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FORSCHUNG/716: Konkurrenz zur Gentechnik - Renaissance der Hybridzüchtung (idw)


Universität Hohenheim - 20.08.2009

Konkurrenz zur Gentechnik: Renaissance der Hybridzüchtung könnte Ernte-Erträge um zweistelligen Prozentsatz steigern


3. Sept. 2009, 9.00-10.30 Uhr:
Demonstration für Journalisten auf den Versuchsfeldern
Universität Hohenheim, Heidfeldhof, Filderhauptstr. 201, 70599 Stuttgart

7.-9. Sept. 2009:
Globale Pflanzenzüchter-Konferenz mit neuen Forschungsergebnissen an der Universität Hohenheim


"Ertragssteigerungen um 30 bis 70 Prozent - und das ohne Gentechnik" hält Prof. Dr. Albrecht E. Melchinger bei vielen Kulturpflanzen für möglich. Das Zauberwort lautet Hybridzüchtung. Neue Erkenntnisse und Methoden wecken berechtigte Hoffnungen, das gigantische Potential von Pflanzenhybriden weltweit besser nutzen zu können. Der Leiter einer führenden Forschergruppe lädt nun zur internationalen Heterosis-Konferenz, um die Ergebnisse von sechs Jahren Forschungsarbeit vorzustellen.

Weitere Infos auch unter www.uni-hohenheim.de/heterosis

Im zweiten Weltkrieg soll sie mit kriegsentscheidend gewesen sein: die neue Technik, mit der US-Züchter die Erträge ihrer Maisfelder mit einem Schlag verdoppelten. Selbst als verheerende Dürren das Land heimsuchten, blieben die neuen Sorten hoch produktiv. So sehr, dass die US-Farmer Überschüsse produzierten - und die damals verbündete UdSSR mit Nahrungsmitteln unterstützen konnten.

Der geniale Trick der Hybrid-Züchter: Sie züchten Linien, die sie über Generationen nur mit sich selbst bestäubten. Das Ergebnis sind Pflanzen, die durch die Inzucht degeneriert sind: sie sind nur schwachwüchsig und die Erträge sind sehr schlecht. Doch kreuzt man zwei solcher Inzucht-Linien, entsteht eine Hybride, deren Saatgut extrem hohe Erträge liefert.


Großwüchsige Kinder von kümmerlichen Eltern:
Pflanzenzüchter nutzen ein bizarres Phänomen

Als "Heterosis" bezeichnet man das Phänomen, dass degenerierte Eltern in Mischehe besonders kräftige Nachkommen (Bastarde) hervorbringen. Welche Ursachen dem zugrunde liegen, blieb lange rätselhaft. Was Züchter allerdings nicht hinderte, das Phänomen auszunutzen.

Heute gibt es Hybriden zum Beispiel bei Mais, Zuckerrüben und Tomaten. Als Pioniere betätigte sich mehrfach Wissenschaftler der Universität Hohenheim: In den 60er Jahren wurden dort die ersten Maishybriden für Deutschland entwickelt und in den 80er Jahren gelang weltweit erstmals die Züchtung von Hybridsaatgut bei Roggen. Die Erträge stiegen allein wegen Nutzung der Heterosis um 20 Prozent. Aktuell forscht neben Deutschland vor allem China an der Hybrid-Technik. 50 Prozent der Reisfelder tragen inzwischen Hybridsorten - mit Mehrerträgen von über 30%.

"Angesichts der Erwartungen, die die Forscher an die Gentechnik knüpften, ist die Hybridtechnik in den vergangenen Jahrzehnten eher stiefmütterlich behandelt worden", so die Einschätzung von Züchter Prof. Dr. Melchinger. Derzeit sei jedoch eine Trendwende auszumachen. So hätten die USA im vergangenen Jahr ein neues Forschungsprogramm aufgelegt um den wissenschaftlichen Rückstand in Sachen Heterosis aufzuholen.


Zwei Trends sprechen für Renaissance

"Zwei Trends sprechen dafür, dass sich die Hybridtechnik in den kommenden Jahren auf breiter Front durchsetzen könnte", fasst Prof. Dr. Melchinger die Ergebnisse der Forschergruppe zusammen: "Ein neues Arsenal an molekularbiologischen und bioinformatischen Methoden sowie ein tieferes Verständnis, was den Heterosis-Effekt bewirkt".

"Eine Zeitlang gab es die Theorie, dass es einzelne Heterosis-Gene gäbe, die vielleicht auch geklont werden könnten. Heute wissen wir, dass diese Suche eine Sackgasse ist. Die Gene in Pflanzen agieren vielmehr als Systeme, bei denen das Gesamtsystem mehr ist, als die Summe der Einzelteile - wodurch Phänomene wie Heterosis möglich werden", meint Prof. Dr. Melchinger.

Durch mathematische Modelle und neue Computersoftware können solche komplexen Systeme heute simuliert werden. "Statt herumzuprobieren könnten wir Heterosis-Prozesse dann voraussagen und gezielt nutzen. Bislang sind viele unserer Ergebnisse Pionierarbeit, die noch verifiziert werden müssen. Da die Systembiologie aber enorme Fortschritte macht, ist dies nur noch eine Frage der Zeit."

Auch in der Anwendung gäbe es neue Techniken, die laut Prof. Dr. Melchinger das Potential hätten, die Hybrid-Züchtung noch einmal zu revolutionieren. Denn durch die Molekularbiologie ließe sich ein Mengenproblem in den Griff bekommen, mit dem die Hybridzüchtung besonders zu kämpfen habe.

"Für die Entwicklung neuer Hybride schaffen Saatzuchtfirmen für jede Elternseite jeweils 10.000 Inzucht-Linien. Damit lassen sich 100 Millionen Hybriden im Jahr erzeugen", errechnet der Züchtungsforscher. Eine Zahl, von der nur ein Bruchteil angebaut und getestet werden kann.

Doch inzwischen ließen sich die aussichtsreichen Hybridkandidaten schon im frühen Wachstumsstadium identifizieren: "Anhand von Genomanalysen können wir schon am Embryo die Hybride mit dem besten Eigenschaften aussortieren und gezielt vermehren. Und in wenigen Jahren werden wir sogar noch einen Schritt weiter sein: Dann wäre es finanziell machbar, das Erbgut der Inzucht-Eltern zu entschlüsseln und alle 100 Millionen Hybride vorherzusagen."


Hintergrund: Forschungsprojekt Heterosis

Von 2003 bis 2009 koordiniert das Institut für Pflanzenzüchtung, Saatgutforschung und Populationsgenetik der Universität Hohenheim das bundesweite Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft Heterosis bei Pflanzen - Genomforschung zur Kausalanalyse eines biologischen Schlüsselphänomens und Grundlagen für dessen optimale Nutzung in der Pflanzenzüchtung. Ziel des Projektes war es, die genetischen und molekularen Ursachen der Heterosis zu entschlüsseln und neue Strategien für die Pflanzenzüchtung zu entwickeln.

Weitere Informationen unter:
http://www.uni-hohenheim.de/heterosis/home.htm
"Kongress Heterosis in Plants"

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution234


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Hohenheim, Florian Klebs, 20.08.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2009