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FORSCHUNG/962: Der Tomatenfischer (Leibniz)


Leibniz-Journal -
Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft 4/2014

Der Tomatenfischer

Von David Schelp


Ob in Megastädten oder auf dem Land: Mit Werner Kloas' Aquaponik-System können Menschen überall auf der Welt umweltschonend Gemüse und Fisch erzeugen. Sein "Tomatenfisch" könnte helfen, von Dürre und Hunger gebeutelte Regionen zu ernähren, ist sich der Biologe sicher.


Die Kulisse für einen Besuch in der Zukunft stimmt schon einmal. Dichter Nebel hängt an diesem Wintermorgen über dem Müggelsee im Südosten Berlins und hüllt auch das unscheinbare Gewächshaus am Ufer in mysteriöses Weiß. Wie ein Raumschiff aus Glas steht es in den Schwaden: Werner Kloas' Zukunftslabor.

Seit 2007 widmen sich der Biologe und seine Kollegen vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) darin einer Menschheitsfrage: Wie kann die rasantwachsende Weltbevölkerung trotz schwindender Ressourcen und des Klimawandels künftig mit Nahrung versorgt werden? "Es geht uns um die Ernährungssicherheit des 21. Jahrhunderts", sagt Kloas, kurzes graues Haar, wache Augen, schwarzer Fleecepullover. Dann betritt er das Gewächshaus.


Revolution auf dem Feld

Immer mehr Wissenschaftler haben sich in den vergangenen Jahren mit mitunter überaus kreativen Lösungsansätzen in die Debatte eingebracht. Unter Schlagworten wie "Urban Farming" oder "Vertical Farming" revolutionieren sie die Landwirtschaft zum Beispiel auf Dächern (s. S. 34/35 der Printausgabe 4/2014), in futuristisch anmutenden Gewächshochhäusern und auf städtischen Brachflächen.

Auch Werner Kloas' Beitrag hat einen ungewöhnlichen Namen: "Tomatenfisch" haben er und seine Kollegen ein System getauft, mit dessen Hilfe Landwirte überall auf der Welt Gemüse und Fisch erzeugen können, ressourcenschonend und doch mit hohem Ertrag. Den Prototyp der Anlage haben sie in das Gewächshaus am Müggelsee gebaut.

Mit traumwandlerischer Sicherheit bewegt sich Kloas zwischen ihren Bestandteilen: einigen schwarzen Pflanzenkästen, einem Dutzend etwa 1,50 Meter hohen Kunststoffbassins und unzähligen Rohren, die alles miteinander verbinden. "Die Idee ist im Grunde alt", erklärt er. Schon vor einigen Tausend Jahren fluteten Chinas Bauern ihre Reisfelder. Zwischen den Pflanzen züchteten sie Karpfen, die Ungeziefer fraßen und zugleich Dünger ausschieden. Aquaponik nennen Wissenschaftler die Kombination der Aufzucht von Fischen in Aquakulturen und der Kultivierung von Nutzpflanzen in Hydrokulturen heute.

Am IGB weckt dieses Prinzip 2007 Werner Kloas' Interesse. Bei einer Tasse Kaffee erzählt sein Kollege Bernhard Rennert, wie er zu DDR-Zeiten eine Anlage entwickelte, in der Karpfen und Gurken gezogen wurden. Kloas wird hellhörig. Rasch entscheiden die Wissenschaftler, auf dieser Grundlage eine ambitionierte Aquaponik-Technologie zu entwickeln. Werner Kloas schlägt vor, sie mit einem System zur Wasserrückgewinnung zu ergänzen.


Fruchtbare Nachbarschaft

Statt Gurken wachsen heute Tomaten in den schwarzen Pflanzenkästen, die statt Erde Mineralwolle enthalten. In den Plastikbottichen schwimmen statt Karpfen Tilapien. Die afrikanischen Buntbarsche sind robust und wachsen schnell, ihr weißes Fleisch ist weich und schmeckt leicht süßlich. Von der Nachbarschaft profitieren beide: Die Fische benötigen den Sauerstoff, in den die Tomaten das von den Tieren ausgeatmete Kohlendioxid verwandeln. Die Pflanzen benötigen von den Fischen ausgeschiedene Nährstoffe wie Nitrat und Phosphat.

24 Mal am Tag durchfließt das Wasser die Aquaponik-Anlage. Pumpen transportieren es aus den Fischtanks in Richtung Pflanzen. Auf dem Weg wird es zunächst durch Lamellen gereinigt, dann durch einen Biofilter, der das von den Fischen ausgeschiedene giftige Ammonium mithilfe von Bakterien in düngendes Nitrat umwandelt. Überein Einwegventil gelangt das gereinigte Wasser schließlich zu den Pflanzen. Immer dann, wenn es dort benötigt wird.

Er habe schon immer diese Faszination für Pflanzen und Tiere verspürt, erzählt Werner Kloas. Als Kind begleitet er seinen Vater auf Streifzügen durch den Wald und träumt davon, Förster zu werden. Im Garten experimentiert er mit Hügelbeeten, pflanzt Kartoffeln und Salat. Später studiert Kloas Biologie und promoviert zu Hormonsystemen bei Fröschen.


Schwarmintelligenz statt Futterstress

Noch heute merkt man Kloas die Begeisterung für seine Arbeit an, wenn man ihn am Ufer des Müggelsees besucht. Und den Ehrgeiz, Landwirtschaft und Fischzucht immer nachhaltiger zu gestalten. Hunderte Kilogramm Fisch und Tomaten haben die Wissenschaftler im Rahmen ihrer Forschung produziert. Sie haben das ausgesprochen ressourcen- und umweltschonend getan.

