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BERICHT/144: Kritischer Agrarbericht 2012 (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 167 - April/Mai 2012
Die Berliner Umweltzeitung

LANDWIRTSCHAFT
Kritischer Agrarbericht 2012
Zusammen arbeiten - für eine andere Landwirtschaft

von Jörg Parsiegla



Wie lange liegt eigentlich der letzte Lebensmittelskandal zurück? War es das Hähnchenfleisch mit Antibiotikaresten? Oder doch Dioxin in Futtermitteln? Ehec hin - Gammelfleisch her, der Verbraucher stumpft langsam ab. Ist es vielleicht das, worauf die Agrarindustrielobby setzt, wenn sie uns mit ihrer Turbomast-/Zuchtware überflutet - schön billig natürlich und mit rotzfrecher, irreführender Werbung beziehungsweise Verpackung an den Mann/die Frau gebracht. Vielleicht sogar noch mit der Ausrede: "Na, der Kunde verlangt doch danach". Gewiss, ein Großteil der Verbraucher muss aufs Geld schauen, ganz abgesehen von Transferleistungsempfängern, die jeden Cent umdrehen müssen. Aber darf das die Begründung sein, fahrlässig die Sicherheitsbestimmungen bei der Herstellung von Lebensmitteln, Stallhygiene und Haltungsbedingungen inbegriffen (von Lagerungsschluderei ganz zu schweigen), zu unterlaufen oder lax zu handhaben? Wohl nicht!

Schwerpunkt "Zusammen arbeiten"

Dass es auch anders gehen kann und geht, beweisen die Beiträge des Kritischen Agrarberichts, die sich mit dem diesjährigen Berichtsschwerpunkt "Zusammen arbeiten" beschäftigen (siehe auch Titelthema der Februar/ März-Ausgabe des RABEN RALF). Gleich zwölf Artikel befassen sich mit nachhaltiger und solidarischer Landwirtschaft: Die Themen reichen von der Darstellung des Widerstandes gegen Agrarfabriken über die Beschreibung solidarischer Bewirtschaftungsformen bis hin zur Vorstellung erfolgreicher Ökolandbaubetriebe mit angeschlossener Wertschöpfungskette. Daneben geht es um die Bewältigung des demografischen Wandels auf dem Land, um gentechnikfreie Regionen in Deutschland und, last but not least, neue Wege der Zusammenarbeit von Naturschutz und Landwirtschaft. Einige der Themen werden im Folgenden vorgestellt.

Zusammen protestieren

Gleich im ersten Beitrag macht Eckehard Niemann von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) auf die vielfältigen Formen und Möglichkeiten des Protestes gegen große Geflügel- und Schweinemastanlagen aufmerksam (Seite 42 ff.). Der diesbezüglich massive Widerstand hat "eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Zukunft der Nutztierhaltung ausgelöst (und) erreicht zunehmend auch die Politik in den Kommunen, Landkreisen und Bundesländern (sowie) auf Bundesebene." Viele Landwirte würden sich am Protest beteiligen, weil sie zum Beispiel "nie mehr einen eigenen Stall bauen oder erweitern (könnten), weil es gesetzliche Obergrenzen für Geruch und Emissionen im Außenbereich der Gemeinden gibt, die durch eine einzige Agrarfabrik bereits ausgeschöpft werden."
Eine Forderung an die Politik wäre deshalb, Tierzahl-Obergrenzen einzuführen, eine andere, die derzeitige Privilegierung gewerblicher Betriebe beim Bauen im Außenbereich der Kommunen zugunsten bäuerlicher Bewirtschaftung aufzugeben.

Solidarische Landwirtschaft (CSA) in Deutschland

Unter dieser Überschrift berichten Dr. Thomas van Elsen und Katharina Kraiß von der Universität Kassel/Witzenhausen über Höfe, die ihr soziales Umfeld mit Lebensmitteln versorgen, während dieses umgekehrt die finanziellen Mittel für die Bewirtschaftung bereitstellt (Seite 59 ff.). Die Autoren bevorzugen für diese Art der wechselseitigen Unterstützung sogar die Bezeichnung "Solidarhöfe" - anstelle des englischsprachig übernommenen CSA (Community Supported Agriculture), wörtlich übersetzt: "gemeinschaftsunterstützte Landwirtschaft".
Bei der Grundidee des CSA-Konzepts "geht (es) darum, einen weitestgehend geschlossenen Wirtschaftskreislauf aufzubauen, der über den landwirtschaftlichen Betrieb hinaus die Verbraucher seiner Produkte mit einbezieht". Ziele von CSA seien zum einen die Produktion qualitativ hochwertiger Lebensmittel und zum anderen die Erhaltung des gesunden Naturkreislaufs. Am Beispiel des Buschberghofs bei Hamburg mit einer "Kapazität" von 95 Familien beziehungsweise 350 Menschen wird über die Entstehung und Entwicklung von CSA in Deutschland berichtet, gegenwärtig gibt es derer 19 sowie elf CSA-Initiativen.

