Landwirtschaftsminister gemacht.

Auch Bundesministerin Schavan zählt zu den Opfern. Sie duldet, dass der im Januar 2009 gegründete "Bioökonomierat" nur mit Vertretern aus der Agro-Gentechnik-Industrie besetzt ist und dass die öffentlich geförderte "biologische Sicherheitsforschung" gentechnisch veränderte Pflanzen entwickelt statt unabhängige Risikoforschung zu betreiben. Gentechnik-Konzerne wie Bayer Crop Science und BASF freuen sich, PROVIEH nicht.


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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 03/2009, Seite 14-17
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2009