Da der Anbau im Gewächshaus stattfindet, werden beim Tomatenfisch kaum Emissionen freigesetzt. Die Anlage wird über Solarzellen mit Energie versorgt. Künftige Betreiber könnten sie mit der heute häufig ungenutzten Abwärme von Biogasanlagen beheizen.

Auch die Bedingungen für die Tilapien sind gut - anders als in manchem Mastbetrieb, der Hühner- oder Schweinefleisch produziert. "Massentierhaltung kann schlimm sein", sagt Kloas, "für Fisch muss man in der nachhaltigen Aquakultur aber widersprechen." Die Tiere profitieren vom sauerstoffreichen Wasser, dessen Qualität die Forscher exakt einstellen können. Sie haben keinen Futterstress und auch das Leben in Gruppen in den engen Bassins hat positive Folgen. "Der Schwarmeffekt reduziert den Stress - die Fische sind deshalb weniger anfällig für Krankheiten."

Die Besonderheit des Tomatenfischs liegt jedoch vor allem darin, dass das System kaum etwas von dem Wasser verschwendet, das aus Regen und zum kleineren Teil aus Leitungswasser gewonnen wird. Sogenannte Kältefallen holen aus der Luft, was die Pflanzen im Gewächshaus verdunsten. In herkömmlichen Aquaponik-Anlagen müssen pro Tag zehn Prozent des Wassers ausgetauscht werden - am IGB sind es lediglich drei, bei Regenwassernutzung sogar nur ein Prozent. "Damit sind wir weltweit führend", sagt Kloas. Ziel sei es, den Wert weiter zu drücken. Und das System irgendwann nahezu komplett zu schließen.


"Wasserengpässe nicht ignorieren"

Auch bei der Verunreinigung des verwendeten Wassers sind die Unterschiede zu herkömmlichen Aquakulturen enorm. Die Produktion von einem Kilo Forelle habe anderswo 200.000 Liter belastetes Wasser zur Folge. Beim Tomatenfisch sind es 220 Liter pro Kilo Tilapia. "Wasser ist global die wichtigste Ressource", sagt Kloas. "Nur weil wir in Mitteleuropa das Glück haben, über genug davon zu verfügen, sollten wir Engpässe in anderen Regionen nicht ignorieren."

Besonders diese Teile der Welt, in denen Ernährung mitunter ein Problem ist, hat der Tomatenfisch im Blick. Er könne dort helfen, Hunger und Mangelernährung zu bekämpfen, ist sich Kloas sicher. Das System kann in den abgelegensten und strukturschwächsten Landstrichen Fisch und Gemüse produzieren, sobald ein Generator oder eine Photovoltaik-Anlage die Pumpen am Laufen hält. Es kann auf riesigen Flächen realisiert werden, ist aber auch beliebig verkleinerbar.

Auch den häufig von Armut gebeutelten Bewohnern unkontrolliert wachsender Megastädte in weniger entwickelten Ländern könnte die Aquaponik-Anlage so gesunde Nahrungsmittel liefern und lange Transportwege überflüssig machen.

In vielen Städten in den wohlhabenderen Industriestaaten stünden ebenfalls große Brachflächen für Urban Farming zur Verfügung, fügt Kloas an. Hier ist diese Form der Landwirtschaft meist vor allem ein Hobby mit positiven sozialen Effekten. "Menschen können gemeinsam etwas erschaffen und sich umweltfreundlich selbst versorgen", erklärt Kloas. "Nehmen sie Projekte wie die Berliner Prinzessinnengärten."

Die Potenziale des Tomatenfischs bleiben nicht unbemerkt. 2012 wird das Projekt mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Forschung ausgezeichnet. Seit 2014 koordiniert das IGB das sechs Millionen Euro schwere EU-Vorhaben INAPRO: Vier je 600 Quadratmeter große Testanlagen sollen das Institut und 18 Partner in China, Belgien, Spanien und Deutschland einrichten, um die Technologie zu optimieren und Anwendern international bekannt zu machen.


Maden statt Fischmehl

Am Müggelsee plant Werner Kloas die nächsten Schritte. So möglich sollen die Tilapien sich künftig von den Maden der Schwarzen Soldatenfliege ernähren, die wiederum die Abfälle aus Supermärkten verwerten würden, die heute meist auf dem Müll landen. Schon jetzt verzichtet das IGB weitgehend auf Futter aus Fischmehl, dessen Produktion die Meere der Welt in Mitleidenschaft zieht.

Der Nebel ist inzwischen fast verschwunden. In einer Halle, an deren Wänden Netze und hüfthohe Gummistiefel hängen, möchte Werner Kloas zum Abschied sein neuestes Zukunftsprojekt zeigen. 1,50 Meter ist es lang und gleitet geräuschlos durch das Wasser eines riesigen Aquariums. "Arapaima gigas", sagt Kloas.

Der Fisch aus dem Amazonasgebiet wird bis zu 250 Kilogramm schwer und 2,50 Meter lang. Er gilt als schmackhaft und verbraucht wenig Futter und Energie. In Aquakulturen hat man ihn bislang dennoch nicht gehalten, da die Reproduktion in künstlichen Systemen bislang niemandem geglückt ist. Kloas und seine Kollegen wollen dieses Problem lösen und so auch den Tomatenfisch weiter voranbringen.

Andächtig beobachtet der Biologe die majestätische Silhouette. Der Arapaima, sagt er dann, sei sein Zukunftsfisch.

www.tomatenfisch.igb-berlin.de

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Quelle:
Leibniz-Journal 4/2014
Herausgeber: Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft
Matthias Kleiner
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2015

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