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SYRIEN/071: Dominostein Damaskus - auf den Schultern der Kurden ... (Civaka Azad)


Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V. - 29.09.2014

Widerstand in Kobanê: Wir geben nicht auf!

Stimmen aus Kobanê (Teil 2): Die Frauen symbolisieren die größte Widerstandshoffnung

von Can Çiçek, Mitarbeiter von Civaka Azad



Salih Muslim spricht über Kobanê zu einer Menschenmenge vor dem EU-Parlament in Brüssel. "Ein Massaker, ein Genozid geschieht vor den Augen der Weltöffentlichkeit und bis jetzt gibt es niemanden, der etwas dagegen unternimmt." Nach diesen Worten kann der eher als ruhig geltende Co-Vorsitzende der Partei der Demokratischen Einheit PYD seine Gefühle nicht mehr verbergen. "Für gewisse Interessen, für Erdöl, werden ganze Bevölkerungen massakriert, werden Völker vernichtet."


"Bis der Letzte fällt"

Muslim, der als einflussreichster Politiker aus Rojava gilt, verlor im letzten Jahr seinen Sohn, der in den Reihen der Volksverteidigungseinheiten YPG im Kampf gegen die islamistische Terrormiliz in Kobanê sein Leben ließ. "Derzeit leisten die Kämpferinnen und Kämpfer der YPG und YPJ heldenhaften Widerstand. Mit einfachsten Waffen kämpfen sie gegen die Terroristen, die mit schwersten Waffen, mit Panzern und modernster Waffentechnologie ausgerüstet sind. Ich bin selbst aus Kobanê. Ich stehe im täglichen Kontakt mit den Menschen vor Ort. Daher weiß ich, und die Menschen sagen es auch: Auch wenn wir alle sterben sollten, wir werden in Kobanê bleiben und es verteidigen bis der Letzte fällt."

Nicht nur in Brüssel, sondern in vielen europäischen Metropolen, von London bis Paris, von Berlin bis nach Istanbul sind Tausende von Menschen auf die Straße gegangen, um gegen das brutale Vorgehen des IS-Miliz zu protestieren. In Kobanê selbst gab eine viele Kilometer lange Demonstration. Dort waren zehntausende Menschen zusammengekommen, um ihre Entschlossenheit im Widerstand gegen die Einnahme und die Besetzung durch den IS zu demonstrieren.


Über 3.000 Menschen überwinden Grenzzaun und begeben sich nach Kobanê

Zuvor hatten tausende Menschen den Grenzzaun an der türkisch-syrischen Grenze demontiert und sich der Menschenmasse in Kobanê angeschlossen. Darunter auch Tamer Dogan. Dieser war mit einer Gruppe aus Istanbul an die Grenze gereist. Auf die Frage warum Dogan, der vom Beruf Rechtsanwalt ist, den Kampf gegen die IS-Terrormiliz unterstützen möchte, antwortete Dogan im Interview mit dem Weltspiegel: "Ich wollte nicht mehr nur in Istanbul Presseerklärungen abgeben. Zwar hat die politische Arbeit dort auch eine Bedeutung und wird hier wahrgenommen. Aber nun gibt es eine konkrete Revolution in Syrien."[1]

Immer mehr Menschen reisen aus dem Ausland nach Kobanê, um sich am Widerstand zu beteiligen und den feindlichen Einmarsch der IS zu verhindern. "Die vielen Menschen aus der Türkei sind eine große moralische Unterstützung. Wir möchten uns bei ihnen bedanken", so drückt ein Kämpfer der Volksverteidigungseinheiten seine Dankbarkeit für die nach Kobanê gereisten Menschen aus.[2]


