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SYRIEN/059: Dominostein Damaskus - Stellvertreterkriege ... (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 28. Juli 2014
(german-foreign-policy.com)

Die syrische Kröte



BERLIN/DAMASKUS/MOSKAU - Scharfe Kritik an der westlichen Syrien-Politik übt der Direktor des katholischen Hilfswerks Caritas Libanon. Der Westen müsse endlich aufhören, gemeinsam mit seinen mittelöstlichen Verbündeten die Aufständischen in Syrien mit Kriegsgerät auszustatten, erklärt der libanesische Caritas-Leiter Paul Karam. Zudem müsse er dafür sorgen, dass nicht andauernd Bürger europäischer Staaten zu salafistischen Terrormilizen in Syrien überliefen - auf Kosten der geplagten Zivilbevölkerung. Aufschlüsse darüber, wieso der Westen an seinen Bemühungen festhält, Assad zu stürzen, obwohl die Forderungen immer lauter werden, man müsse so schnell wie möglich dem Terrorregime des "Islamischen Staats" ein Ende setzen, liefert der Außenpolitik-Experte Dmitri Trenin vom Moskauer Carnegie Center. Trenin zufolge ist es Russland im Verlauf des Syrien-Kriegs gelungen, dem Westen empfindliche machtpolitische Niederlagen zuzufügen. Der Westen wiederum setze alles daran, im Syrien-Krieg auch Russlands nahöstlichen Einfluss zu zerschlagen. In Deutschland wird dabei in inzwischen sogar wieder die Forderung nach einer westlichen Militärintervention in Syrien laut.


Waffen und Terror

Scharfe Kritik an der westlichen Syrien-Politik übt der Direktor der Caritas Libanon. Der Priester Paul Karam fordert, sämtliche Waffenlieferungen an die Kriegsparteien in Syrien sofort einzustellen, um das Morden zu beenden. Dabei bezieht er sich explizit auch auf die Staaten des Westens, die gemeinsam mit ihren mittelöstlichen Verbündeten den syrischen Aufständischen arbeitsteilig Waffen, sonstige Ausrüstung und militärisches Training zur Verfügung stellen. Zuletzt hat etwa US-Präsident Barack Obama Ende Juni beim Kongress in Washington 500 Millionen US-Dollar beantragt, um Rebellenmilizen in Syrien "zu trainieren und aufzurüsten".[1] Die Caritas Libanon, die sich verzweifelt bemüht, die mittlerweile mehr als 1,6 Millionen Kriegsflüchtlinge im Libanon angemessen zu unterstützen, verlangt darüber hinaus, die westlichen Staaten müssten den Zustrom salafistischer Kämpfer vor allem aus Europa nach Syrien stoppen. Mehrere Tausend Bürger von EU-Staaten nehmen vor allem in den Reihen der Terrororganisation "Islamischer Staat" an Kämpfen in Syrien und im Irak teil.[2] Dass immer mehr Europäer sich an salafistischem Terror in Syrien beteiligten, Tod ins Land brächten und Zivilisten in die Flucht schlügen, sei untragbar, erklärt Karam.


Die Lehre aus dem Libyen-Krieg

Zu den Hintergründen der westlichen Unterstützung für die Aufständischen in Syrien hat sich unlängst der Außenpolitik-Experte Dmitri Trenin vom Moskauer Carnegie Center geäußert. Das Zentrum ist eine Außenstelle des US-Think-Tanks Carnegie Endowment. Trenin weist zunächst darauf hin, dass Moskau sich nach dem Beginn der Unruhen in Syrien 2011 geweigert habe, die Bemühungen des Westens um Assads Sturz zu unterstützen. Hintergrund seien Erfahrungen aus dem Aufstand in Libyen gewesen: Russland habe mit seiner Enthaltung im UN-Sicherheitsrat die dortige Militärintervention des Westens ermöglicht, dann aber konstatieren müssen, dass dieser mit Gaddafis Sturz seine Interessen einseitig durchgesetzt, Russlands Positionen hingegen empfindlich geschwächt habe. Moskau sei deshalb nicht bereit gewesen, nun auch noch Assads Sturz zu ermöglichen. Hinzu kam laut Trenin, dass Präsident Putin zu der Einschätzung gekommen sei, Assad werde sich als stärker als die Aufständischen erweisen, während unter diesen schon bald militante Salafisten die Oberhand gewinnen würden; letzten Endes werde man sich also zwischen Assad und den Salafisten entscheiden müssen. "Diese Einschätzung erwies sich als realistischer als das Kalkül von Obamas Beratern im Weißen Haus", bilanziert Trenin.[3]


Wieder auf Augenhöhe

Trenin erinnert sodann daran, dass Moskau Washington im Mai 2013 angeboten habe, gemeinsam zu einer politischen Lösung in Syrien zu gelangen; der Westen habe die Offerte allerdings ausgeschlagen. Im Sommer 2013 sei es Moskau dann gelungen, die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen zu vermitteln; dabei sei es "wohl zu den ersten Diskussionen auf Augenhöhe zwischen Vertretern der USA und Russlands seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion" gekommen. Mit den Friedensverhandlungen in Genf habe Russland dann "den diplomatischen Gleichstand mit den Vereinigten Staaten" zurückgewonnen, den es zu Beginn der 1990er Jahre verloren habe. Präsident Putin habe all dies erreicht, obwohl "Russlands Ressourcen nur ein Bruchteil derjenigen Amerikas" und "sein Einfluss in Syrien - ganz zu schweigen vom sonstigen Mittleren Osten - kaum dominant" seien. Washington freilich habe den Einflussgewinn des russischen Rivalen mit großem Unwillen beobachtet. Der "Ärger" über Putin und Russland sei "in politischen Kreisen der USA gestiegen", resümiert Trenin.[4]


