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FORSCHUNG/961: Landwirtschaft in aller Munde (Leibniz-Journal)


Leibniz-Journal -
Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft 4/2014

Landwirtschaft in aller Munde

Von Reiner Brunsch


In Deutschland spricht kaum jemand über die Relevanz der Landwirtschaft für die Gesellschaft. Es wird als selbstverständlich erachtet, dass die Supermarktregale gefüllt sind. Die Ausgaben für Lebensmittel betragen im Durchschnitt nur etwas mehr als zehn Prozent des Einkommens. Müsste die landwirtschaftliche Produktion ohne Subventionen auskommen und würde sich die Preisbildung wie in den meisten anderen Branchen aus dem tatsächlichen Aufwand ableiten, wäre die Lage eine andere.


Richten wir den Blick aus dem heimischen Wohn- und Esszimmer in die Welt, wird schnell klar, warum es wichtig ist, der Landwirtschaft weitaus mehr Aufmerksamkeit zu widmen als in den vergangenen Jahrzehnten, und warum Lebensmittel in unserer Gesellschaft wieder mehr Wertschätzung erfahren müssen und nicht ungenutzt im Abfall landen dürfen. Die global wachsende Bevölkerung und die damit verbundene steigende Lebensmittelnachfrage bringen die Produktion weltweit zunehmend unter Druck. Gleichzeitig verändern sich die Ernährungsgewohnheiten hin zu mehr Fleisch, besonders in den Schwellenländern.

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-moon erklärte deshalb jüngst, dass die weltweite Lebensmittelproduktion bis 2030 um die Hälfte steigen müsse, um den Anforderungen dieser dramatischen Entwicklungen standhalten zu können.

Da wir in Deutschland eine hochproduktive Landwirtschaft entwickelt haben, ergibt sich für uns eine Verpflichtung, einen nennenswerten Beitrag zur Ernährungssicherung der Weltbevölkerung zu leisten.

Eine Zunahme der Produktion kann, wie wir wissen, entweder durch eine Ausweitung der Ackerflächen oder durch Produktivitätssteigerungen realisiert werden. Natürliche Ressourcen wie Boden und Wasser sind jedoch knapp und müssen besonders effizient, aber auch mit besonderer Achtsamkeit genutzt werden. Eine hochintensive und nicht den Prinzipien der Nachhaltigkeit verpflichtete agrarwirtschaftliche Nutzung hat Umweltbelastungen wie Verunreinigung durch Pestizide und Dünger, Bodenerosion oder Versalzung zur Folge und treibt die Verknappung verfügbarer Ressourcen weiter voran. Auch eine Ausdehnung der Agrarflächen ist kaum eine Option. Sie geht häufig mit Entwaldung und dem Verlust wertvoller Ökosysteme einher. Die damit langfristig hervorgerufenen Umweltschäden können dramatische regionale und globale Folgen wie die Beschleunigung des Klimawandels haben.

Um zukünftigen Generationen ebensolche Chancen einzuräumen, wie wir sie heute haben, muss es uns gelingen, Produktion und Produktivität unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten zu erhöhen. Hierfür müssen wir einerseits unser Wissen über die Details, aber insbesondere über die komplexen Zusammenhänge im Bereich landwirtschaftlicher Produktionssysteme erweitern, andererseits Verständnis für die Zusammenhänge zwischen nachhaltiger Produktion und gesunder Ernährung entwickeln.


Effizienzsteigerung ist möglich

Ich sehe in Deutschland eine große Diskrepanz zwischen dem Gemeinwohlinteresse und den ökonomischen Zwängen auf Betriebsebene. Wenn die Gesellschaft will, dass die Landwirtschaft nachhaltig produziert, dann muss sie die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass diese Art der Produktion ökonomisch sinnvoll und vorteilhaft ist.

Momentan ist es so, dass die Lebensmittel in Deutschland immer billiger werden. Das ist auch ein Grund, weshalb die wirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft innerhalb der Volkswirtschaft zurückgeht. Auch wenn die deutsche Landwirtschaft bereits sehr fortschrittlich ist, ist dennoch eine Steigerung der (Ressourcen-)Effizienz möglich. Der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig. Aber es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, um nachhaltige Produktionsprozesse in der Agrarwirtschaft realisieren zu können und damit alle Menschen mit gesunden, sicheren und bezahlbaren Lebensmitteln in ausreichender Menge versorgen zu können.

Der Leibniz-Forschungsverbund "Nachhaltige Lebensmittelproduktion und gesunde Ernährung" bildet Forschung entlang der gesamten Wertschöpfungskette vom Produzenten über den Vertrieb hin zum Konsumenten sowie von der Zellebene bis hin zu globalen Zusammenhängen ab. Er bringt Wissenschaftler unterschiedlichster Fachdisziplinen an einen Tisch, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen: Wie kann man sichere, nachhaltig produzierte und gesunde Lebensmittel für jeden Menschen dieser Erde bereitstellen? Wie beeinflussen sich nachhaltige Lebensmittelproduktion und Gesundheit gegenseitig?

Mit seinen derzeit 14 Forschungsinstituten ist der Verbund aber nicht nur für Wissenschaftler interessant. Wir haben uns auch zum Ziel gesetzt, Bürgerinnen und Bürger sowie Entscheidungsträger verständlich über die neuesten wissenschaftlichen Errungenschaften aus der Agrar- und Ernährungsforschung zu informieren.

Es bedarf genau dieser koordinierten und interdisziplinären Forschung und ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz, um die wachsende Weltbevölkerung auf nachhaltige Weise ausreichend und gesund zu ernähren. Denn damit steht die Gesellschaft tatsächlich vor einer der größten globalen Herausforderungen dieses 21. Jahrhunderts.


Reiner Brunsch ist Sprecher des Leibniz-Forschungsverbundes "Nachhaltige Lebensmittelproduktion und gesunde Ernährung" und Direktor des Leibniz-Instituts für Agrartechnik Potsdam-Bornim.

www.leibniz-lebensmittel-und-ernaehrung.de

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Quelle:
Leibniz-Journal 4/2014, Seite 14-15
Herausgeber: Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft
Matthias Kleiner
Chausseestraße 111, 10115 Berlin
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Internet: www.leibniz-gemeinschaft.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2015

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