Wertschöpfung durch Wertschätzung

Als eine Art Spezialfall nachhaltigen Wirtschaftens kann die Regionalwert AG von Gärtnermeister, Gründer und Autor Christian Hiß und dessen Frau Andrea am Ostrand des Kaiserstuhls, rund 20 Kilometer von Freiburg, angesehen werden (kurz Regionalwert AG Freiburg, Seite 94‍ ‍ff.). Mit dem Grundstock der Demeter-Gärtnerei Hiß und dem Geld von seinerzeit 40 Aktionären - "einer bunten Mischung aus Unternehmern, Lehrern, Anwälten, Biologen und Bauern aus der Region" - die AG mit dem Ankauf "herrenloser" Landwirtschaftsbetriebe an, die sie an qualifzierte Existenzgründer verpachtete. Gleichzeitig investiert sie in laufende Betriebe, allerdings nur "wenn die Betriebsleiter (ebenso wie die Pächter) ökologisch verantwortbar wirtschaften und zu regionaler Kooperation bereit sind.
Denn das Ziel der "Bürgeraktiengesellschaft" ist die Sicherung ökologischer Wertschöpfung in der Region: vom Gemüseanbau bis zu Gastronomie und Lieferservice". Mittlerweile zählt die Regionalwert AG Freiburg ungefähr 500 Aktionäre und ist - vom Dienstleistungsbereich über Produktion und Verarbeitung bis zur Vermarktung - in 16 Partnerunternehmen verankert.

Partnerbetrieb Naturschutz

"Der Umgang zwischen Naturschützern und Landwirten ist häufig konfliktbeladen. In Einzelfragen gibt es oftmals noch wenig Verständnis für die jeweils andere Perspektive." So umreißen Brigitte Leicht, Inge Unkel und Jörg Weickel aus der rheinland-pfälzischen Landwirtschafts- und Umweltverwaltung eine Situation, die sich, was die Erreichung von Naturschutzzielen betrifft, leider zu oft nur im ordnungsrechtlichen Rahmen klären lässt (Seite 167 ff.). Das Land Rheinland-Pfalz hat sich neue Strategien überlegt, mit denen sich Naturschutz und Landbewirtschaftung enger miteinander verzahnen lassen. Dabei herausgekommen ist der "Partnerbetrieb Naturschutz".
Als Besonderheit führen die Autoren an, dass "Landwirte von Anfang an mit dabei (waren), als die notwendigen Rahmenbedingungen für die praxisgerechte Ausgestaltung eines solchen Instruments in einem Modellvorhaben erarbeitet wurden". Der Status des konkreten Partnerbetriebs Naturschutz - nach der landesweiten Praxiseinführung 2010‍ ‍wurden in einer ersten Runde 60 Landwirtschaftsbetriebe als solche anerkannt - soll jedoch nicht als Marke oder Label mit strengen Kriterien gelten, sondern eher als "freiwillige Vereinbarung, der sich alle Beteiligten gleichermaßen verpflichtet (fühlen)".
Die Umsetzung der in einem gemeinsamen Positionspapier festgehaltenen Umweltmaßnahmen basiert dabei auf einem zweistufigen System mit einer betriebsindividuellen Naturschutzberatung (Stufe 1) und schließlich einer Zielvereinbarung im betrieblichen Naturschutzkonzept (Stufe 2). "Das neue am Partnerbetrieb Naturschutz ist also die Kombination von Beratung und Anreizsystemen ... mit neuen innovativen Ansätzen". Dazu wiederum gehört die Begegnung der Partner auf Augenhöhe, was nichts anderes bedeutet, als "die eigenen Anliegen nicht höher zu bewerten als die Bedürfnisse des Gegenübers".

Fazit

Spätestens hier ließe sich eine Brücke zu den Vorschlägen der Natur-/ Umwelt- und Agrarverbände zur Umgestaltung der (gemeinsamen) europäischen Agrarpolitik (GAP) schlagen, die den Landwirten seit 1994 mit der Einführung der Agrarumweltmaßnahmen Förderangebote für die Extensivierung ihrer Produktionssysteme macht. So regen denn auch die Autoren des zuletzt genannten Beitrags "eine einfach administrierbare Kofinanzierung" der hier vorgestellten Beratungspraxis beziehungsweise Konzeptionsarbeit im Rahmen der GAP an.
"Zusammen arbeiten" drückt somit auch die Forderung der Nichtregierungsorganisationen (NRO) nach Beteiligung an der Umgestaltung der Agrarpolitik - weg von Agrarfabriken - aus.
Und wer weiß, vielleicht bleibt uns der eine oder andere Lebensmittelskandal dadurch künftig erspart!

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Quelle:
DER RABE RALF - 22. Jahrgang, Nr. 167 - April/Mai 2012, Seite 20
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2012