Von Damaskus nach Kiew

Trenin weist schließlich darauf hin, dass sich zum russischen Machtgewinn im Syrien-Krieg bald noch der Skandal um Edward Snowden addierte, der ebenfalls Washington schwächte und Moskau stärkte. Der kurz darauf eskalierende Konflikt um die Ukraine sei also "kein isolierter Knatsch und kein tragisches Missverständnis", sondern lediglich eine weitere Etappe im Machtkampf zwischen Washington und Moskau.[5] Darauf haben auch US-Experten bereits vor Monaten hingewiesen (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Der Machtkampf dort wird mittlerweile mit fast allen Mitteln geführt.[7]


"Die beste Option"

Nicht nur, aber auch Teil des Machtkampfs gegen Russland ist zudem die fortgesetzte Weigerung des Westens, den Kampf gegen Assad einzustellen - trotz des ungebrochenen Vormarschs der Terrororganisation "Islamischer Staat". Forderungen, in der Syrien-Politik den Kurs zu wechseln und gemeinsam mit Assad gegen den "Islamischen Staat" vorzugehen, gibt es seit geraumer Zeit. Bereits im Dezember 2013 hatte der ehemalige CIA-Chef Michael Hayden erklärt, er halte einen Sieg Assads inzwischen für die beste Option im Syrien-Krieg; einen Sieg der nicht-terroristischen Aufständischen stufte er als kaum vorstellbar ein. "Jemand muss die Kröte schlucken und sagen: Assad bleibt", urteilte zur selben Zeit Joshua Landis, ein bekannter Syrien-Experte an der Universität Oklahoma.[8] Wie Berlin zu diesen Plädoyers stand, ließ sich im Februar 2014 beobachten: Damals erhielt der "Präsident" der selbsternannten syrischen Exil-"Regierung", der Berlin den Status einer "legitimen Vertretung des syrischen Volkes" zuschreibt, Audienzen bei Außenminister Frank-Walter Steinmeier und beim außenpolitischen Berater der Kanzlerin, Christoph Heusgen. Assad dürfe keinesfalls an der Macht bleiben, hieß es anschließend. An dieser Position hält Berlin bis heute fest.


Flugverbotszone oder Luftabwehrraketen

Sogar die Forderung, der Westen selbst solle militärisch in Syrien gegen Assad intervenieren, wird in der deutschen Hauptstadt inzwischen wieder vorgebracht. Man müsse in Syrien "eine Flugverbotszone" errichten und die Aufständischen systematisch aufrüsten, verlangte Petra Becker, eine Syrien-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), im Juni in der grün-alternativen taz. "An einem militärischen Engagement" komme man "nicht mehr vorbei".[9] Anfang Juli äußerte Becker in der liberalen Süddeutschen Zeitung, man müsse "entweder eine Flugverbotszone" durchsetzen oder den Aufständischen "tragbare Luftabwehrraketen" liefern. Notwendig sei zudem ein "militärisches Engagement von Seiten der USA und anderer".[10] Ob sie damit auch einen Einsatz der Bundeswehr meint, ließ Becker im Unklaren. Syrien gehört zu der Großregion Nordafrika/Nah- und Mittelost, die Strategen in Berlin und Washington wegen des Schwenks der USA hin zum Pazifik einer stärkeren deutsch-europäischen Kontrolle unterwerfen wollen - auch mit militärischen Mitteln (german-foreign-policy.com berichtete [11]).


Weitere Informationen und Hintergründe zur deutschen Politik im Syrien-Krieg finden Sie hier: Schmuggelkontrolleure, The Day After, The Day After (II), Verdeckte Kriegspartei, The Day After (III), The Day After (IV), Im Rebellengebiet, Die Islamisierung der Rebellion, Im Rebellengebiet (II), Im Rebellengebiet (III), Das Ende künstlicher Grenzen, Im Rebellengebiet (IV), Deutsche Kriegsbeihilfe, Religion und Interesse, Demokratischer Interventionismus, Kriegsrat in Nahost, Wie im Irak, Die militärische Lage, Die Allianzen der Rivalen, Die Macht des Stärkeren, Spionage mit Kriegsfolgen, Deutschlands Giftgas-Expertise, Kämpfende Mächte, Syriens westliche Freunde, Das Wirken der Geostrategen, Geschäftsgeheimnisse und Vormarsch auf Bagdad.


Anmerkungen:

[1] Libanons Caritas fordert Stopp der Waffenlieferungen nach Syrien; www.kathpress.at 20.07.2014

[2] S. dazu Vormarsch auf Bagdad; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58891

[3], [4], [5] Dmitri Trenin: The Ukraine Crisis and the Resumption of Great-Power Rivalry; carnegie.ru 09.07.2014

[6] S. dazu Die militärische Seite der Integration; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58755

[7] S. dazu Wie im 19. Jahrhundert; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58921

[8] Gudrun Harrer: "Die Kröte schlucken und sagen: Assad bleibt"; derstandard.at 16.12.2013

[9] Petra Becker: Den Syrern helfen; www.taz.de 19.06.2014

[10] "Die Dschihadisten sind die Einzigen, die einen Sold zahlen können"; www.sueddeutsche.de 02.07.2014.

[11] S. dazu Die Geopolitik der Energie; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58525 und
Die Weltpolitik-Kampagne der Eliten; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58894

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2014