Kurdische Frauen sind größte Hoffnung im Verteidigungskampf

"Die kurdischen Kämpferinnen gelten als die größte Hoffnung der Welt im Kampf gegen die IS-Terroristen. Die Frauen der Frauenverteidigungseinheiten YPJ spiegeln deren größten Alptraum wieder", so die Worte der amerikanischen Journalistin Holly Williams in einem Beitrag für CBS News. Tatsächlich fürchten die IS-Kämpfer niemanden mehr als die Kämpferinnen der YPJ. Denn ihrer Ideologie nach können sie nicht in das Paradies gelangen, sollten sie von einer Frau getötet werden. Die Frauen der YPJ berichten von ihrer Kampfmotivation. "Die IS-Terroristen zerstören und plündern überall, wo sie einfallen. Sie töten Kinder und alte Menschen. Frauen werden vergewaltigt und als Sexsklavinnen auf dem Sklavenmarkt in Mossul verkauft." Das australische Nachrichtenmagazin '60 minutes' veröffentlichte gestern eine beeindruckende Reportage mit dem Titel "Female State". Die Journalisten hatten vor wenigen Tagen eine vom IS belagerte Stellung der YPG/YPJ besucht. Nach den Dreharbeiten äußerten sie sich tief bewegt: "Diese Kämpferinnen sind nicht nur unglaublich tapfer und mutig, sie haben für diesen Kampf alles aufgegeben. Als wir fertig waren dachte ich bei mir: Ich habe gerade wahrscheinlich die außergewöhnlichste Gruppe von Frauen getroffen, der ich je begegnet bin. Ich hoffe, dass die Leute nicht nur verstehen, wie mutig und entschlossen diese Frauen sind, sondern dass sie nicht nur für sich, sondern für die ganze Welt kämpfen."[3]

Die Frauen an der Kampffront berichten, dass sie bessere Militärausrüstung, schwere Waffen, benötigen, um sich besser gegen den IS verteidigen zu können. Es sei ein Kampf für Freiheit und Gleichheit, wie Silan, eine junge Frau sagt.

Die 19-jährige Gulbahar liegt schwer verletzt im Krankenhaus und sagt: "Ich hatte keine Angst. Denn ich kämpfe für die Freiheit." Sie ist entschlossen, nach ihrer Genesung wieder an die Front gegen den IS zu ziehen.

Nur wenige Meter weiter werden Gräben ausgehoben. Zum Teil mit großen Baggern. Der IS ist an einigen Stellen bis auf wenige Kilometer an die Stadt vorgerückt. Zu hören sind immer wieder Einschläge von Mörsergranaten. Dabei kam mindestens eine Person ums Leben, mehrere Verletzte sind zu beklagen.[4]


Waffenlieferung der Türkei und Einsatz von chemischen Waffen

Weiter greift der IS ununterbrochen von drei Seiten die Stadt Kobanê an. Währenddessen wird erneut von einer Waffenlieferung der Türkei an die Terrormiliz berichtet. So sollen laut Angaben von Mustafa Dadali, Asayish-Verantwortlicher der Ostfront von Kobanê, am 27.09.2014 große Mengen Munition an den IS geliefert worden sein.[5]

Es gibt auch Befürchtungen, der IS könne bei seinem Vormarsch auf Kobanê Chemiewaffen zum Einsatz bringen. Augenzeugen berichten, dass nach den Bombardierungen des IS im Osten Kobanês weißer Rauch hochgestiegen ist, was sehr ungewöhnlich sei. Danach hätten Tiere weißen Schaum vor dem Mund gehabt.[6]


Türkische Soldaten gehen gewaltsam gegen Flüchtlinge vor

Bozan Berkel wurde während des Versuchs nach Kobanê zurückzukehren von türkischen Soldaten festgenommen und nach eigenen Aussagen brutal verprügelt. "Wir werden mit euch noch schlimmere Sachen machen als der IS", drohten ihm die Soldaten, so Berkel.[7]

"Ich will zurück nach Syrien, auch wenn es mich das Leben kostet. Es ist mein Land. Schon meine Vorfahren wurden hier geboren. Es tut auch keiner etwas, um diese Tiere vom IS zu bekämpfen", so die Worte eines etwa 50-jährigen Kurden im Gespräch mit der Deutschen Welle.[8] Wie er kehren viele geflohene Menschen nach Kobanê zurück. Viele von ihnen, um sich dem Widerstandskampf der YPG und YPJ gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat IS anzuschließen.

Fortsetzung folgt.


Anmerkungen

[1] http://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/videos/tuerkei-syrien-verzweifelte-lage-der-kurden-100.html

[2] http://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/videos/tuerkei-syrien-verzweifelte-lage-der-kurden-100.html

[3] http://www.jump-in.com.au/show/60minutes/stories/2014/september/female-state/ und

https://www.youtube.com/watch?v=Xww8Snj_dY8

[4] http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-28007.html

[5] Kobanê enternasyonali, 27.09.2014, Özgür Gündem

[6] Kobanê enternasyonali, 27.09.2014, Özgür Gündem

[7] SESSIZLIK DE BARBARLIKTIR!, 28.09.2014, Özgür Gündem

[8] http://www.dw.de/kurden-wollen-kobane-gegen-is-verteidigen/a-1796072

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Quelle:
Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.
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mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2014